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Wolfgang Ischinger
"Wir stehen vor einem Scherbenhaufen westlicher Syrien-Politik"

Der Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, fordert die europäischen Staaten zur Entwicklung einer Syrien-Strategie auf. Alle bisherigen Ansätze seien gescheitert. Auch Deutschland müsse mehr tun, als lediglich einen isolierten Militärschlag abzulehnen, sagte er im Dlf.

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Ischinger
    Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Ischinger (dpa/Sven Hoppe)
    "Wo bleibt eine deutsche Initiative, um die EU hier zu positionieren?" fragte Ischinger. Er schlug vor, eine Sondersitzung des Europäischen Rates einzuberufen, um eine Haltung zum Umgang mit Chemiewaffen zu erarbeiten, aber auch um die Fragen zu klären, wie sich das Verhältnis zur Türkei weiterentwickeln solle oder wer den Dialog mit Putin und den nahöstlichen Nachbarn aufrechterhalten solle. "Wir als 500 Millionen Europäer, die wir doch diejenigen sind, die die Folgen dieser Militäreinsätze in dieser Region mehr zu tragen haben als alle anderen - was statt Wegschauen wollen wir tun?" Er warte auf einen europäischen Plan und eine europäische Friedensinitiative.
    Mit Blick auf die Äußerungen von Trump und Putin sagte Ischinger, es komme ihm vor, als wenn sich "zwei auf dem Schulhof mit möglichst dicker Hose" beeindrucken wollten. Trumps Tweets bezeichnete er als "schlechteste Form der Außenpolitik". Russland setze derweil seine Politik der Einschüchterung, Verwirrung und Manipulation von Informationen fort.
    Das Risiko einer direkten militärischen Konfrontation zwischen den USA und Russland hält Ischinger für gering. Ihn überrasche, wie schnell die Menschen sich in Kriegsangst versetzen ließen. Vergleiche mit dem Kalten Krieg seien falsch. "Wer solche Vergleiche heranzieht, eskaliert verbal und schafft Ängste, die aus meiner Sicht unbegründet sind."

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Morgen sollen die Experten der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) in Syrien ihre Arbeit ja aufnehmen und der Frage nachgehen, welche Substanzen da abgeworfen wurden – bei dem jüngsten Angriff auf die Stadt Duma – und wer hinter der Attacke steckt. Vom französischen Präsidenten Macron hieß es gestern schon, Frankreich habe Beweise dafür, dass die syrische Regierung Giftgas eingesetzt hat. In Moskau dagegen spricht man vom Märchen eines Chemiewaffenangriffs. Was die USA vorhaben, das ist nach wie vor völlig unklar. Moskau mahnt zur Besonnenheit. Beim russischen UN-Botschafter in New York, da klingen allerdings nach einem neuerlichen Treffen auch andere Töne an.
    Nach der Ankündigung Trumps, die Raketen würden kommen, von Mitte der Woche, da gab es gestern ja die Relativierung. Aber wann, das stehe noch nicht fest. Das könne bald sein, aber auch nicht so bald. Und jetzt heißt es aus dem Weißen Haus, eine Entscheidung sei noch gar nicht gefallen. – Wir wollen darüber in den nächsten Minuten sprechen. Am Telefon ist Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz und früherer Botschafter in den USA. Schönen guten Morgen.
    Wolfgang Ischinger: Ja, guten Morgen.
    Schulz: Das ist jetzt ja ein ziemliches Hin und Her. Könnte diese Verwirrung Strategie sein?
    Ischinger: Ich will es mal etwas salopp so formulieren: Mir kommt das so vor, als wären da zwei auf dem Schulhof, die sich gegenseitig mit möglichst dicker Hose beeindrucken wollen. Trump tweetet; das ist nach dem Urteil aller Experten so ungefähr die schlechteste Form der Außenpolitik, insbesondere wenn man Dinge ankündigt, die man dann nicht verwirklicht. Das ist Ankündigungspolitik. Russland setzt seine Politik der Einschüchterung und der Verwirrung und der Manipulation der Fakten fort. Auf beiden Seiten sehe ich unverantwortliches Handeln. Das ist erschreckend, aber es ist kein Anlass zur Panik.
    Ich bin, muss ich ganz ehrlich sagen, ein bisschen entsetzt über die geringe Schwelle, die anscheinend wesentliche Teile auch der deutschen Bevölkerung haben, um in absolute Kriegspanik zu geraten. Es ist nicht eine Lage wie im Kalten Krieg, als sich die Nuklearpotenziale der Sowjetunion und der USA in der Kuba-Krise gegenüberstanden. Wer solche Vergleiche heute heranzieht und von einer großen Kriegsgefahr redet, der eskaliert verbal. Der schafft Ängste, die aus meiner Sicht in dieser Form völlig unbegründet sind.
    "Wegschauen kann keine politische Antwort sein"
    Schulz: Ich glaube auch, dass die Konstellation jetzt eine ganz andere ist. Aber der Blick darauf, wenn Washington zu schärferen Luftangriffen greifen könnte, dass es dabei zu möglichen, und seien es Treffer aus Versehen in Richtung russischer Truppen kommen würde, das bringt sicherlich viele Beobachter in Unruhe. Und auch Ihren Vergleich mit der Schulhof-Rauferei in der Weltpolitik, muss ich sagen, finde ich nicht unbedingt eine Beruhigungspille. Wenn wir auf die Konstellation schauen: Donald Trump ist ja jetzt nicht der Erste, der auf die Idee kommt, oder dem man vorwerfen kann, etwas anzukündigen, was er nicht macht. Das ist jetzt im Syrien-Konflikt eigentlich die Erfindung von Barack Obama gewesen, der die roten Linien gezogen hat, aber dann keine Konsequenzen. Ist das jetzt ernsthaft der größte Vorwurf an Donald Trump?
    Ischinger: Wir stehen, nachdem dieser Syrien-Konflikt vor nunmehr fast sieben Jahren begonnen hat, vor einem Scherbenhaufen westlicher, im Übrigen damit auch europäischer und deutscher Syrien-Politik. Ich kann daran erinnern, dass auch wichtige Vertreter der Bundesregierung vor Jahren getönt haben, Assad muss weg. Was wir jetzt erleben ist, dass Assad nicht nur im Amt bleibt, sondern von wesentlichen äußeren Kräften unterstützt wird. Die USA haben sich als zentraler Akteur ja schon aus dem Rennen genommen. Trump hat vor kurzem angekündigt, dass er beabsichtige, die in Syrien sitzenden amerikanischen Einheiten zurückzuziehen – also eine noch geringere Rolle.
    Ich glaube, dass wir sehr schonungslos sehen müssen, dass unsere Ansätze westlicher Syrien-Politik gescheitert sind. Und der Versuch, auf die jetzige Lage mit Vergeltungsschlägen wegen des unterstellten C-Waffen-Einsatzes zu reagieren, das ist aus meiner Sicht kein Ersatz für eine nicht vorhandene Politik. Wenn man mir erklären könnte, was nach einem Vergeltungsschlag, sagen wir mal, gegen eine Chemieanlage in Syrien dann als nächster Schritt stattfinden soll, um Syrien wieder auf den Weg der Tugend zurückzuführen, dann würde ich gerne zuhören. Aber so etwas höre ich nicht.
    Ein Vergeltungsschlag alleine führt zu gar nichts, außer zu einem vielleicht gewissen Reputationsgewinn, und deswegen hat aus meiner Sicht die Bundeskanzlerin in dieser Frage auch durchaus richtig entschieden, dass wir uns an einem solchen Schlag nicht beteiligen würden. Aber jetzt kommt aus meiner Sicht der entscheidende Punkt: Wenn Deutschland zu diesem Plan Nein sagt, dann muss die nächste Frage lauten, was ist denn dann unser Plan. Denn Wegschauen, während C-Waffen ganz offensichtlich ja von wem auch immer eingesetzt werden, Wegschauen kann keine politische Antwort sein. Wir müssen befürchten, …
    Schulz: Herr Ischinger, geben Sie mir die Gelegenheit, auch eine Frage zu stellen, zumal Sie genau die Frage aufwerfen, von der ich sehr hoffe, dass Sie uns mit einer Antwort weiterhelfen können. Was wäre denn der Plan? Die Dilemma-Situation, die ist vollständig beschrieben. Die ist seit Jahren vollständig beschrieben. Aber an dem Szenario, an dem Problem, dass der Westen eigentlich keine Handlungsoption hat, was soll sich denn da ändern?
    Ischinger: Na ja. Es ist natürlich jetzt nach sieben Jahren des gegen die Garagenwand Fahrens schwer, mit einer Patentlösung aufzuwarten. Aber in der aktuellen Lage, in der wir uns befinden, glaube ich, fehlt mir die europäische Komponente. Sie berichten im Radio oder im Fernsehen, die USA beraten sich mit Großbritannien und Frankreich. Wo, bitte, ist denn die deutsche Große Koalition, die gerade auf langen Seiten in ihrem Vertrag angekündigt hat, dass man eine schlagkräftigere handlungsfähige Europäische Union schaffen wolle? Wo bleibt die EU und wo bleibt eine deutsche Initiative, um die Europäische Union hier zu positionieren?
    Mal ganz aktuell gesagt: Wenn wir uns, was ich richtig finde, so äußern, dass wir einen solchen isolierten Militäreinsatz nicht für etwas halten, an dem wir uns beteiligen wollen, warum machen wir dann nicht den Versuch, zumindest eine Sondersitzung des Europäischen Rats einzuberufen, um eine gemeinsame europäische Position zu der Frage zu erarbeiten, wie gehen wir mit dem Einsatz von C-Waffen um, der ja anscheinend nicht nur in Syrien, sondern auch in England vorgekommen ist. Dem muss Einhalt geboten werden. Ich befürchte, dass an anderen Stellen der Welt demnächst auch C-Waffen eingesetzt werden.
    "Ich warte auf eine europäische Friedensinitiative"
    Schulz: Das verstehe ich als Appell für den ersten Schritt, dass Deutschland jetzt, dass Berlin jetzt erst mal seine europäischen Partner davon überzeugen soll – Sie korrigieren mich, wenn ich Sie falsch verstanden habe –, von diesen Interventionen in Syrien jetzt abzusehen. Mit welchen Argumenten soll Berlin das machen, wenn der französische Präsident Macron jetzt schon sagt, wir haben ja die Beweise, dass es diesen Giftgas-Angriff gegeben hat?
    Ischinger: Nein, nein, nein! Der Sinn einer solchen europäischen Abstimmung soll ja nicht sein, erneut einfach nur zu irgendetwas Nein zu sagen. Sondern der Sinn soll sein, eine Position zu erarbeiten zu der Frage, wie wollen wir unser Verhältnis zu der Türkei gestalten, die im Augenblick in Syrien ja auch militärisch agiert. Wer redet eigentlich in den nächsten Tagen, mal abgesehen von der Bundeskanzlerin, die das erfreulicherweise unermüdlich tut, wer redet eigentlich mit Putin? Wir brauchen das Gespräch, auch wenn es manchmal unangenehm ist oder wehtut, oder wenn man das Gefühl hat, angelogen zu werden.
    Wir brauchen das Gespräch. Wie wollen wir mit den nahöstlichen Nachbarn, den Saudis, wie wollen wir mit dem Iran umgehen? Wir als 500 Millionen Europäer, die wir doch diejenigen sind, die die Folgen dieser Militäreinsätze in dieser Region mehr zu tragen haben als alle anderen, weil die Folgen ja bei uns bereits angekommen sind. Es geht um die Frage, was statt Wegschauen wollen wir als 500 Millionen Europäer tun. Ich warte auf den europäischen Plan und ich warte auf eine europäische Friedensinitiative. Ich halte es nicht für hinnehmbar, dass wir die Erwartungen aller unserer Partner und Nachbarn weit über Europa hinaus enttäuschen, indem wir so tun, als wäre das eine Aufgabe, die anderen vorbehalten bleibt, und 500 Millionen Europäer schauen weg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.