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Wolf Biermann: "Barbara. Liebesnovellen und andere Raubtiergeschichten"
"Ich war so westdumm"

Er sei erstklassig spezialisiert auf den Streit im Osten gewesen und habe in der Demokratie zunächst einen Todesschreck bekommen, sagt der Liedermacher und Lyriker Wolf Biermann im Dlf. In seinem neuen Buch mit Liebesnovellen zeigt er sich allerdings auch von seiner zarten Seite.

Wolf Biermann im Gespräch mit Angela Gutzeit | 15.03.2019
Buchcover: Wolf Biermann: „Barbara. Liebesnovellen und andere Raubtiergeschichten“
Biermanns Erinnerungen: Von Liebenden und anderen Raubtieren (Buchcover: Ullstein Verlag, Foto: Sophia Kembowski /dpa)
Der 1936 in Hamburg geborene Wolf Biermann gehört zu den bekanntesten Liedermachern deutscher Zunge. Und nicht nur das. Seine Gedichtbände zählen zu den meistverkauften Büchern der deutschen Nachkriegsliteratur. Der Sohn aus kommunistischem Elternhaus - sein jüdischer Vater starb in Auschwitz - siedelte 1953 in die DDR über. Aber seine Begeisterung für den sowjetgeprägten Sozialismus schwand schnell. Der aufmüpfige Barde erhielt 1965 totales Auftritts- und Berufsverbot. Trotzdem gehören die Jahrzehnte bis zur Ausbürgerung 1976 für den Weggefährten und Freund vieler DDR-Größen wie Hanns Eisler, Manfred Krug , Robert Havemann und Jürgen Fuchs erkennbar zu den prägendsten seines Lebens. Unter anderem ablesbar an seiner 2016 erschienenen Autobiografie "Warte nicht auf bessre Zeiten!" Aber auch in den 18 Geschichten seines neuen Buches "Barbara. Liebesnovellen und andere Raubtiergeschichten" dominiert Privates und Politisches aus der DDR-Zeit. Mal melancholisch, mal humorvoll verbindet Biermann hier persönliche Erinnerungen mit deutscher Geschichte.
Angela Gutzeit: Wolf Biermann, nachdem Ihnen Ihre Frau Pamela eine Biografie abgerungen hatte, wie Sie einmal bekannten – sie erschien 2016 unter dem Titel "Warte nicht auf bessere Zeiten" –, liegt nun eine Sammlung autobiografischer Geschichten vor. Offensichtlich hat Ihre Frau nun auch wieder den Anstoß gegeben. "Ohne Pamela keine Prosa" ist sinngemäß in einer Art Widmung vorn im Buch zu lesen. Was hat Sie denn an dieser lockeren Form der Erinnerungsbruchstücke gereizt?
Wolf Biermann: Na ja, als ich meine Autobiographie schreiben musste – weil ich so unterdrückt bin von meiner Frau, die das dringend brauchte –, und dann kommen dauernd interessante Menschen vor, die im Grunde interessanter sind als Wolf Biermann und deren Geschichte ich eigentlich am liebsten erzählen möchte. Denn meine eigene Geschichte, unter uns gesagt, die erzählt sich ja schon aus meinen Liedern, wenn man sie dann hört. Diese interessanten, weltberühmten und absolut unbekannten Menschen, die mir begegnet sind, höhere und niedere, Männer und Frauen, wichtige und unwichtige Menschen, die habe ich jetzt in 18, ja, Novellen sind das, gebracht, und der Verlag hat jetzt aus diesen 18 Novellen ein Buch gemacht. Und das hat einen Titel, mit dem ich Sie, Frau Gutzeit, verführen möchte, zum Lesen natürlich. Also, der Titel gefällt mir, unter uns gesagt, gut, weil ich hoffe, dass er, das ist ja die Funktion eines jeden Titels, die Leute neugierig macht. Nämlich Liebesnovellen, "Liebesnovellen und andere Raubtiergeschichten".
Gutzeit: Also, wir haben es gerade schon gesagt, die Genrebezeichnung lautet Novellen beziehungsweise Liebesnovellen, und eine liebestollwütige Barbara, die erst fast am Ende dieses Buches ihren Auftritt hat, gibt dem Buch ja den Titel.
Biermann: Ja!
Gutzeit: Sie haben ihr sogar eine Ballade gewidmet, haben Sie die zufällig parat?
Die beißwütige Barbara
Biermann: Das Wort Ballade, unter uns gesagt, ist eigentlich ein bisschen übertrieben, denn das ist eine sehr kurze Ballade, die hat nur zwei Strophen. Aber die will ich Ihnen gerne vorlesen, ach, die muss ich gar nicht vorlesen, die kann ich ja auswendig. Ballade von der beißwütigen Barbara. Sie hat mich beim Küssen gebissen aufs Blut, sie biss mir nicht nur den Mund, und wie ich auch fluchte, da lachte sie nur, so kam ich, so kam ich, so kam ich... Der Wolf kam auf den Hund, die Wunden sind lange ausgeheilt, mich nimmt jetzt die sanfte Marie, doch wenn ich Mariechen im Arme halt, dann denke ich, dann denke ich, dann denke ich – nicht an Marie!
Gutzeit: Das war jetzt etwas frei wiedergegeben, aber trotzdem sehr schön! Vielen Dank! Am Anfang allerdings steht die Geschichte mit der Krankenpflegerin Garance und einem Wolf Biermann als Frauenverführer, der ja nichts anbrennen ließ. Allerdings nimmt ja diese Geschichte, die Anfang der 60er-Jahre spielt, eine unerwartete Wendung, als die Liebe überschattet wird von einem unerwarteten Geständnis und einer unbedachten Bemerkung dieser jungen Frau.
Biermann: Im Grunde fängt es an wie eine ganz banale Geschichte, irgend so ein kleiner Anfänger in dem, was Brecht das Spiel der Geschlechter nennt. Der verführt da irgend so eine junge Krankenschwester im Krankenhaus, in der Charité natürlich, und macht mit ihr diese Sache, über die man nicht reden darf und auch nicht reden muss. Und am Ende landet dieses Liebespaar im Bestiarium der Gesellschaft, Ost-West-Krieg, Kalter Krieg, Westberlin, Ostberlin, und sie gerät in die Finger der Staatssicherheit und wird Spitzel der Staatssicherheit, absolut schuldlos schuldig. Wird erpresst, mit ihrem Kind, das sie hat, als Geisel. Und dann arbeitet sie als, ja, Freudenmädchen kann man das ja wohl nicht nennen, denn sie war weder Freude, noch Mädchen, sondern eine richtige Frau. Und dann offenbart sie sich mir, und das ist die politische Peinlichkeit, aber dann kommt eine ganz andere, unerwartete Wendung: Sie sagt zu diesem jungen Mann, mit dem sie da dieses Liebesspiel betreibt: Und dass du ein Jude bist, das finde ich überhaupt nicht so schlimm. Und da kriegt der Mann einen Todesschreck und flieht, so als wenn ein frommer Christ den Teufel persönlich gesehen hat.
Gutzeit: Wolf Biermann, ich weiß nicht ob ich da richtig liege, aber in diesen Geschichten stehen oft Figuren beziehungsweise reale Personen im Mittelpunkt, die gebrochen wirken, widersprüchlich und von den Umständen zerrissen. Dafür steht ja diese Garance, aber auch zum Beispiel die traurige Geschichte der Ruth Berlau, eine der Gefährtinnen und Mitarbeiterinnen von Brecht, die ja selbst durch ihre Mitarbeit am Berliner Ensemble gut kannten. Ruth Berlau hatte verzweifelt versucht, ihren Platz an Brechts Seite zu behalten, beziehungsweise nach der Exilzeit, in der DDR Anschluss zu finden. War diese Zerrissenheit typisch für diese Zeit, als es noch große Hoffnung auf einen Neuanfang in der DDR gab?
Der ewige Krieg um die Freiheit
Biermann: Frau Gutzeit, ich kenne Sie nicht persönlich, aber ich ahne dunkel, dass ich Ihnen keinen Vortrag über Zerrissenheit halten muss. Alle lebendigen Menschen, die in einem lebendigen Stoffwechsel mit der Welt sich bewegen, also im Streit der Welt sich irgendwie verhalten – und sei, es, indem sie sich davonmachen –, sind zerrissen. Und das kommt bei manchen eben dramatischer zur Erscheinung, und bei dieser Frau von Brecht, bei Ruth Berlau, habe ich es so dramatisch erlebt, wie man es eben gerne erlebt, wenn man eine interessante Geschichte schreiben will. Der Heinrich Heine nannte es den Freiheitskrieg der Menschheit in seinem Gedicht "Enfant perdu". Das heißt, ein Krieg, der immer wieder gewagt wird, in die Freiheit, und der immer wieder auch verloren wird, und dann doch wieder gewagt wird. Und in diesem Spannungsverhältnis bewegen sich die Menschen alle, aber einige eben besonders lebendig. Und die will man dann gerne noch mal näher kennenlernen, und dafür schreibe ich dann so eine Geschichte.
Gutzeit: Sie haben einmal gesagt, und das steht nicht im Buch, ohne ihre Ausbürgerung aus der DDR 1976 nach dem Köln-Konzert hätten Sie den Abstand, also den Absprung, nie geschafft. Also, sozusagen aus der DDR, von der DDR. Aber da hatten Sie doch schon rund zehn Jahre, glaube ich, Auftritts- und Publikationsverbot. Würden Sie sich dazu noch mal äußern?
Biermann: Ach, das war natürlich nur auf den ersten Blick eine schreckliche Zeit, und das war ja auch schrecklich, das ist nicht schön, wenn man verboten ist, in einem Land eine Unperson ist. Und ein Lieder singt und Lieder schreibt und darf nicht auftreten und kein Buch veröffentlichten und so weiter und so weiter. Aber im Grunde war das ja kein Missverständnis, ich hatte mir ja dieses Verbot redlich verdient im Streit der Welt, mit den Bonzen der Parteiführung. Und insofern fühlte ich mich auch nicht schlecht behandelt, deswegen ging es mir auch gut. Ich hatte eben die richtigen Freunde. Sie erinnern sich an Leute wie Robert Havemann oder Jürgen Fuchs und Katja Havemann, ich hatte die richtigen Freunde, aber auch die richtigen Feinde – und die waren mir treu und es übrigens bis heute.
Gutzeit: Ich komme noch mal darauf zurück: Sie waren aber doch so erschüttert, Sie haben bei Kiepenheuer und Witsch ein Buch veröffentlicht mit dem Titel "Nachlass 1".
Biermann: Stimmt!
Gutzeit: Also, da muss ich ja sagen, da hatten Sie ja mit irgendetwas abgeschlossen und das muss Ihnen tief ins Mark gedrungen sein.
Die Krise nach der Ausbürgerung
Biermann: Es ist viel platter, viel primitiver, als Sie denken. Es war nicht dieser tiefe Konflikt mit der Menschheit, der Welt, und ich schreibe jetzt nichts mehr, sondern es war viel banaler. Ich der Neue im Westen, ich war so westdumm. Ich hatte keine Ahnung von der westlichen Gesellschaft. Ich war mit allen Mostwassern gewaschen, ich war erstklassig spezialisiert auf den Streit im Osten, in der Diktatur – und jetzt kommt so ein Mensch plötzlich in die Demokratie und kriegt einen Todesschreck, weil es fehlen nicht nur die Freunde, die er braucht, die braucht jeder Mensch, sondern vor allen Dingen auch die treuen Feinde. Und dann ist man plötzlich eine komische Witzfigur in der Weltgeschichte, ein Drachentöter, dem der Drache geklaut wird. Und da hatte ich Angst, dass ich überhaupt nichts mehr liefern kann, dass ich zu nichts mehr nütze bin. Ich wollte aber auch im Westen nicht, davor hatte ich eine Todesangst, nicht davon leben, dass ich meine Ostwunden lecke und immer meine alten Ostgeschichten nur liefere. Also, ich war nie in meinem Leben in so einer Krise wie in diesen ersten Jahren. Und das ist ja auch komisch von heute aus gesehen, als es mir endlich besser ging, weil ich nicht mehr verboten war und nicht mehr die Spitzel rund um mich waren, in der Freiheit war, in der Demokratie, und singen konnte und sogar dafür Geld kriegte und beklatscht wurde – da fühlte ich mich schlecht.
Gutzeit: Wir kommen jetzt noch mal auf das Buch zurück. Sie schreiben in Ihrem neuen Buch wenig über das Jüdischsein in der DDR. Ich sage das deswegen, weil Ihr Vater war Jude, wurde in Auschwitz ermordet, das ist natürlich eine Wunde, die kann niemals heilen. Der Antisemitismus der Menschen in der DDR blitzt aber trotzdem in Ihren Geschichten immer mal wieder so durch – und deswegen komme ich darauf. Zum Beispiel in dem Text "Bin ick 'n Mensch?" oder eben in der Geschichte auch über Garance, wie wir es ja am Anfang besprochen haben. Inwieweit mussten Sie sich eigentlich damit auseinandersetzen, die alten Nazis gab es ja noch, und die Naziherrschaft wurde in der DDR nie aufgearbeitet.
Versteckter Antisemitismus
Biermann: Da haben Sie leider recht. Als ich ausgebürgert wurde, grassierte in der Parteiführung die Mitteilung, diese Schriftsteller, die da für den Biermann … Diese 13 berühmten Schriftsteller, die gegen die Ausbürgerung protestiert haben, diese Petition, die ja keine Bittschrift, sondern eine Protestnote war, sind alles Juden, Juden, Juden! Stephan Hein, Stephan Hermlin, Günter Kunert, und Christa Wolff wurde dann auch noch als Jüdin gerechnet, war sie aber gar nicht. Natürlich gab es in der DDR einen versteckten, einen zugeklebten Antisemitismus.
Gutzeit: Denn Sie in Ihrem Buch aber auch durchaus durchblitzen lassen.
Biermann: Ja, ja … Als ich, das steht nicht in meinem Buch, aber ich schrieb mal in dieser Zeit, es gab über den Weihnachtsmarkt in Ostberlin, da schrieb ich: Deutsche Weihnacht, deutsche Weihnacht, Bratendunst aus jeder Bude, deutsche Weihnacht, deutsche Weihnacht, deutsche Weihnacht – ich bin Jude. Na ja, das war so ein Gestammel, gereimtes Gestammel von einem jungen Mann, der nach seiner Jüdischkeit suchte.
Gutzeit: Wolf Biermann, der Kommunismus ist ja nun zu einer, kann man sagen, historischen Ära der Weltgeschichte geworden. Was heute bedrohlicher erscheint, das sind Wiedergänger wie Nationalismus, Rechtsextremismus, und, wir waren gerade dabei, Antisemitismus, das auch kein allein deutsches Phänomen ist. Welche Gründe sehen Sie denn dafür?
Biermann: Ich rede mich jetzt mit Plato bei Ihnen heraus.
Gutzeit: Na, da bin ich gespannt.
Biermann: Der hat schon vor 2500 Jahren genau das, was Sie fragen, beantwortet, nämlich der Wechsel von der Demokratie, die die Leute leichtsinnig und blödsinnig macht, schlampig macht gegenüber den Werten der Freiheit, dass die abkippt in eine Diktatur, in eine Tyrannei, nennt er das. Und dass sie dann einen Katzenjammer kriegen, dann schreien sie wieder, dann tut es ihnen weh, dann wehren sie sich wieder gegen die Unterdrückung, dann kämpfen sie wieder für eine Demokratie – und dann dreht sich das Rad nach, ich weiß nicht, wie viel 100 Jahren wieder in die nächste Diktatur. Und da wir in einer schnelllebigen Zeit leben, dauert das eben jetzt nur 20, 30 Jahre.
Gutzeit: Okay. Ich frage noch mal weiter in eine ähnliche, aber doch ein bisschen andere Richtung. Man könnte manchmal das Gefühl haben, die Mauer zwischen Ost und West wächst wieder ein wenig höher, nachdem sie eigentlich, dachten wir alle, gründlich abgetragen war. Ist das nur allein die Schuld der Westler, die die Ostler nicht verstehen beziehungsweise vernachlässigen oder dominieren?
Das Problem der Ost-Menschen
Biermann: Na ja, wie Sie auch selber wissen, hat das sehr komplexe Gründe, die ich zum Teil gar nicht weiß. Ich sehe auf jeden Fall ein interessantes Problem: Wenn Sie jemandem zu viel verdanken, auf irgendeinem Gebiet, Hilfe bei Gesundheit oder Geld oder Liebe oder was weiß ich, in der Not – dann entsteht automatisch der Wunsch, sich zu revanchieren. Man will auf Augenhöhe bleiben mit dem Menschen, dem man so viel verdankt. Das gilt aber auch für Völker. Grob gesprochen verdanken die DDR-Leute, der Osten, dem Westen durch die Wiedervereinigung zu viel. Und wenn man so viel verdanken muss, dass es einen schon ankotzt, weil man sich nicht revanchieren kann, weil man keine Chance hat, in irgendeiner Weise zurückzuzahlen, und sei es auch nicht in Geld, was auch immer, dann redet man sich die Hilfe erstens klein, das war gar nicht so viel, oder man redet sie sich schlecht, das heißt, niedrige, dreckige, schmutzige Motive. Und das passiert eben auch zwischen Völkern. Und ich denke, dass das ein wichtiger Grund ist für das Problem vieler sogenannter Ost-Menschen. Und das Komische daran, man könnte auch sagen, das Tragische, ist, dass die Ost-Menschen überhaupt keinen Grund haben, so übertrieben dankbar zu sein. Wissen Sie warum? Weil die Deutschen gemeinsam den Nazi-Krieg gemacht haben und die Nazizeit und den Judenmord und den Mord an den Zigeunern und all den anderen Menschen. Und schuldig sind, alle gemeinsam. Aber wer hat die Rechnung bezahlt? Bezahlt haben die Ost-Menschen das, in der DDR. Und die Westdeutschen kriegten den Zucker in den Hintern geblasen, in Form des Marshall-Plans und kriegten die Demokratie aufgedrückt als Geschenk, geschenkt als aufgedrückt. So haben die Ost-Menschen im Grunde die Rechnung bezahlt, am meisten, und haben allen Grund als selbstverständlich hinzunehmen, dass die westlichen Deutschen, die besser davongekommen sind aus der Nazi-Zeit, ihnen jetzt beistehen. Mir tut keine Mark leid, die von West nach Ost geflossen ist.
Gutzeit: Das ist gut. Ich habe noch eine Frage zu Ihrem Buch, das übrigens nicht nur gut geschrieben ist, auch wenn es vielleicht Pamela war und nicht Sie ...
Biermann: Nein, nein, nein. Keine Sorge, ich habe es geschrieben, jedes Wort und jedes Komma und jeden Punkt.
Gutzeit: Es ist gut geschrieben und es hat auch wirklich, wie ich finde, viele interessante Geschichten über Prominente wie zum Beispiel Manfred Krug, Robert Havemann, über den Alltag auch einfacher Menschen in der DDR. Ich habe es gerne gelesen, aber jetzt kommt es: Sie wurden ja 1976 aus der DDR ausgebürgert, wir haben es am Anfang gesagt, das sind jetzt über 40 Jahre her. Vor jetzt fast 30 Jahren fiel die Mauer, das haben wir ja in diesem Jahr, dieses sogenannte Jubiläum. Das sind jetzt schon einige Jahrzehnte, die vergangen sind. Meine Frage: Warum gibt es in diesem Buch nicht mehr Geschichten – oder überhaupt Geschichten – über Ihre Zeit im Westen?
Das große Glück der Liebe
Biermann: Weil ich zu glücklich war, seit ich Pamela traf, meine Frau, 1983. Das war komischerweise auch das Jahr, in dem ich endlich den Mut hatte, die Kraft hatte, den Verstand, ein Verräter zu werden am Kommunismus. Als ich endlich die Kraft hatte, mit meinem kommunistischen Kinderglauben, also mit der kommunistischen Kirche, in die ich reingeboren wurde schon in der Nazizeit, zu brechen. Und seit genau dieser Zeit lebe ich mit Pamela und habe endlich begriffen, dass ich einen bestimmten, unverwechselbaren Menschen festhalten muss und mich an ihm festhalten muss, damit ich die Menschheit überhaupt ertrage, damit ich den Streit der Welt überhaupt durchstehe. Und das ist kein Thema für Novellen. Ich habe am Anfang des Buches, das haben Sie hoffentlich gesehen, ein Liebesgedicht für Pamela reingeschrieben mit der Hand, hinten ein Liebesgedicht mit der Hand – und da ist im Grunde, wenn Sie diese beiden Gedichte lesen, Ihre Frage so klar und knapp beantwortet, wie es überhaupt nur geht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Wolf Biermann: "Barbara. Liebesnovellen und andere Raubtiergeschichten"
Ullstein Verlag, Berlin. 290 Seiten, 20 Euro.