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Wolf Biermanns Mauerfall
"Wie ein historisches Drama ohne Haupthelden!"

Heute sagt Wolf Biermann, das sei mehr Angeberei gewesen und seine hilflose Wut "auf die Bonzen im Osten", wenn er in seinen Liedern den Mauerfall besang. Als es dann passierte, musste er von Hamburg aus zuschauen. "Ein verrücktes Missverständnis, denn eigentlich war ich doch der große Drachentöter".

Von Axel Schröder |
    Der Liedermacher Wolf Biermann
    Der Liedermacher Wolf Biermann (picture alliance / dpa / Stephanie Pilick)
    Ein kleines Cafè an der Elbe bei Hamburg. In der Flussmitte schieben sich Schiffe stromauf- und abwärts. Der Liedermacher Wolf Biermann sitzt am Tisch, vor sich eine Apfelschorle. Kariertes Hemd, graues Haar, grauer Schnauzbart. 1976 war er ausgebürgert worden, rausgeworfen auf der DDR. Nach einem Konzert in Köln durfte der allzu kritische Sänger nicht mehr zurück. Und nein, gibt Biermann zu: Mit dem Fall der Mauer vor 25 Jahren hatte er nicht gerechnet:
    "Ich hab zwar in dem ersten Lied gleich nach der Ausbürgerung große Töne gespuckt. Aber das war mehr Angeberei! 'Die Mauer wird fallen! Und fallen wird mancher auf den Mist der Weltgeschichte!', habe ich prophezeit! Damit könnte ich mich jetzt schmücken. Aber unter uns gesagt: Das war nicht mein Vorsprung an Klugheit, sondern es war mehr die hilflose Wut auf die Bonzen im Osten. Und so war ich überrumpelt von dem Fall der Mauer."
    Und enge Kontakte zur Opposition in der DDR hatte er nicht. Konnte er nicht haben, erzählt Biermann. Selbst einreisen in die DDR durfte er nicht. Und ein Austausch per Brief, per Telefon mit den regimekritischen Gruppen, zum Beispiel mit seiner guten Freundin Bärbel Bohley, war nicht möglich ohne die Oppositionellen in Gefahr zu bringen:
    "Es gibt aus dem Mittelalter zu diesem Thema einen schönen Satz, den man sich merken kann: 'Du sollt nit mit eins andern Manns Arsch durchs Feuer reiten!' Das heißt: Ich kann in Hamburg sitzen und kesse Töne spucken. Aber mein Freund in Leipzig, mit dem telefoniere oder aus Berlin, der geht dafür in den Knast."
    Der Kontakt nach "Drüben", zu seinen Freunden riss trotzdem nicht ab. Und am 24. Oktober 1989, zwei Wochen vor dem Mauerfall, verabredeten Bärbel Bohley und Wolf Biermann in aller Öffentlichkeit, in einer Telefonschaltung des Deutschlandfunks, ein erstes Treffen in Berlin. Einen Auftritt Biermanns auf der Großdemonstration am 4. November 1989:
    "Ich möchte so, so gerne bei Euch sein und singen oder Handstand machen, das ist mir egal. Auf jeden Fall bei Euch sein! Am Vierten, Wolf!"
    Zu sehen sind Wolf Biermann (l.) und Ralf Hirsch (r.) am Grenzbahnhof Friedrichstraße in Berlin. Ihnen wird die Einreise nach Ostberlin verweigert.
    Der aus der DDR ausgebürgerte Liedermacher Wolf Biermann wurde am 4. November 1989 am Grenzbahnhof Friedrichstraße die Einreise nach Ostberlin verweigert. Er hatte für die dort stattfindende Demonstration ein Lied komponiert. (picture-alliance / dpa / Peter Kneffel )
    Biermann versuchte am 4. November '89 nach Ost-Berlin zu kommen
    Am 4. November 1989 versucht es Wolf Biermann tatsächlich. Der eher kleine Mann kämpft sich durch das dichte Gedränge am Berliner S-Bahnhof Friedrichstraße, will rüber, von West-Berlin in den Osten. Unter dem Schild "Einreise in die DDR" bleibt er stehen, hält in der einen Hand seine Gitarre, in der anderen seinen grünen bundesdeutschen Reisepass. Die DDR-Grenzer schütteln den Kopf, weisen ihn ab. Wirklich überrascht ist Wolf Biermann nicht:
    "Der Grad der Wahrscheinlichkeit war sehr gering nach all dem, was vorher gelaufen ist. Aber möglich war es allemal. Denn in diesen sehr bewegten Zeiten ändern sich die Dinge von Tag zu Tag. Wofür es sonst Jahrzehnte gebraucht hat. Insofern war es nicht die reine Schildbürgerei, diesen Versuch zu machen."
    Biermann schaut zu - von Hamburg aus
    Die Großdemonstration muss ohne ihn stattfinden. Hunderttausende gehen auf die Straße, machen Druck, fordern Reformen und Reisefreiheit. - Wolf Biermann kehrte zurück nach Hamburg, seine Geburtsstadt. Und erlebt den Mauerfall am 9. November fernab des Geschehens, im Fernsehen. Er verfolgt die Pressekonferenz von DDR-Regierungssprecher Günter Schabowski, die Bilder von lachenden DDR-Bürgern, die die Grenzübergänge in den Westen passierten. Sieht die hilflosen, einst gefürchteten Grenzsoldaten. Wolf Biermann freut – und ärgert sich:
    "Das war ja ein verrücktes Missverhältnis! Aus meiner Sicht war es doch so: Ich war doch der große Drachentöter mit dem Holzschwert! Ein Holzschwert mit sechs Saiten drauf, sechs Gitarrensaiten. Und wenn überhaupt, dann war ich doch in diesem Theaterstück der große Held! Und jetzt findet das ganze Stück ohne mich statt? – Mir kam das vor wie ein historisches Drama ohne Haupthelden! Mir hat das wehgetan. Dass ich ja überhaupt keinen Anteil habe, obwohl ich doch so großen Anteil habe!"
    Zwei Wochen später macht sich Biermann zum zweiten Mal auf den Weg in den Osten. Wird wieder abgewiesen. Erst beim dritten Anlauf klappt es. Biermann ist eingeladen, soll in Leipzig sein erstes Konzert in der DDR nach der Ausbürgerung geben. Neben ihm im VW-Bus sitzt seine Frau Pamela, hochschwanger.
    "Voll Hass und voll Liebe, voll Angst und voll Wut!"
    "In diesem interessanten Zustand sind wir in der Invalidenstraße über den Grenzübergang gegangen. Da, wo jetzt er Hauptbahnhof gebaut ist. Mein Kiez, wo ich früher gewohnt habe. Und es war natürlich alles vorbereitet mit den DDR-Obrigkeiten, dass er Biermann durchgelassen wird. Mir schlug das Herz zum Hals hoch. Das ist doch klar! Ich war voll Hass und voll Liebe, voll Angst und voll Wut! Und voll Freude! Es ist ein solches Gemisch von Gefühlen - man bricht nur deswegen nicht zusammen, weil diese widersprechenden Gefühle sich gegenseitig in der Waage halten."
    Die erste Fahrt geht ins Kulturministerium.
    "Und dort war der Minister und empfing uns. Und teilte uns mit, dass er uns verziehen hat, was er uns angetan hat."
    Und Minister Dietmar Keller nennt Biermanns Rauswurf aus der DDR erstmals "einen Fehler". - Abends, in Leipzig, spielt Wolf Biermann vor 5.000 Zuhörern. Er vergisst seinen Zorn darüber, dass nicht er, sondern die Menschen in Dresden, Leipzig und Ost-Berlin den Drachen DDR besiegt haben. Und kann dem Staatsratsvorsitzenden Egon Krenz endlich auch von Ostdeutschland aus seine Meinung sagen:
    "Du bist unsere Stasi-Metastase, am kranken Körper der Staatspartei!"