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Wolffsohn: Die Spielregeln der Politik gelten für alle

Das Verteidigungsministerium funktioniere nicht anders als andere Ministerien, meint Michael Wolffsohn. Der Münchner Historiker und Publizist sieht die Verantwortung für das Euro-Hawk-Debakel daher bei Ressortchef de Maizière. Dass dieser von besonderen Strukturen rede, sei eine bequeme Ausrede.

Michael Wolffsohn im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Verwirrend ist das ganze schon, für die meisten jedenfalls. Von fehlerhaften Entwicklungen, die zu richtigen Entscheidungen geführt haben, ist da die Rede, von Problemen, die lösbar sind und dann doch nicht lösbar waren, und von Flurgesprächen, die nicht so ernst genommen werden können, obwohl diese wohl den Ernst der Materie genau auf den Punkt gebracht haben – möglicherweise. Thomas de Maizière wird heute mit den Fragen des Verteidigungsausschusses konfrontiert, zum zweiten Mal, auch wohl mit Fragen darüber, wie sein Apparat, wie seine Mitarbeiter mit ihrem Chef umgehen. Ist das Verteidigungsministerium ganz anders als ein anderes Ressort? – Darüber sprechen wir nun mit dem Münchner Historiker und Publizisten Professor Michael Wolffsohn, der viele Jahre an der Bundeswehrhochschule gelehrt hat. Guten Morgen nach München!

    Michael Wolffsohn: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Wolffsohn, sind Soldaten devot?

    Wolffsohn: Sie sind nicht devoter als andere, als Zivilisten, und schon gar nicht die Angehörigen der Bundeswehr. Und bei aller Kritik, für die ich hoffentlich diesbezüglich bekannt bin, wenn überhaupt bekannt, nein! Das mit dem Bürger in Uniform wird ernst genommen und der Geist der Bundeswehr ist nicht devoter als woanders. Definitiv nein!

    Müller: Aber Soldaten werden zum Gehorsam gezwungen, zum Gehorsam erzogen. Ist es da nicht einfacher, Ja zu sagen?

    Wolffsohn: Das kommt ganz darauf an, was der grundsätzliche Geist ist, und der Geist der Bundeswehr, zumindest in der Theorie und oft auch in der Praxis, ist Partnerschaft auf Augenhöhe bei klarer Abgrenzung der Verantwortungen. Und so etwas haben Sie auch in jedem normalen Betrieb, das haben Sie in einer Schulklasse, wo klar ist, dass der Lehrer den Monolog führt und den Ton angibt. Also kurzum: Das ist sowohl funktional als auch rational-emotional in jeder menschlichen Gemeinschaft so, und da ist die Bundeswehr nicht devoter als woanders. Das Hauptproblem besteht darin, dass Untergebene, die verantwortlich sind, nicht gerne Fehlmeldungen nach oben geben, schon gar keine Misserfolge.

    Müller: Untergebene jetzt nicht nur auf die Bundeswehr bezogen?

    Wolffsohn: Aber natürlich! Wir müssen dieses Problem grundsätzlich sehen und auch die Frage, hatte Thomas de Maizière gelogen oder nicht. Das ist ja gar nicht die entscheidende Frage. Es geht hier bei ihm sicherlich um taktisches Gesichtswahren. Aber die grundsätzliche strategische Frage war für den Minister: Wie kann ich aus diesem Projekt aussteigen, ohne das Drohnenprojekt, das ja ganz wichtig für die Verteidigungspolitik der Zukunft ist, aufzugeben. Das war die Frage, vor der er stand.

    Müller: Es war aber auch die Frage, in welcher Chronologie sich das mögliche Versagen des Projekts oder die Unmöglichkeit, dieses Projekt noch verantwortungsbewusst umzusetzen, wie sich das genau verhalten hat. Warum tut er sich da so schwer?

    Wolffsohn: Das ist eine gute Frage und der muss man nachgehen. Aber der Minister handelt nicht anders als jeder andere Politiker oder Mensch, dass er versucht, aus einer zwickligen Situation möglichst ungeschoren herauszukommen. Die Fehler sind ganz offensichtlich, er trägt die Verantwortung für das gesamte Haus als Minister, ebenso trägt der Generalinspekteur als derjenige, der die allgemeine Übersicht – daher General; General ist lateinisch für allgemein -, die allgemeine Verantwortung für alle Untergebenen trägt. Das ist sozusagen die Detailfrage, die übergeordnete strategische Frage, wie kann ich das Drohnenprojekt retten, ohne aber diese Art der Fortentwicklung der deutsch-amerikanischen Drohne fortzusetzen.

    Müller: Herr Wolffsohn, Generäle, General sind wir ja irgendwie alle, gerade im Fußball, aber auch ein bisschen viele von uns zumindest bei der Bundeswehr, weil viele bei der Bundeswehr waren, in welcher Funktion auch immer, vielleicht als Wehrpflichtige. Sie selbst waren ja in der israelischen Armee tätig. Sie kennen diese Strukturen, diese hierarchischen Strukturen, die ja stärker ausgeprägt sind als in Unternehmen, was Sie eben als Beispiel gebracht haben. Inwieweit sind diese hierarchischen Strukturen, diese klare Unterordnung, diese Sanktionsmöglichkeiten von Vorgesetzten, die vermeintlichen Entmündigungsmöglichkeiten dementsprechend von Untergebenen, von einfachen Rekruten, dann doch etwas Besonderes?

    Wolffsohn: Bei aller persönlichen Wertschätzung Ihnen gegenüber und Ihrem Sender gegenüber, Herr Müller, da gehen Sie von einer falschen, ich will mal so sagen, unmodernen Vorstellung von Hierarchie aus. Eine funktionierende Hierarchie heutzutage, ob im zivilen oder militärischen Bereich, kann nur funktionieren, wenn wechselseitiges Vertrauen vorhanden ist bei klarer Abgrenzung von Kompetenzen. Und daher ist ja Ihre Ausgangsfrage auch so wichtig: Sind die Soldaten devoter als woanders. Wenn dem so wäre, dann ist das eine falsche Form der menschlichen Führung.
    Sie haben die Tatsache erwähnt, dass ich im israelischen Militär gedient habe. Im israelischen Militär und in der israelischen Zivilgesellschaft ebenfalls fühlt sich – ich zitiere einen Titel eines Filmes – jeder Bastard als König. Das heißt, im Grunde genommen hält sich jeder für den eigentlich richtigen General, was natürlich funktional nicht durchzuführen ist, weil die Kompetenzen klar abgegrenzt werden müssen. Aber jeder muss das Gefühl haben, ich bin ungeheuer wichtig, genauso wichtig wie der Mann an der Spitze, und dieses Gefühl zu vermitteln, das erst macht wirklich gute Arbeit und das ist wirklich gute Führung.

    Müller: Aber der Minister hat doch selbst sehr viel darüber nachgedacht, das hat er ganz bestimmt, aber auch in der Öffentlichkeit dann gesagt, im Bundesverteidigungsministerium herrschen besondere Strukturen. Da will keiner der Untergebenen und auch der hochrangigen Offiziere, die ja auch Untergebene sind, offenbar Falschmeldungen, Fehlleistungen und so weiter, die da festgestellt wurden, nach oben weitergeben.

    Wolffsohn: Das ist eine bequeme Ausrede des Ministers, der auf diese Weise signalisieren möchte, dass er doch eine ganz besonders schwere Aufgabe zu vollbringen habe. Aber das ist auch politische Taktik. Grundsätzlich bleibe ich dabei, dass die Menschen im Bundesverteidigungsministerium, wo ja auch nicht nur Militärs arbeiten, sondern auch viele Zivilisten, dass also die Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums nicht autoritärer, devoter eingestellt sind als in jedem zivilen Betrieb.

    Müller: Das Verhältnis von Soldaten zu Zivilist, ist das anders als von Zivilist zu Zivilist oder Soldaten untereinander?

    Wolffsohn: Was die moderne Auffassungsweise von demokratischem Militär betrifft, gibt es keinen Unterschied.

    Müller: Sie sagen, Auffassung. Ist das auch die Wirklichkeit?

    Wolffsohn: Zwischen Theorie und Praxis besteht immer leider ein großer Gegensatz. Aber wenn man sich den Geist der Bundeswehr im internationalen Vergleich ansieht, so ist von autoritärer Führung eigentlich deutlich weniger zu erkennen als in fast jedem anderen Militär der Welt, die westlich demokratischen Militärs eingeschlossen.

    Müller: Gehen wir einmal auf den Generalinspekteur ein, Herr Wieker. Er hat sich an diesem Wochenende erklärt und gesagt, ich trage Mitverantwortung, ich habe bestimmte Dinge gefiltert, nicht weitergegeben an den Minister. Könnte Wieker das politische Bauernopfer sein?

    Wolffsohn: Das könnte ein Opfer sein, führt aber nicht an der Tatsache vorbei, dass der Minister, egal welcher Minister und in welcher Angelegenheit, für sein Haus in seiner Gesamtheit verantwortlich ist. Ich gebe Ihnen ein ganz anderes Beispiel, das schon Jahrzehnte zurückliegt. Mitte der 70er-Jahre ist ein inhaftiertes RAF-Mitglied, also ein Terrorist, der in einem Gefängnis in Berlin einsaß, befreit worden und der Justizsenator Oxfort (FDP) ist zurückgetreten, weil er sagte, ich trage die Verantwortung für den gesamten Bereich meines "Ministeriums". Das ist nun mal die Grundregel der Politik.

    Müller: Rudolf Seiters ist damals auch bei Bad Kleinen zurückgetreten – ein weiteres Beispiel, was wir diskutiert haben.

    Wolffsohn: Aber natürlich! Klar! Das heißt ganz eindeutig, welche Auffassung vom Haus oder vom Dienst habe ich. Ich kann die Spielregeln genau betrachtet nicht individuell ändern. Das gilt für die Politik genauso wie fürs Fußballspielen oder jede andere Tätigkeit.

    Müller: Der Münchner Historiker und Publizist Professor Michael Wolffsohn bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Wolffsohn: Danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.