"Wir haben Ausschnitte vom Ende des vierten und Anfang des fünften Buches gefunden und da wird beschrieben, wie Parzival seine Frau verlässt, um auf Abenteuer gehen. Er will seine Mutter suchen, aber die ist tot."
Ja, die Geschichte des Ritters Parzival hat es Matthias Eifler angetan. Das ist dem wissenschaftlichen Mitarbeiter im Handschriftenzentrum der Universitätsbibliothek deutlich anzumerken. Dr. Christoph Mackert, der Leiter des Handschriftenzentrums Leipzig stellt den Fund genauer vor:
"Das ist die Textstelle, an der Parzival aufbricht und zur Gralsburg gelangt: Parzival, der hup sich dan. Er begvnde wacherlichen draben. Den rehten phat vnz an den graben ."
Es sind genau diese Zeilen im Mittelhochdeutschen aus dem umfangreichen Werk des Dichters Wolfram von Eschenbach aus dem Jahr 1210, die Historiker im vergangenen Jahr aufgespürt und am Dienstag in Leipzig der Öffentlichkeit präsentiert haben. Sie stammen aus dem vierten und fünften Buch des Parzival.
Die Erzählung in Versform ist eines der einflussreichsten Werke der mittelhochdeutschen höfischen Literatur. Bei dem aufgefundenen Fragment könnte es sich um einen der ältesten Textzeugen der Dichtung von Wolfram von Eschenbach handeln. Sie waren gut versteckt, die Parzival-Fragmente: In der Falz eines Messbuchs aus dem Jahr 1411 aus der Domstiftsbibliothek im sachsen-anhaltinischen Naumburg, Matthias Eifler beschreibt, wie er die Parzival-Fragmente gefunden hat:
"Das heißt, ich muss, wenn ich so eine Handschrift untersuche, sowohl den Inhalt bestimmen, als auch die äußeren Faktoren, wie den Einband, die Makulatur, die Wasserzeichen. Es gibt weiterhin aber auch sogenannte Falzfragmente, das heißt, in den Lagen im Inneren sind schmale Pergamentstreifen eingefügt, um der Papierlage besseren Halt zu geben."
Gefunden nach dem Recycling
Heute würde man wohl sagen, dass Buchbinder das wertvolle Pergament recyclet haben. Bei der genaueren Betrachtung der Buchfalz gab es dann die Überraschung:
"Das hat man relativ schnell entdecken können, weil dann die Zeile sichtbar war: Parzival, der hub sich dann... Es war relativ schnell klar, um welchen Text es sich handelt."
Jörg Graf, der Leiter der Restaurierungswerkstatt der Universitätsbibliothek in Leipzig war dann zuständig für die Feinarbeit - das vorsichtige Herauslösen der Pergamentstreifen aus dem Trägerbuch:
"Die Streifen liegen mitten im Falz und dort läuft eine Heftung lang, damit die Seiten nicht auseinanderfallen. Die Heftfäden sollen nicht zerschnitten werden. Das wäre ein kapitaler Einschnitt. Die Aufgabe war die Heftung zu erhalten, und die Streifen trotzdem herauszubekommen."
Zwei Tage lang hat Restaurator Graf daran gearbeitet, mit Hilfe von Klammern, die das Buch sanft geöffnet haben. Nun sind die vier Streifen mit den schwarzen geschwungenen Schriftzeichen zusammengefügt zu sehen, gut geschützt hinter einer UV-blockenden Glasscheibe. Sie sind etwa so breit wie ein Stück Tesa-Film und knapp zehn Zentimeter lang. Daneben liegt - auf weichen Kunststoffstützen - das Trägerbuch, das mit schweren Ledereinband und einer dicken Buchkette versehen ist.
Christoph Mackert, Germanist, Kunsthistoriker und Leiter des Handschriftenzentrums erläutert die Analyse der Schriftzeichen:
"Hier sind die Verse schon in abgesetzten Zeilen geschrieben, das ist ein neues Layout-Feature, was in deutschsprachigen Handschriften erst um 1215/1220 greifbar wird. Und das ist ein Datum, vor das wir nicht zurückgehen wollen."
Eines der ältesten Fragmente
Ein Jahr lang wurde das Fundstück im Handschriftenzentrum untersucht. Das Ergebnis: Der Text stammt aus dem ersten Viertel des 13. Jahrhunderts und ist damit eines der ältesten Fragmente der Erzählung von Wolfram von Eschenbach – das Original ist verschwunden. Das Pergament besteht aus vier dünnen Papierstreifen und zeigt nur 25 der 25.000 Verse des Werks. Doch dass die Literaturgeschichte nun umgeschrieben werden muss, das glaubt Matthias Eifler nicht:
"Nein, das auf keinen Fall. Das ist eines von vielen Funden. Es ordnet sich in die Überlieferung ein. Es sagt uns nichts vollkommen Neues über Eschenbach oder das Werk, aber es ist ein wichtiges Zeugnis für dieses Werk. "
Da die Original-Handschrift verschwunden ist, sei es umso wichtiger, mit Fragmenten wie diesem zur ursprünglichen Fassung vorzudringen.
Ähnlich sieht es auch Christoph Mackert, der nun darauf verweist, dass die Naumburger Fragmente mit anderen Fragmenten des Parzival in Beziehung gesetzt werden müssen. Vor allem Fragmente aus dem 13. Jahrhundert, die in München liegen, sind dabei interessant.
Ähnlich sieht es auch Christoph Mackert, der nun darauf verweist, dass die Naumburger Fragmente mit anderen Fragmenten des Parzival in Beziehung gesetzt werden müssen. Vor allem Fragmente aus dem 13. Jahrhundert, die in München liegen, sind dabei interessant.
"Die früheste Überlieferung des Parzival ist eine Fragmentform. Die liegen im München, die sind im Ausgang des ersten Jahrhundertviertels datiert. Und dann setzt ab ca. 1250 die Hauptüberlieferung, auch mit vollständigen Handschriften ein. "
Die Handschriften der Naumburger Domstiftsbibliothek werden derzeit von einer Wissenschaftlerkooperation untersucht. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützt dieses Projekt, das mittelalterliche Handschriften aus Sammlungen im mitteldeutschen Raum digitalisieren und erschließen will.
Da es sich bei der Forschung um bisher völlig unbekannte Bestände handelt, bieten diese nach Ansicht der Wissenschaftler großes Potential für Neuentdeckungen. Und so ist das "Parzival"-Fragment nicht die erste aufsehenerregende Neuentdeckung, die dem Wissenschaftler-Team gelang: Bereits im Jahr 2011 wurde das älteste sorbische Textzeugnis am Rande einer Handschrift aus dem Kloster Jauernick bei Görlitz entdeckt.
Ab dem ersten Juli wird das Parzival-Fragment dann in der Naumburger Welterbe-Ausstellung präsentiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. .