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Wolkenphysik
"Wem gehört das Wasser in den Wolken?“

Ein Verfahren, um Wolken gezielt abregnen zu lassen, gibt es bislang nicht. Dabei ist den Forschern im Prinzip klar, wie Regen entsteht: Aus Millionen winziger Tröpfchen wachsen in Wolken große Regentropfen heran. Allerdings geschieht das in der Natur viel schneller als laut Theorie erlaubt. Nun gibt es eine Erklärung dafür.

Von Ralf Krauter |
Regenwolken
Turbulenz in der Schlüssel zum Verständnis der Tropfenbildung in Wolken, so der Max-Planck-Direktor Eberhard Bodenschatz (imago )
Wenn man mit Eberhard Bodenschatz über seine Forschung spricht, kommt er schnell von Tropfen auf Tröpfchen. Denn die Frage, wie aus Millionen mikrometergroßen Wassertröpfchen in einer Wolke hundertfach größere Regentropfen heranwachsen, treibt den Physiker um.
"Die Frage ist: Wie entsteht dieser Regen?" Im Prinzip sei die Sache klar, erklärt der Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen.
"Die Dicken fallen schneller als die Dünnen. Wenn ich kleine Tröpfchen habe und ein großes, das runterfällt, dann trifft es mehrere kleine Tropfen – weil so eine Wolke ist ja bis zu ein, zwei Kilometer dick. Und wenn diese 10 Millionen Tröpfchen dann zusammen sind, habe ich einen Regentropfen."
Soweit so gut. Aber wie entstehen die etwas größeren Wassertropfen, die diesen Wachstumsprozess anstoßen? Welcher Mechanismus bringt die Dinge ins Rollen? Hier tappen die Experten im Dunkeln.
"Die Natur regnet einen Faktor 10 schneller als man denkt"
"In der nassen Wolke, wo es kein Eis gibt, wo nichts gefriert, ist die Frage: Wie komme ich von diesen ganz kleinen Tröpfchen auf große Tröpfchen, die dann den Regen erzeugen, indem sie stoßen? Da liegt das Problem. Wir wissen nicht, wie man von den kleinen auf die großen kommt."
Es gibt zwar durchaus physikalische Effekte, die diesen Prozess erklären können, aber nicht in dem Tempo, mit dem er in der Natur stattfindet.
"Wir wissen: Es passiert. Die Natur regnet einen Faktor 10 schneller als man denkt. Warum ist das so?"
Nun darf man von einem Max-Planck-Direktor erwarten, dass er nicht nur Fragen aufwirft, sondern auch Antworten liefert. Eberhard Bodenschatz ist überzeugt: Turbulenz ist der Schlüssel zu allem. Denn die Verwirbelungen feuchter Luft sorgen dafür, dass die feinen Wassertröpfchen mit Karacho durch die Gegend geschleudert werden - wie bei einer Achterbahnfahrt.
"Viele Wolkentröpfchen werden transportiert in einem Wirbel. Der Wirbel knickt ab – und die Teilchen fliegen geradeaus. Auf der anderen Seite ist zufällig noch so ein Wirbel. Und jetzt fliegen die aufeinander zu und treffen sich. Und es ist wahrscheinlich, dass sich dann irgendwelche Teilchen zufällig treffen. Und ich brauche nur sechs Stöße. Nach sechs Stößen ist das Bottleneck vorbei und alles funktioniert wieder."
Forschungen auf der Zugspitze und im Südatlantik
Den Beweis, dass Turbulenz die Wissenslücke der Wolkenphysik, schließen kann, treten Eberhard Bodenschatz und sein Team derzeit auf der Zugspitze an. Mit einem Experiment auf der Umweltforschungsstation Schneefernerhaus, die Wolken aus dem Inntal regelmäßig einhüllen.
"Der Zweck ist die Verfolgung von Wolkenteilchen. Das könnte Eis sein oder Wasser. Und wir wollen rausfinden, wie die sich auf kleiner Skala verteilen."
Um die Myriaden von Partikeln in einer Wolke zu verfolgen, haben die Forscher eine optische Messapparatur auf einer sieben Meter langen Schiene montiert. Sie sendet einen armbreiten Laserstrahl in die Luft, der Wolkentröpfchen beleuchtet – und zwar während einer Messung immer dieselben, weil der Windversatz durch Nachfahren der Apparatur kompensiert wird.
"Wir nehmen da drei Videokameras. Jede macht 15.000 Bilder pro Sekunde mit ein paar Megapixeln, weil die Wolkentröpfchen sich so schnell bewegen. Und dann folgen wir in drei Dimensionen diesen Tröpfchen und wollen rausfinden: Gibt’s Kollisionen? Können wir sagen, wie wahrscheinlich es ist, dass Wolkentröpfchen sich vereinigen? Sehen wir die Auflösung des Bottlenecks einfach im Film? Das ist die Idee."
Sogenannte "Wolkenlöcher" auf der Zugspitze
Mit einem Großrechner in Göttingen berechnen die Forscher aus den Bildern von der Zugspitze die Bewegung jedes einzelnen Partikels. Die ersten Ergebnisse deuten darauf hin, dass Eberhard Bodenschatz mit seiner Turbulenz-Theorie richtig liegen könnte.
"Das Erste, was wir gesehen haben, sind diese Wolkenlöcher. Auf der Zugspitze sind die 20 Meter lang. Und das sind halt starke Wirbel mitten in der Luft. Und da gibt’s keine Tröpfchen drin. Das heißt, wenn ich Licht durchscheine, gibt’s ein schwarzes Loch. Und außen herum ist dann eine große Konzentration von Tröpfchen. Und diese große Konzentration führt vielleicht zur Lösung des Bottelnecks. Weil wo ich mehr Teilchen habe, gibt’s auch eine höhere Wahrscheinlichkeit zum Stoßen. Das haben wir gezeigt auf der Zugspitze. Die Dinger gibt’s."
Um der Fachwelt zu beweisen, dass solche Turbulenz-Phänomene nicht nur auf der wetterexponierten Zugspitze auftreten, ist Eberhard Bodenschatz derzeit mit einem Forschungsschiff im Südatlantik unterwegs. Mit an Bord: Eine Kreuzung aus Lenkdrachen und Heliumballon, die eine Gondel mit Messgeräten trägt. Mit ihr will der Physiker in Äquatornähe ins Innere der dichten Wolkendecke über dem Atlantik schauen. Denn tiefere Einblicke in deren Dynamik, könnten zu präziseren Klimaprognosen führen, sagt der Wolken-Versteher. Die Macht, die das neue Wissen mit sich bringen könnte, bereitet ihm aber auch Sorgen.
Konflikte um Wasserressourcen vorprogrammiert
"Wenn ich die Prozesse in Wolken besser verstehe, kann ich natürlich auch in einer kontrollierten Weise mit Wolken sprechen. Mit anderen Worten: Ich kann Regen verursachen. Alles, was man früher mal versucht hat, das geht vielleicht dann."
Noch ist das Zukunftsmusik. Ein praktikables Verfahren, um Wolken gezielt abregnen zu lassen, gibt es bislang nicht. Falls sich das ändert, sollte die Menschheit aber vorbereitet sein, warnt der Experte – und plädiert für internationale Verträge, die der Manipulation von Wolken Grenzen setzen.
"Wie regulieren wir Geoengineering der Wolken? Das müssen Politiker angehen. Daher bin ich der Meinung, dass man sich zusammensetzen sollte und sagen: Wie gehen wir denn mit Wolken um? Wem gehört denn das Wasser in der Wolke?"
Denn sonst, fürchtet der Physiker, könnten Konflikte um schwindende Wasserressourcen bald nicht mehr nur am Boden ausgetragen werden, sondern auch in der Luft.