Archiv

Woodstock-Jubiläum
"Ein tolles Wochenende - trotz der Widrigkeiten!"

Michael Lang, Mitorganisator von Woodstock erinnert sich im Corsogepräch mit Christian Lehner an 'Three days of love, peace and music'. Das Interview wurde anlässlich des 40. Jahrestags 2009 geführt. Lang stellte sich zunächst der Frage, ob die Hippie-Bewegung im Sommer 1969 nicht schon zu Ende war und das Woodstock-Festival eigentlich zu spät kam.

Michael Lang im Gespräch mit Christian Lehner |
    Blick auf die zahlreichen Besucher des legendären Woodstock-Festivals.
    Woodstock: Statt der erwarteten 60.000 Besucher kamen mehr als 400.000. (picture alliance/dpa/upi)
    Ich würde sagen, sie war am Höhepunkt! Aber es stimmt schon. Die Dinge begannen aus dem Ruder zu laufen. Es wurde im ganzen Land so richtig "weird" und gewalttätig. Das Jahrzehnt war generell eines der sozialen Umbrüche und Unruhen. Wir demonstrierten gegen den Vietnamkrieg oder kämpften für Bürgerrechte. Die ökologische Bewegung nahm ihren Anfang. Unsere Generation musste sich zunächst Gehör verschaffen. Wir wollten zeigen, dass es auch anders geht, dass man friedlich zusammenleben und Konflikte lösen kann. Der Schlüssel für uns waren die Freiheitsrechte des Individuums, die für alle gelten sollten. Woodstock war unser Labor. Wir wollten testen, ob wir überhaupt imstande sind, diesen Traum leben zu können.
    Organisatorisch stießen Sie aber bald an Ihre Grenzen. Die meisten Veranstaltungsorte rund um Woodstock erwiesen sich als untauglich, und man hat Ihnen mehrmals bereits zugesagte Genehmigungen wieder entzogen. Wie sind Sie und ihr Co-Veranstalter Artie Kornfeld schlussendlich dort gelandet, wo das Festival tatsächlich stattgefunden hat?
    Am 14. Juli, fast genau einen Monat vor der geplanten Austragung, standen wir wieder ohne Location da. Es war zu spät, die Behörden zu verklagen. Wir informierten die Medien, dass uns der Veranstaltungsort abhanden gekommen war. Niemand dachte ernsthaft, dass das Festival noch zu retten sein würde. Doch dann kam der Anruf aus Bethel. Jemand wüsste einen Ort und hätte eine Genehmigung. Und dann entdeckten wir es, das Feld unserer Träume. Es gehörte Max Yasgur, dem größten Grundbesitzer der Umgebung. Er war durch Ernteausfälle in die Bredoullie geraten und brauchte dringend Geld für Futtermittel. Keine Frage, ich wusste sofort, dass es dieser Ort sein muss.
    Welche Prioritäten haben Sie gesetzt, was war die größte Herausforderung?
    Das Gelände musste innerhalb von vier Wochen kultiviert werden. Wir hatten ursprünglich dafür vier Monate eingeplant. Natürlich gab es keine Infrastruktur. Wir mussten nicht nur die Bühne aufbauen, sondern auch Elektrizität heranschaffen, ein Abwassersystem und Straßen anlegen. Wir haben innerhalb kürzester Zeit eine temporäre Stadt für 200.000 Bewohner aus dem Boden gestampft.
    Und dennoch reißt die Kritik an den chaotischen Zuständen während des Festivals auch 40 Jahre nach Woodstock nicht ab. Sie gehört mittlerweile zum Mythos wie das "Peace&Love"-Klischee.
    Das Festival war gut organisiert - für 200.000 Menschen. Gekommen sind aber 500.000, und noch einmal so viele blieben im Verkehr stecken. Trotz Medienhype, niemand, wirklich niemand, konnte mit so einer Menschenmenge rechnen. Ich glaube, Woodstock hatte gut fünf Mal so viele Zuseher wie die größte Rockkonzert davor. So etwas hat es noch nicht gegeben - nachher im Übrigen auch nicht. Eine Festivalindustrie mit Erfahrungswerten war damals nicht existent. Wir konnten auf keine Notfallpläne oder Präzedenzfälle zurückgreifen. Wir mussten das quasi alles erfinden. Ich denke, es spricht für die Organisation und den Spirit aller Beteiligten, dass wir trotz der Widrigkeiten ein tolles, friedliches Wochenende mit großartiger Musik erlebt haben. Ich kann also durchaus mit der Kritik leben.
    Aus heutiger Sicht grenzt es dennoch an ein Wunder, dass das Festival nicht im Chaos versunken ist bei so vielen Besuchern. Welche Faktoren machen Sie dafür noch verantwortlich?
    Noch mal: Ich glaube, dass das sehr wohl den Vorbereitungen zu verdanken ist. Wir alle zählten uns damals zur Gegenkultur. Mit Woodstock wollten wir das demonstrieren. Unter den Kids herrschte die Meinung, dass Musik frei sein sollte. Wir haben bereits im Vorfeld viele Tickets verschenkt, nicht erst, als die Zäune gefallen sind. Wir haben Free-Camping angeboten. Als dann die Versorgung zusammengebrochen ist, haben wir die Leute gratis versorgt. Wir hatten zum Beispiel unsere eigene Festival-Polizei, verkleidet als Friedensarmee ohne Waffen. Strategie war es, von Anfang an alle Besucher aktiv ins Geschehen einzubinden. Ohne dieses gemeinschaftliche Gefühl hätte das nie funktioniert.
    Drogen galten als fixer Bestandteil der Gegenkultur. Haben Sie versucht, am Gelände die Zirkulation zu kontrollieren?
    Das funktioniert bei dieser Masse an Menschen gar nicht. Es war auch kein großes Problem, weil die Drogen damals wesentlich harmloser waren als heute. Marihuana und LSD sind sanfte, spirituelle Drogen. Harten Stoff, wie etwa Heroin, haben wir übrigens nicht toleriert. Einschlägige Dealer wurden von uns, so wir ihrer habhaft werden konnten, vom Gelände entfernt. "Off duty cops", die wir als Sicherheitsdienst angeheuert hatten, erhielten genaue Instruktionen, niemanden mit einem Joint hochzunehmen. Die Festivalbesucher sollten ein cooles Wochenende haben.
    Wie war es für Sie? Konnten Sie überhaupt einen Augenblick davon genießen?
    Ich habe jede Minute davon geliebt (Lang lächelt selig bis über beide Ohren).
    Welcher Moment war für Sie der schönste?
    Als Richie Havens als erster Act des Festivals die Bühne betrat und zu spielen begann.
    Wie schwer fällt es Ihnen, nicht selbst dem Mythos Woodstock aufzusitzen? Neigt der Mensch im Rückblick nicht allgemein zur Verklärung?
    Ich bin mir der Gefahr durchaus bewusst. Deshalb habe ich ein Buch darüber geschrieben (Michael Lang ‚Road To Woodstock‘, Ecco-Verlag, 2009). Es sind meine Memoiren. Ich habe darin versucht, die Ereignisse von der Planung bis zum letzten Song minutiös festzuhalten.
    Wie ging es für Sie nach Woodstock weiter?
    Ich zog mich erstmals zurück, weil ich wusste, dass das Ding so groß war, dass alles andere dagegen mickrig erscheinen musste. Später gründete ich eine Plattenfirma, veranstaltete Konzerte und trat als Consultant und Filmproduzent in Erscheinung. Das mache ich alles auch heute noch. (Anmerkung der Redaktion: Lang co-produzierte Woodstock 94 und das desaströse, weil gewalttätige Woodstock 99.)