Die bekannteste Episode der Sportdiplomatie beginnt mit einem verpassten Bus. 1971 fahren die amerikanischen Tischtennisspieler bei der WM in Japan nämlich ohne ihren Mitspieler Glenn Gowan los. Der steigt daraufhin in den Bus der chinesischen Spieler ein und freundet sich mit dem dreimaligen Weltmeister Zhuang Zedong an. Es ist der Beginn der Ping-Pong-Diplomatie zwischen den bis dahin verfeindeten USA und China.
50 Jahre später werden China schwere Menschenrechtsverstöße vorgeworfen, unter anderem werden laut Menschenrechtsorganisationen rund eine Millionen Uiguren in Lagern festgehalten. Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, hält Forderungen nach einem politischen Boykott der Winterspiele 2022 in Peking für verständlich.
Wirkung eines Olympia-Boykotts unsicher
"Wenn ich beim Auswärtigen Amt noch in Amt und Würden wäre, würde ich meinem Minister oder Bundeskanzler raten: Fahren Sie da am liebsten nicht hin!", so der ehemalige deutsche Botschafter in Washington, D.C. und London im Deutschlandfunk-Sportgespräch. "Nicht nur setzen Sie ein falsches Zeichen international, sondern sie werden auch zuhause kritisiert werden, weil das niemand verstehen wird, warum sie da hinfahren. Die Athleten können Sie hinterher auch bei der Rückkehr begrüßen."
Trotzdem ist sich Ischinger unsicher, wie viel Eindruck so ein Boykott auf das chinesische Regime machen würde. Auch einen kompletten Boykott lehnt der Diplomat ab. Er habe den Eindruck, dass solche Entscheidungen die Sportlerinnen und Sportler treffen würden.
Keine funktionierende Menschenrechtsstrategie von Sportverbänden
Dies betont auch Maximilian Klein, der bei der Athletenvertretung "Athleten Deutschland" der Beauftragte für internationale Sportpolitik ist. Es sei für die Sportlerinnen und Sportler ein Zwiespalt, einerseits nicht mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht werden zu wollen, und andererseits jahrelang auf Olympia hin trainiert zu haben.
"Es ist schon so, dass der Konflikt und die Verantwortung auf den Schultern der Athletinnen und Athleten abgeladen werden würde, für ein unmögliches Dilemma, für das sie nichts, überhaupt nichts können", so Klein über einen möglichen Boykott. Er sieht insbesondere die Sportverbände in der Pflicht, dies in Zukunft zu verhindern.
"Wir sind in dieser Situation mit China nur, weil die Organisationen des Sports keine funktionierende Menschenrechtsstrategie haben. Man muss sie im Grunde behandeln wie Unternehmen, die Lieferketten haben. Und innerhalb dieser Lieferkette dürfen sie nicht in Verbindung stehen mit Menschenrechtsverletzungen", fordert Klein. Daher sei auch die Politik, die den Spitzensport finanziell fördert, verantwortlich dafür, Druck auf die Verbände auszuüben und die Athletinnen und Athleten zu schützen.
Demokratische Staaten müssen sportpolitische Allianzen schmieden
Auch Wolfgang Ischinger beobachtet, dass "viele, sagen wir mal autoritär regierte Staaten, einen systematischen Versuch unternehmen, durch Selbstdarstellung im Sport ihr eigenes Image in der Welt zu verbessern." Gegen diese Tendenzen anzukämpfen, sei aber angesichts der politischen Lage weltweit schwierig, da weit mehr als die Hälfte der Menschen in autoritären Staaten leben würden.
"Die westlichen Demokratien sind in der Defensive und müssen versuchen, durch Zusammenschlüsse, durch rechtzeitige Vorabsprache zu verhindern, dass wir - ich sag’s mal salopp - bei sportpolitischen Fragen übern Tisch gezogen werden", meint Ischinger.
In Deutschland gibt es "Luft nach oben"
Auch Maximilian Klein betont die Notwendigkeit, international Allianzen zu schmieden, damit nicht zu viele Sportgroßveranstaltungen in autokratische Systeme abwandern. "Und da sind natürlich Sportfunktionäre an entscheidender Stelle. Und da muss man sich auch wirklich die Frage stellen: Was machen denn deutsche Sportfunktionäre in solchen Gremien?"
Denn während China seit Jahrzehnten eine geschickte Sportdiplomatie verfolgt und unter anderem Funktionäre gezielt auf Jobs in den großen Sportverbänden vorbereitet, sieht Maximilian Klein in Deutschland deutlich Luft nach oben. "Wir merken schon, dass das Bewusstsein bei deutschen Funktionären für solche Themen fehlt."
Eine wichtige Rolle könnten aber auch die Sportlerinnen und Sportler als "Botschafter in Trainingsanzügen" spielen. "Diese Rolle füllen sie am besten aus, wenn wir mündige Athletinnen und Athleten haben, die aus freiwilligen Stücken diese Botschafterfunktion übernehmen und sich dann für Menschenrechte stark machen", so der Athletenvertreter.
Wolfgang Ischinger pflichtet dem bei. Gesellschaften mit freien Individuen müssten zeigen, dass "unsere Athleten das was sie tun, aus eigenem Antrieb tun. Dass die ihr Knie beugen, nicht weil irgendein Sportfunktionär oder Politiker ihnen das nahelegt. Das finde ich schon sehr wichtig, dass die westlichen Demokratien da versuchen, mit gutem Beispiel voranzugehen."