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"Women without men"

Die Iranerin Shirin Neshat zählt zu den wichtigsten und populärsten Videokünstlerinnen der westlichen Welt. Ihr neuestes Projekt, der fünfteilige Spielfilm "Women without men", zeigt fünf verschiedene Frauenschicksale in einer islamischen Gesellschaft, die miteinander die Suche nach dem weiblichen Paradies gemeinsam haben. Die ersten beiden gerade fertig gestellten Teile werden sind bis zum 4. Dezember im Museum für Gegenwart in Berlin zu sehen.

Von Carsten Probst |
    Shirin Neshat ist ein Phänomen, als Künstlerin, aber auch von ihrer Biographie her. Ausgerechnet eine Iranerin zählt zu den wichtigsten und dabei zugleich auch populärsten Videokünstlerinnen der westlichen Welt - ihre atmosphärisch dichten, oft hochsymbolischen Kurzfilme sind in allen großen Museen für zeitgenössische Kunst und auf allen bedeutenden Festivals gezeigt worden, in denen sie sich intensiv mit der Rolle der Frau in der islamischen Gesellschaft befaßt. Oft kommen ihre Filme ohne Worte aus, die Bilder, in auratischem Schwarzweiß gehalten, sprechen ihre eigene Sprache und sind dazu meist mit minimalistischer Klangkunst unterlegt, die den meditativen Charakter der Vorführungen zweifellos erhöht.

    Neshat selbst betont immer wieder aufs Neue, dass es im Westen eine weit verbreitete Unkenntnis der islamischen Gesellschaften gäbe, viele festsitzende Vorurteile, und dass man sich viel zu fremd sei, um einander zu verstehen. Sie wehrt sich nicht direkt dagegen, von westlichen Feministinnen vereinnahmt zu werden, aber sie sagt, es wäre ein Irrtum, wenn man glaube, sie würde die Frauen im Islam, nur weil sie einen Schador trügen und ein bestimmtes Rollenmuster ausfüllen müßten, als Opfer darstellen. Im Gegenteil seien diese Frauen sehr, sehr stark, und man müsse keine Feministin sein, um sich für sie zu interessieren. Darin unterscheidet sich Neshat maßgeblich von ihrer berühmten, fast gleichaltrigen Künstlerkollegin Mona Hatoum, die, aus Libanon stammend, die Rolle der Frau als die der Vertriebenen und Unterdrückten thematisiert.

    Neshat versteht sich daher nicht in erster Linie aktuell-politische Künstlerin, auch wenn ihre Werke vor dem Hintergrund der Weltpolitik unfreiwillig so wirken müssen. Ihr Schwarzweißfilm "Rapture" ("Verzückung") von 1999 wird aufgrund seiner eindringlichen Bildsprache im Westen oft als Manifest weiblichen Widerstands im Islam gesehen. Auf zwei einander gegenüberliegenden Leinwänden zeigt er auf der einen Seite die von Kampf und Krieg geprägte Männerwelt, auf der anderen Seite die verhüllten Frauen, die Dichterworte und Koransuren auf ihren Handflächen tragen und betend durch die Wüste zum Meer streben und schließlich in einem Boot in die offene Weite hinausfahren, wobei sie die Männergesellschaft an Land zurückzulassen scheinen.

    Neshat aber sieht darin weniger eine Kampfansage gegen das männliche Prinzip im Islam, als eine Betonung des weiblichen Teils des Paradieses. Um dieses Paradies, die Verzückung zu erreichen, gehen Frauen und Männer gänzlich verschiedene Wege, und dieses Thema beschäftigt sie fortwährend in ihren Arbeiten. Sie zitiert persische Mythologie ebenso wie den Koran und verbotene zeitgenössische Dichterinnen, die sich wie Neshat selbst auf die Suche nach jenem weiblichen Teil des Paradieses gemacht haben. Neshat sagt, die Menschen im Iran hätten nicht gelernt, dass das Paradies von den Geschlechtern vielleicht unterschiedlich gesehen und erlebt wird und dass derzeit nur die männliche Sicht dominant sei.

    Mit 17 Jahren, noch zu Zeiten des amerikafreundlichen Schah-Regimes wurde Shirin Neshat von ihren wohlhabenden Eltern in die USA zum Kunststudium geschickt. Bis heute lebt die Künstlerin in New York, doch ihre wesentliche Inspiration für ihre künstlerische Ausrichtung erhielt sie nach eigener Aussage 1990, als sie unmittelbar nach dem ersten Golfkrieg ihr altes Heimatland wieder besuchte und eine von der islamischen Revolution völlig veränderte Gesellschaft vorfand. Ihre ersten Fotoarbeiten aus den frühen neunziger Jahren reagieren darauf, sie zeigen verschleierte Körperteile der Künstlerin, die mit arabischen Dichterworten beschriftet sind, wobei sich übergroß Gewehrläufe ins Bild schieben.

    Schon hier zeigt sich die Konfrontation der Frauen- und Männerwelt in spirituellen Fragen. Der männlich dominierte, politische Islam ist der des Krieges und des Kampfes, der weibliche der der Dichtung und der Hingabe an das Wort. Neshat wirft den Machthabern in ihrer Heimat vor, den literarischen Islam auszuradieren. Im Westen dagegen versteht man diese Bilder heute vor allem gern als kongenial-künstlerische Vorwegnahme des 11. September oder der sogenannten "Schwarzen Witwen" aus dem Tschetschenienkonflikt.

    Ihr neuestes Projekt, der fünfteilige Spielfilm "Women without men" ("Frauen ohne Männer") zeigt fünf verschiedene Frauenschicksale in einer islamischen Gesellschaft, die miteinander die Suche nach dem weiblichen Paradies gemeinsam haben. Die ersten beiden gerade fertiggestellten Teile werden in der Berliner Ausstellung vorgestellt, sie handeln von der Lehrerin Mahdokht, die kinderlos ist, was im Islam als schwerer Makel gilt, und von der Prostituierten Zarin, die plötzlich statt Männergesichtern nur noch grauenvoll-schleimige Masken sieht. Beide Frauen suchen ihren Weg in der Einsamkeit und in der spirituellen Reinigung. Neu ist, dass Shirin Neshat nun in Farbe dreht und sehr viel mehr konkrete Handlung erzählt als früher. Gleichwohl bleiben ihre Bilder von hoher poetischer Dichte, faszinierend sowohl für östliches als auch für westliches Publikum. Und allein das ist so selten, dass es diese Künstlerin schon zum Phänomen macht und ihr Werk in die große Tradition west-östlicher Grenzüberschreitungen stellt.