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Wolfgang Windgassen
Nicht für den Kult um einen Startenor geeignet

Er war ein gefeierter Wagner-Tenor bei den Bayreuther Festspielen der 50er- und 60er-Jahre des vorigen Jahrhunderts. Dort verkörperte er alle Wagner-Rollen und war einer der engsten Mitarbeiter eines Wagner-Enkels: der Opernsänger Wolfgang Windgassen. Vor 100 Jahren wurde der Tenor geboren.

Von Wolfgang Schreiber |
    Der Sänger (Tenor) und Operndirektor Wolfgang Windgassen (1914-1974) in einer "Meistersinger"-Aufführung.
    Der Tenor Wolfgang Windgassen faszinierte auch durch seine geschmeidige Stimmkunst, wie bei dieser Aufführung des "Meistersinger". (picture-alliance / dpa )
    "Unser ganzes Dichter- und Komponisten-Schaffen ist nur WOLLEN, nicht aber KÖNNEN: Erst die DARSTELLUNG ist das Können, ist die Kunst."
    Das schreibt Richard Wagner an Franz Liszt. Wagner vertraute seinen Künstlern, er glaubte an die Sänger, wie Wolfgang Windgassen einer gewesen ist. Der Wagner-Interpret Windgassen wurde zu einer Schlüsselfigur bei den Bayreuther Festspielen gleich nach dem Zweiten Weltkrieg. Alle großen Tenor-Rollen Wagners, die im Festspielhaus gefragt sind, sang Windgassen dort. Natürlich den Siegmund in der "Walküre" - hier in einer Live-Aufnahme von 1956.
    Wolfgang Windgassens große Begabung war der Tenorgesang mit schlankem Stimmtimbre, klarer Diktion und ehrlicher Charakterzeichnung. Mit dem keuchenden Schwergewicht der Wagnerhelden von einst hatte er nichts mehr zu tun. Der am 26. Juni 1914 bei Genf geborene Sohn eines Sängers, eines Tenors, begann seine Karriere am Stadttheater Pforzheim. An der Staatsoper Stuttgart sang er zuerst lyrische Partien, auch Rollen im italienischen Fach. Dann erst kam der Durchbruch in Bayreuth. Er war gefragter Gastsänger in ganz Europa, in Amerika. Wer den Künstler im Interview reden hört, versteht auch, dass er für den Kult um den Startenor nicht geeignet war. Windgassens künstlerisches Zuhause blieb das Opernhaus in Stuttgart.
    "1957 war ich in New York an der Metropolitan, und sonst bin ich jedes Jahr in London, in Italien, in Frankreich und in Wien an der Staatsoper - und selbstverständlich hier in Stuttgart, wo ich fest engagiert bin."
    Enger Mitarbeiter des Wagner-Enkels Wieland
    Wolfgang Windgassen singt die Rolle des Max in Carl Maria von Webers "Freischütz", er faszinierte auch hier durch seine geschmeidige Stimmkunst. Bei den Bayreuther Festspielen war Windgassen der engste Mitarbeiter des Regisseurs und Wagner-Enkels Wieland Wagner, der seinen Tenor - bewundernd und scherzhaft - gern "Mein Held" nannte. Windgassens künstlerische Solidarität war eine Stütze für Wieland Wagner, der nach dem Weltkrieg hart darum kämpfen musste, die Festspiele zu modernisieren, sie endlich von der Deutschtümelei zu befreien, auch von der Schande des Teufelspakts mit Hitler und dem Nazi-Staat. Windgassen sang in Bayreuth den Tannhäuser und den Lohengrin, Siegmund und Siegfried, den Stolzing, den Parsifal - und natürlich den Tristan.
    Einteilung der Tenor-Kraft
    Auf die Frage, wie er nach zwei schweren Tristan-Akten den kräftezehrenden dritten mit dem dahinsiechenden Helden bewältige, antwortete Windgassen sehr einfach und unspektakulär. Woher nahm er also seine Tenor-Kraft?
    "Ich glaube, das ist erstens eine Veranlagungsfrage und zweitens eine Frage der Einteilung. Wo ich sie hernehme, weiß ich manchmal selber nicht, denn man ist ja auch nicht jeden Tag ... physisch gleich stark. So wird eben der dritte Akt immer ein sehr anstrengender Akt. Und man muss sich das eben so im Lauf des Abends ein bisschen einteilen und auf diesen letzten Akt zusteuern."
    Als der Wagner-Enkel Wieland 1966 starb, war es der Tenor Wolfgang Windgassen, der am offenen Grab - neben Ernst Bloch, Pierre Boulez und Carl Orff - seine Trauer in bewegte Worte fasste. Acht Jahre später starb Wolfgang Windgassen in Stuttgart, wo er in seinen letzten Lebensjahren an der Staatsoper mit dem Regieführen begonnen hatte und dort sogar künstlerischer Direktor geworden war.