Im Kampf gegen die steigenden Corona-Infektionszahlen wird es in Deutschland über Ostern einen verschärften Lockdown geben. Bund und Länder sprechen sich nach den Worten von Kanzlerin Angela Merkel außerdem generell gegen Reisen aus. Der Gründonnerstag und der Karsamstag werden als Ruhetage definiert und mit weitgehenden Kontaktbeschränkungen vom 1. bis zum 5. April verbunden. Merkel begründete die Maßnahmen mit dem exponentiellen Wachstum der Fallzahlen. In Landkreisen mit einer Sieben-Tag-Inzidenz von über 100 seien zusätzliche Schritte wie etwa Ausgangsbeschränkungen möglich.
Details des Oster-Lockdowns werden noch definiert
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke sagte im Dlf, die Verhandlungen in der Nacht hätten kurz vor den Scheitern gestanden. "Das hätte auch in die Hose gehen können." Die Entscheidungen seien aber am Ende die richtigen gewesen. Man habe ein exponentielles Wachstum, was die Infektionen in Deutschland betrifft, schon seit einigen Wochen.
Details über die genaue Auslegung des Lockdowns über Ostern würden heute noch einmal im Gespräch mit den Chefs der Staatskanzleien definiert – eventuell auch in einer Runde der Ministerpräsidenten. Klar sei aber: "Alles, was nicht dringend lebensnotwendig ist, soll dann runtergefahren werden."
Zudem sei es wichtig, dass die beschlossene Notbremse bundesweit funktioniere. "Wir müssen jetzt die Zeit in den kommenden Wochen noch einmal nutzen, wir müssen Zeit gewinnen", so Woidke.
Das Interview im Wortlaut:
Sandra Schulz: Wie knapp standen die Verhandlungen vor dem Scheitern?
Dietmar Woidke: Ich glaube, sehr knapp. Es war um die Zeit 0:30 Uhr, 0:40 Uhr, da haben viele von uns geglaubt, geht es weiter, geht es nicht weiter. Es hätte dann auch in die Hose gehen können. Aber wir hatten ja keine Wahl. Wir mussten eine Entscheidung treffen und die Entscheidung ist eine wichtige Entscheidung, weil sie in einer schwierigen Zeit fällt. Wir haben ein exponentielles Wachstum, was die Infektionen in Deutschland betrifft, schon seit einigen Wochen. Mittlerweile merken das auch die Krankenhäuser wieder und deswegen waren wir gezwungen, eine Entscheidung zu treffen, auch wenn das eine harte Entscheidung war.
Papier entspricht "stärker der Situation"
Schulz: Was genau ist denn gelaufen in diesen sechs Stunden, in denen die Verhandlungen in großer Runde unterbrochen waren? Wie können wir uns das vorstellen?
Woidke: Ja, es gingen kleine Verhandlungsgruppen zusammen. Das wird dann erst mal auf der Länderseite verhandelt, dass die SPD-geführten Länder miteinander reden, dass die CDU-geführten Länder miteinander reden. Dann wird ausgelotet, was geht, und dann treffen sich noch mal in dem Falle Markus Söder, Michael Müller und Angela Merkel und Olaf Scholz ist mit dabei und sehen zu, wie sie das Ganze unter einen Hut bringen. Ich glaube, manchmal haben wir schon Papiere gehabt, die wurden nach solchen Runden nicht besser. Das gestrige war deutlich besser, weil es, glaube ich, stärker der Situation entspricht, in der wir jetzt leben.
Schulz: Eine Erfindung aus dieser kleinen Runde war dann dieser Blitz-Shutdown, den es zu Ostern geben soll. Wie soll der genau aussehen?
Woidke: Das heißt eigentlich nichts anderes, als dass die zwei Tage, Gründonnerstag, der Donnerstag vor Ostern, und der Ostersamstag – Tage, die normalerweise Arbeitstage wären -, zu Ruhetagen erklärt werden sollen und dies Tage sein sollen, wo das öffentliche Leben, auch das Berufsleben möglichst weit runtergefahren wird, um hier nichts anderes zu tun, als Kontakte einzuschränken.
"Am Ende kommt es auch auf die genaue Auslegung an"
Schulz: Heißt Ruhetag gesetzlicher Feiertag, um das kurz zu verstehen?
Woidke: Nicht ganz, aber so was Ähnliches. Ruhetag ist auch definiert im Arbeitsschutzgesetz, oder steht das jedenfalls drin. Ich habe jetzt nicht genau die Definition. Das war heute Früh um halb drei, als wir da angefangen haben zu diskutieren. Das wird alles noch geklärt, wie das Ganze aussehen soll. Da treffen sich heute noch mal die Chefs der Staatskanzleien und eventuell auch noch mal die Ministerpräsidenten heute Abend, um das Ganze noch mal genau umzudefinieren, denn am Ende kommt es auch auf die genaue Auslegung an.
Es heißt aber vor allen Dingen, dass alles, was nicht dringend lebensnotwendig ist, dann runtergefahren werden soll – einfach, damit die Menschen zuhause bleiben und damit die Kontaktreduzierung wirklich mal auf ein ganz, ganz geringes Maß zurückgeführt werden kann.
Schulz: Sie wollen auf Religionsgemeinschaften zugehen mit der Bitte – so heißt es in dem Beschlusspapier -, religiöse Versammlungen in dieser Zeit über Ostern nur virtuell durchzuführen. Was, wenn die Religionsgemeinschaften diesen Bitten, diesen freundlichen Bitten nicht nachkommen?
Woidke: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir da gute Argumente haben – erstens – und dass zweitens auch aus der Erfahrung heraus in dieser Pandemie haben die Kirchen eine sehr verantwortungsvolle Arbeit geleistet, und ich setze darauf, dass sie dieser Verantwortung auch weiter gerecht werden. Wir haben da gute Erfahrungen gemacht und ich habe mich auch persönlich mehrfach bedankt bei unserem katholischen Bischof, aber auch beim evangelischen, und es gibt eine gute und enge Zusammenarbeit der Länder, aber auch des Bundes, und ich glaube schon, dass sie genau wissen, in welcher Situation wir leben, und dass sie auch ihrer Verantwortung gerecht werden.
"Wir sind in einer wahnsinnig schwierigen Phase"
Schulz: Sie wollen die Corona-Beschränkungen, die aktuell gelten, verlängern bis zum 18. April, und das schließt auch die Notbremse mit ein. Greift die denn jetzt?
Woidke: Es schließt die Notbremse mit ein und es schließt aber auch die Öffnungsszenarien mit ein. Wir haben ja am 3. März die Entscheidung getroffen, dass wirklich es nach vorne gehen soll. Es wurden Öffnungsperspektiven ja immer wieder eingefordert. Die gibt es. Es gibt aber genauso natürlich die Notbremse und die muss bundesweit umgesetzt werden, und das funktioniert auch. Bei uns im Land Brandenburg sind mehrere Kreise betroffen. Es werden in Zukunft wahrscheinlich – ich hoffe es nicht, aber wahrscheinlich werden es noch mehr werden, wo diese Notbremse gezogen werden muss. Dann wird der letzte Öffnungsschritt rückgängig gemacht. Aber das sind notwendige Dinge. Wir sind in einer wahnsinnig schwierigen Phase, weil die Mutation uns noch mal vor besonders große Herausforderungen stellt. Die Infektionsgeschwindigkeit ist deutlich höher und nach allem, was man hört, soll auch das Risiko eines schweren Verlaufes deutlich größer sein. Wir müssen jetzt die Zeit wirklich in den kommenden Wochen noch mal nutzen. Wir müssen Zeit überbrücken. Wir müssen, anders gesagt, Zeit gewinnen, bis wir mit dem Impfen soweit sind, dass uns das Virus zumindest im Großen nichts mehr anhaben kann, bis zumindest wir sicher sind, dass das Gesundheitssystem nicht an den Rand seiner Leistungsfähigkeit kommt.
Schulz: Gilt bei Ihnen in Brandenburg denn jetzt die 100 als Notbremsen-Grenze?
Woidke: Ja.
"Wir haben die Notbremse so umgesetzt, wie sie mit dem Bund besprochen war"
Schulz: Sie hatten in Ihrem Kabinett ja erst mal die 200 veranschlagt. Bis dahin konnten die Landkreise frei entscheiden oder sollten.
Woidke: Nee, nee, nee! Das ist falsch! Wir hatten zwei Notbremsen. Wir haben eine fürs Land bei 100 und wir haben eine zweite gehabt in den Landkreisen, wenn das Land jetzt meinetwegen einen Durchschnitt von 75 gehabt hätte oder 60. So was hatten wir auch vor drei, vier Wochen. Dann hätte der Landkreis selber eine Notbremse ziehen müssen. Es war allerdings nicht so, dass wir erst bei 200 angefangen hätten, sondern sollen. Die Landkreise hätten vorher schon Maßnahmen prüfen müssen und umsetzen müssen. Bei 200 wäre das ganze Paket gekommen. Da wir an die 100 gekommen sind, haben wir das gesamte Paket umgestellt. Wir sind jetzt: Sobald ein Landkreis 100 erreicht an drei aufeinanderfolgenden Tagen, so wie es im Bund besprochen ist, fährt der runter.
Schulz: Die Zwischenfrage wäre jetzt noch mal, wie gut das dann in der Praxis klappt. Wenn wir zum Beispiel auf den Landkreis Elbe-Elster mit einer Sieben-Tage-Inzidenz über 230 schauen. Da gab es jetzt zwar neue Einschränkungen, aber es sind trotzdem auch Lockerungen aus dem Frühjahr geblieben. Friseure, Kosmetik-Studios, Gartenfachmärkte, Floristik-Geschäfte, das war alles offen. Deswegen noch mal die Frage: Wie klappt es mit der Notbremse?
Woidke: Wir haben die Notbremse so umgesetzt, wie sie mit dem Bund besprochen war. Das war der sogenannte dritte Öffnungsschritt, der zurückgenommen werden musste. Wir gucken uns natürlich die Situation an. Es war zum Beispiel Click and Meet, es waren die Kontaktbeschränkungen, die erweitert waren. Das sind nur zwei Beispiele. Wir gucken uns die Situation natürlich an in jedem einzelnen Landkreis und wir haben Landkreise, die sind in einer schwierigen Situation. Wir haben auch festgestellt, mitunter ist es wirklich ein Hotspot im Landkreis. Im Landkreis Elbe-Elster ist das aber nicht so. Es gibt eine allgemeine schwierige Entwicklung und wir können nicht einen Hotspot ausmachen und deswegen ist geraten, dass wir weiter vorsichtig sind, und wir stehen auch mit dem Landkreis in enger Verbindung, weitere Maßnahmen gegebenenfalls einzuleiten, vom Landrat oder gegebenenfalls, wenn das nicht der Fall sein sollte, vom Land.
"Schulen und Kitas wollen wir im Augenblick offen halten"
Schulz: Die Zeit läuft uns jetzt ein bisschen weg, aber eine Frage muss ich noch los werden. Es steht ja nichts zu Schulen und Kindertagesstätten in dem Beschluss. Werden die bis auf weiteres offen bleiben?
Woidke: Schulen und Kitas wollen wir im Augenblick offen halten. Wir hatten sie auch den ganzen Winter über offen, vor allen Dingen die Kitas. Die Grundschulen waren auch bei uns geschlossen. Aber wir wollen die Schulen offen halten und wollen möglichst oft und möglichst schnell testen, zwei Tests pro Woche in den Grundschulen. Wir wollen die Lehrer möglichst schnell impfen, auch in den weiterführenden Schulen. Das sind alles Vorhaben jetzt für April. Das können wir nicht übers Knie brechen. Aber Schule und Kita ist herausragend wichtig, weil wir wissen, dass gerade die Kinder nicht nur am stärksten unter der Krise leiden, sondern auch die größten Spätfolgen zu befürchten haben.
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