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Wolfsburger Museumsdirektor muss gehen
"Man wollte diese Art von Selbstdarstellung nicht länger ertragen"

Das Aus für den Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg sei ein Paukenschlag, berichtet Carsten Probst im Dlf. Ralf Beil selbst beklagte fehlende künstlerische Freiheit und Unabhängigkeit am Museum. Sein Arbeitgeber spricht von einer "ordentlichen Kündigung".

Carsten Probst im Gespräch mit Maja Ellmenreich |
    Ralf Beil steht vor einem grauen Hintergrund, er schaut in die Kamera, in einem Spiegel ist er hinter Maschendrahtzaun zu sehen.
    Museumsmacher Ralf Beil (Julian Stratenschulte/dpa)
    Maja Ellmenreich: Um Punkt 14.00 Uhr heute Mittag endete die aktive Amtszeit für den Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg, für Ralf Beil – das war für ihn überraschend, so wie auch die Kunstszene drumherum von der plötzlichen Kündigung nichts geahnt hatte. Ralf Beil steckte eigentlich in den Vorbereitungen für zwei Großprojekte: "25 Jahre Kunstmuseum Wolfsburg" im kommenden Jahr und eine Ausstellung über "Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters" – die soll im nächsten Herbst zu sehen sein. In einer öffentlichen Mail, die auch uns bei "Kultur heute" erreichte, formulierte es der geschasste Museumsdirektor folgendermaßen: "Die künstlerische Freiheit für diese Großprojekte sei am Kunstmuseum Wolfsburg offenbar nicht mehr gegeben." Und weiter: "Die Akzente seit seinem Amtsantritt hätten sich verschoben, damals seien ihm kuratorische Freiheit und Unabhängigkeit fest zugesichert worden." – Soweit Ralf Beils Worte zu seinem Rauswurf.
    Die andere Seite, das Kunstmuseum Wolfsburg, formuliert es förmlicher: Herr Dr. Beil sei von seinen Dienstpflichten freigestellt. Man beruft sich auf einen Beschluss des Kuratoriums der Kunststiftung Volkswagen, spricht von langen Verhandlungen mit Ralf Beil, von der Fortzahlung der Vergütung und der ordentlichen Kündigung zum 30.06.2019. Was ist da los in Wolfsburg? Darüber möchte ich jetzt mit unserem Kunstkritiker Carsten Probst sprechen. Ist das ein Eklat - oder doch eine Eskalation mit Ansage, von der die Öffentlichkeit bislang nur noch nichts mitbekommen hatte?
    Carsten Probst: In dieser Form ist es natürlich ein Paukenschlag sondergleichen. Grundsätzlich muss man aber sagen, dass Ralf Beil schon einen völlig neuen Ton an das Kunstmuseum Wolfsburg gebracht hat, als er 2015 den Direktorenposten übernahm. Schon bei der ersten großen Ausstellung, die er kuratiert hat, die nannte sich "Wolfsburg unlimited", im Frühling 2016 hat er so ein Porträt der Stadt Wolfsburg in ihrer Abhängigkeit vom VW-Konzern und sozusagen ein Porträt der Macht des Volkswagen-Konzerns für das Wohl und Wehe der Stadt gezeichnet. Mit unverkennbar ironischen Anspielungen einschließlich alter Seilschaften zwischen NS-Staat und Nachkriegs-Wirtschaftswunder-Zeit, oder dem Direktorenkult, der sich rund um die frühe Führungsebene des VW-Konzerns entspann. Das war, wie gesagt, 2016, da kam der Abgas-Skandal so richtig ins Rollen, und ich erinnere mich, dass ich viele Menschen in der Stadt gehört habe, die in der Zeit jedenfalls sehr empfindlich darauf reagierten, und es wirklich nicht lustig fanden, dass eine Ausstellung jetzt auch noch den Konzern hochnimmt. Da kam ein psychologischer Effekt hinein, den man so in einer Ausstellungsrezeption sicher nicht einplanen kann. Und womöglich ist es so, dass man nun Beils neues Projekt über die Schönheit und den Schrecken des Erdöl-Zeitalters in Wolfsburg für nicht mehr so ganz zumutbar hielt, weil - obschon das Programm dieser Ausstellung, was hier präsentiert wurde, nicht über das hinausgeht, was wir täglich in den Zeitungen über das Thema erfahren - trotzdem wollte man diese Art von Selbstdarstellung nicht länger ertragen.
    "Kuratorischer Freiheit sind immer Grenzen gesetzt"
    Ellmenreich Die Stellungnahme von Ralf Beil ist ja deutlicher und pointierter als die von der anderen Seite, von der Kunststiftung Volkswagen und vom Kunstmuseum selbst. Halten Sie Ralf Beils Darstellung für plausibel, dass man seine kuratorische Freiheit in Wolfsburg eingrenzen wollte?
    Probst Allgemein gesprochen würde ich sagen, kuratorischer Freiheit sind immer Grenzen gesetzt, Museen sind nun keine Orte absolut unabhängiger Wahrheitssuche, und erst recht keine Museen, die an privaten Stiftungen hängen, wie im Fall Wolfsburg. Insofern ist Ralf Beils Darstellung grundsätzlich plausibel und wäre an sich auch kein Eklat. Der Eklat ist für mich der Umgang damit: Mit Beil wird ja gerade so umgegangen, als hätte er in die Kasse gegriffen oder Mitarbeiter belästigt. Dass man nicht in der Lage war, sich inhaltlich zu einigen, obwohl man offenkundig seit längerem in Gesprächen war miteinander, das ist ein Armutszeugnis für die ganze Geschäftsführung, für die Kunststiftung Volkswagen, die das Museum ja inhaltlich trägt, und das wird dem Museum auf die Füße fallen. Einen Direktor zu beurlauben, obwohl er sich möglicher Weise keines Fehlverhaltens schuldig gemacht hat, sondern seine Aufgaben erledigt hat, das würde die Reputation des Hauses auf Dauer wirklich schwer schädigen. Und welcher profilierte Museumsmensch, frage ich mich, lässt sich denn künftig auf solche Bedingungen ein?
    Ellmenreich: Wolfsburg ist ja nicht weit entfernt von Berlin – gerade mal eine Stunde mit der Bahn. Und vor 25 Jahren, als das Kunstmuseum Wolfsburg eröffnet wurde, wollte man ja auch vom Hauptstadttrubel profitieren, wollte die Berliner nach Wolfsburg ins Museum locken mit großen, aktuellen Ausstellungen. Wie sehen Sie jetzt die Zukunft des Museumsstandortes Wolfsburg?
    Kunststiftung Volkswagen äußerte sich nicht gegenüber dem Dlf
    Probst: Ja, das müssen sich die Verantwortlichen bei der Kunststiftung Volkswagen fragen, Gesprächspartner dort waren heute nicht zu bekommen, man hat sich verleugnen lassen oder Anrufbeantworter geschaltet. Den Verantwortlichen muss jetzt klar sein: die Mitarbeiter im Museum stehen unter Schock, die gesamte programmatische Ausrichtung ist in Frage gestellt, das Kunstmuseum wird leiden, auch in der Reputation. Im Moment sind da ganz viele Fragen offen und ich bin sehr gespannt, wie sich die Kunststiftung inhaltlich zu der Sache äußert, das ist dringend notwendig.
    Ellmenreich: Und es stehen ja auch Großprojekte an, das 25-jährige Jubiläum ist kein Pappenstiel. Erklären Sie doch kurz, Volkswagen, die Stiftung, das Museum, der Konzern - wie passt das alles zusammen bzw. wie unabhängig sind die alle voneinander?
    Probst: Das Kunstmuseum Wolfsburg ist selbst eine private und gemeinnützige Stiftung bürgerlichen Rechts, und die Kunststiftung Volkswagen ist die Geschäftsführerin genau dieses Museums, dafür ist sie da. Die Anschubfinanzierung für das Kunstmuseum und auch für die Stiftung kam von VW, von der Stadt Wolfsburg und von privaten Spendern. Aber der Bau selbst und der Unterhalt des Museums wird jetzt von der Holler-Stiftung getragen, die sitzt in München und entspringt dem Eigentum der VW Versicherung - also, es gibt Verknüpfungen, die unmittelbar finanzielle Abhängigkeiten stiften, und insofern muss man davon ausgehen, dass auch bei dieser Entscheidung der Kunststiftung Volkswagen natürlich der Konzern indirekt mitgewirkt hat.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.