Die Geburtsstunde der Pop Art war nicht besonders glamourös. Jedenfalls nahm seinerzeit kaum jemand von ihr Notiz. Eduardo Paolozzi, junger schottischer Kunststudent italienischer Abstammung, hat sich im Jahr 1947 für zwei Jahre an der Pariser Kunstakademie eingeschrieben und macht dort Bekanntschaft mit einigen Größen der französischen Moderne.
Er lernt die Collagetechniken der Surrealisten und Dadisten kennen und findet Zeitschriftenmagazine aus den USA, die die GI's aus Übersee mitbringen. Designte Frauenkörper, designte Lebensmittel, Comics, Science Fiction. Paolozzi beginnt, diese Motive auszuschneiden und zu neuen Motiven wieder zusammenzusetzen.
So entsteht die Collage "I Was a Rich Man's Plaything", die Überschrift verheißt "Intimate Confessions" und eine bekennende Ex-Geliebte eines Millionärs, eine Frau in verführerischem Outfit, ist zu sehen, eine Männerhand mit Pistole, in deren Rauchwolke das Wort "Pop" erscheint, man sieht knallrote Kirschen, einen US-Bomber und eine Flasche Coca-Cola.
Zurück in London wird Paolozzi vier Jahre später zum Mitbegründer der "Independent Group", eines lockeren Zusammenschlusses aus Künstlern, Kritikern und Architekten. Im neu gegründeten Institute of Contemporary Arts diskutieren sie darüber, wie sich die Grenze zwischen Kunst und Leben, Trivialkultur und Massenmedien aufheben lässt.
"Eine Urszene des Pop"
Paolozzi hält dazu einen Vortrag unter dem Titel "Bunk", was soviel wie "Quatsch" bedeutet, und schiebt wortlos eine Bilderfolge von Collagen aus Illustrierten und Science-Fiction-Magazinen durch einen Projektor. Ralf Beil, Kurator und Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg:
"Das sind eben dann die nackten Männer mit den Leopardenhosen, die ein Auto stemmen, daneben steht 'Bunk'/'Nonsens', da wird sozusagen mit Sexualität, mit Mobilität, mit Urbanität mit Science Fiction, mit Comics gearbeitet, das ist eben eine ganz andere Inhaltlichkeit, die eben dieses High and Low, was dann nachher bei der Pop Art ganz wesentlich ist. Pop Art avant la lettre, es war völliges Unverständnis, sie wussten nicht, was das eigentlich sein sollte, und bei Paolozzi, bei dieser Bunk-Serie ist es definitiv so, dass es eben eine Urszene des Pop ist."
"Das sind eben dann die nackten Männer mit den Leopardenhosen, die ein Auto stemmen, daneben steht 'Bunk'/'Nonsens', da wird sozusagen mit Sexualität, mit Mobilität, mit Urbanität mit Science Fiction, mit Comics gearbeitet, das ist eben eine ganz andere Inhaltlichkeit, die eben dieses High and Low, was dann nachher bei der Pop Art ganz wesentlich ist. Pop Art avant la lettre, es war völliges Unverständnis, sie wussten nicht, was das eigentlich sein sollte, und bei Paolozzi, bei dieser Bunk-Serie ist es definitiv so, dass es eben eine Urszene des Pop ist."
Ob Paolozzi und seine Mitstreiter wirklich nicht so genau wussten, was sie da taten, ist umstritten. Womöglich sahen sie sich als Avantgardisten, Künder einer neuen Kunstwelt, womit sie ja auch durchaus recht behalten sollten.
"Verschmelzung von High und Low"
Fast ein Jahrzehnt vor Allan Kaprows erstem Happening in den USA hatten sie eine Kunstform entwickelt, wie geschaffen, um das flüchtige Alltagsleben abzubilden und den Verlust des großen Fortschrittsglaubens der Moderne, der in der Nachkriegskonsumwelt wie eine Karikatur seiner selbst wiederkehrte. Kuratorin Uta Ruhkamp:
"Es ist eine junge Generation von Künstlern und das ist eben auch das, was Lawrence Alloway als großer Theoretiker eben in der Zeit, der sagt, es ist das Ende einer Zeit, in der humanistische Ideale bestimmt haben, was bildwürdig ist, was die Ideale eben in der Kunst sind, und eine Longfront of culture sozusagen entsteht, eine ganz breite Kulturfront, wo sich dann, wie es sich in Amerika schon früher abgezeichnet hat, eine Verschmelzung von High und Low gegeben hat, die sich dann nachweislich in den sechziger Jahren auch in den Werken manifestiert."
Die Überblicksschau im Kunstmuseum Wolfsburg stellt in einer fast szenischen Collage die wichtigsten Künstlerinnen und Künstler vor, die die Entwicklung in England weiter vorantreiben. Die Inszenierung mittels aufwendiger Ausstellungsarchitektur hat Direktor Ralf Bei schon während seiner Zeit an der Darmstädter Mathildenhöhe perfektioniert.
Die Konsumwelt als ironisch glitzerndes Gesamtkunstwerk
In der hohen Haupthalle des Kunstmuseums sind stilisierte Straßen, Plätze und Künstlerhäuser unterschiedlicher Zuschnitte entstanden, die die Nachbarschaften unterschiedlicher Positionen während der "Swinging Sixties" verdeutlichen. David Hockney und R.B. Kitaj, Peter Blacke und Allan Jones und die bislang kunsthistorisch schwer vernachlässigten weiblichen Positionen von Pauline Boty oder Jann Haworth.
Hinter jeder Fassade steckt eine Geschichte: Wie David Hockneys Kampf um Respekt für seine Homosexualität und Pauline Botys feministische Entlarvung einer phallozentrischen Kunstgeschichte. Preziose im Zentrum ist freilich der seinerzeit vom Künstler selbst autorisierte Nachbau von Richard Hamiltons "Fun House", einer multimedialen Archi-Skulptur, die die Konsumwelt als ironisch glitzerndes Gesamtkunstwerk vorstellt – geboren aus dem Smog und den rauchenden Trümmern des kriegszerstörten Londons.