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Wolfgang Ischinger: NATO-Russland-Rat war "nicht gedacht als Schönwettergremium"

Wolfgang Ischinger, der Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, hat die Wiederbelebung des NATO-Russland-Rates als überfällig bezeichnet. Dass die Sitzungen des Rates im vergangenen Sommer aufgrund des Georgienkonflikts suspendiert worden seien, habe er schon damals für falsch gehalten. Das Gremium sei gerade in Krisenzeiten wichtig, so Ischinger.

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Bettina Klein |
    Bettina Klein: US-Außenministerin Hillary Clinton wird heute zum ersten Mal an einem Treffen der NATO-Außenminister in Brüssel teilnehmen. Wegen der veränderten Haltung der neuen US-Regierung gegenüber Russland wird dabei voraussichtlich beschlossen, regelmäßige Gespräche der NATO mit Russland auf höchster Ebene wieder aufzunehmen. Die NATO hatte den Kontakt zur russischen Regierung im vergangenen Jahr wegen des Krieges zwischen Russland und Georgien abgebrochen. Am Telefon begrüße ich jetzt Wolfgang Ischinger, Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, ehemaliger Botschafter in den USA. Guten Morgen, Herr Ischinger.

    Wolfgang Ischinger: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Die Wiederaufnahme des NATO-Russland-Rates wird also für heute erwartet. Sehen Sie es mit gemischten Gefühlen, oder stimmen Sie dem uneingeschränkt zu?

    Ischinger: Ich stimme dem uneingeschränkt zu. Das ist eine überfällige Entscheidung. Die Entscheidung im vergangenen Sommer, die Sitzung des NATO-Russland-Rates zu suspendieren, hielt ich schon damals für falsch. Das Gremium, das wir im Kern ja schon vor zwölf Jahren geschaffen haben, war doch nicht gedacht als Schönwettergremium, das nur tagt, wenn alle sich einig sind - dann brauchen wir das auch überhaupt nicht -, sondern es war doch genau dafür gedacht, Möglichkeiten des Dialogs zwischen der NATO und Russland zu schaffen, gerade in Zeiten, wenn es kriselt. Deswegen ist es richtig, dass man diese falsche Entscheidung des letzten Sommers revidiert und dass endlich wieder ein Gesprächsfaden offizieller Art zwischen der NATO als Institution und Russland in Gang kommt.

    Klein: Aber was ist mit dem Anlass für die Aussetzung dieses Gremiums? Was ist mit dem Krieg zwischen Russland und Georgien? Darüber soll nicht mehr gesprochen werden?

    Ischinger: Nein, ganz im Gegenteil. Jetzt kann ja, wenn wir normale Sitzungen und normale Gespräche zwischen dem Bündnis und Russland haben, wenn beide Seiten bereit sind, über alles wieder gesprochen werden, also auch über die Lehren aus dem Georgien-Konflikt und über die Möglichkeiten, in der Zukunft vielleicht solche, jedenfalls aus meiner Sicht völlig unnötigen Aufwallungen zu vermeiden, und zwar im gemeinsamen Interesse. Ich denke, die Zeichen sind jetzt auf Zusammenarbeit gestellt. Das ist das Signal aus Washington, und die Antworten auf Moskau sind ja durchaus auch positiv.

    Klein: Um bei den neuen Signalen aus Washington zu bleiben, eines davon war offensichtlich - das ist in einem Brief in der "New York Times" geschrieben worden, nicht bestätigt vom Weißen Haus - nämlich so eine Art Tauschgeschäft, dass man den Russen sagt, wir könnten uns vorstellen, auf das Raketenabwehrschild in Osteuropa zu verzichten, wenn ihr mit uns gemeinsam etwas ernsthafter dafür sorgt, dass der Iran eben nicht zu Atomraketen kommt. Das ist in dieser Form offiziell zurückgewiesen worden. Moskau hat es aber offensichtlich in dieser Art und vielleicht auch richtig verstanden. Halten Sie das für das dahinter liegende Kalkül des neuen Präsidenten, die Russen an den Tisch zu bekommen?

    Ischinger: Es ist sicher richtig, dass die amerikanische Regierung dabei ist, den Versuch zu unternehmen, Moskau ins Boot zu holen bei dem Versuch, noch überzeugender gemeinsam auf Teheran einzuwirken. Das ist unzweifelhaft richtig. Dieses angebliche Angebot eines Tauschgeschäfts halte ich allerdings in der Form, in der es präsentiert worden ist in den Medien, für allzu schlichtes Denken. So ganz einfach geht es nicht, und deswegen hat man ja auch schon aus Moskau gesagt, so stellen wir uns das Tauschgeschäft nicht vor. Ich denke trotzdem, dass es hier zu einem ganz intensiven amerikanisch-russischen Gespräch kommen wird. Morgen, wenn Frau Clinton zum ersten Mal mit dem russischen Außenminister zusammentrifft, in vier Wochen, wenn Präsident Obama zum ersten Mal mit dem russischen Präsidenten zusammentrifft, dann wird man darüber im Einzelnen reden.

    Wissen Sie, was diese Raketenpläne in Polen und in der Tschechischen Republik angeht, das ist auch für die amerikanische Seite eine komplexe und schwierige Frage. Die kann man nicht einfach mit einem Tauschgeschäft beantworten. Es ist auch für die USA in dieser Lage wichtig, die polnischen und tschechischen Verbündeten - das sind Verbündete im Bündnis, genauso wie wir Deutsche - nicht einfach im Regen stehen zu lassen. Das heißt, wenn man diese Pläne aufgeben will, dann muss man natürlich irgendwas an die Stelle setzen, damit das nicht so aussieht, als würde man bildlich gesprochen Polen und die Tschechische Republik sozusagen zum Fraße vorwerfen. So einfach kann es nicht sein.

    Klein: Danach wollte ich gerade fragen, Herr Ischinger. Die Sorgen und Ängste der Polen und Tschechen sind ja mit Händen zu greifen. Wie sehr darf Obama diesen Staaten jetzt die kalte Schulter zeigen?

    Ischinger: Die amerikanische Regierung hat diese Frage nach meiner Einschätzung vom ersten Tag an mit hoher Professionalität angegangen. Deswegen glaube ich wie gesagt auch nicht an die Vorstellung eines solch schlichten Tauschgeschäfts. Man wird sich da intensiv mit der polnischen und der tschechischen Regierung abstimmen. Die Hoffnung ist, dass wir in dieser Frage wieder zu einer einheitlichen Haltung im gesamten Bündnis kommen und nicht etwa zum Vorpreschen einiger weniger und zu einem Auseinanderfallen im Bündnis in der Frage, ob das überhaupt eine vernünftige Planung ist, ob die Technologie ausgereift ist. Da gibt es ja sehr viele kritische Fragen auch in den USA. Also es gibt sicherlich Alternativen zu diesen Plänen, die man in der Tasche hat in Washington und mit denen man den polnischen und tschechischen Wünschen nach stärkerer Einbettung ins Bündnis, nach stärkerer Absicherung Rechnung tragen könnte. Ich will nicht spekulieren, was das im Einzelnen sein könnte, aber hier gibt es sicherlich Wege, und damit könnte dann tatsächlich irgendwann ein Paket geschnürt werden, aber ein Paket, das ein bisschen komplizierter aussehen wird als dieses angebliche Tauschgeschäft.

    Klein: Gleichwohl, die Signale, die im Augenblick aus Moskau wie auch aus Teheran kommen, klingen relativ, ich sage mal, sehr zurückhaltend, eher unterkühlt. Moskau sagt, so einfach geht das nicht, und wir müssen uns das sehr genau überlegen. Der geistliche Führer des Iran Khamenei hat gestern den USA vorgeworfen, die Bush-Politik fortzusetzen. Halten Sie das im Augenblick noch für Rhetorik, an der sich in den kommenden Monaten etwas ändern kann, oder ist die Sache eben doch mehr verhärtet, als das vielleicht sich in Washington manch einer denkt?

    Ischinger: Ich glaube, es ist ganz normales Verhalten auf der internationalen diplomatischen Bühne. Man kann das ein bisschen salopp auch so ausdrücken, dass die Braut sich noch ein bisschen ziert, um das Interesse noch etwas stärker zu wecken. Irgendwann kommt man dann ins Gespräch, und irgendwann geht man dann gemeinsam auch hinter den Vorhang sozusagen. Warten wir es mal ab. It takes two to tango, wie man so schön sagt. Natürlich kann man nicht ausschließen, dass man in Teheran an der Linie festhält, wir wollen weder jetzt noch später mit den USA reden. Es würde mich aber sehr wundern, wenn das eine dauerhafte iranische Antwort bleiben würde. In Teheran stehen auch Wahlen bevor. Das wird alles nicht über Nacht und nicht in dieser Woche entschieden werden. Ich persönlich glaube, dass die amerikanische Regierung genau die richtigen Angebote und Signale gesetzt hat in den letzten Tagen und Wochen. Und ich bin eigentlich ganz sicher, dass man in Moskau ein großes Interesse hat, darauf auch konstruktiv zu antworten. Niemand braucht jetzt in der Zeit schwerster Wirtschaftsverwerfungen weitere Ost-West-Auseinandersetzungen, die völlig unnötig und im Übrigen auch kostspielig sind. Das ist nicht im Interesse von Moskau und auch nicht in unserem Interesse. Wie das in Teheran gesehen wird, ist viel schwerer zu beurteilen. Aber ich denke, auch da gibt es eine echte Chance, und es ist gut, dass jetzt der Versuch gemacht wird, sie endlich mal zu nutzen.