"Jeder kann ins Internet gehen und gucken, welche Dienste eine 24-Stunden-Pflege für billiges Geld angeblich völlig legal anbietet. Es braucht nur zehn Minuten und man findet zig von diesen Organisationen. Das heißt, wenn es solche zig Organisationen gibt, muss es auch die Nachfrage geben. Und dann wissen wir, dass die Zahl von den Frauen, die in den Haushalten arbeiten, dass das mit Sicherheit in die Zehntausende geht. Aber zählen können wir sie nicht."
Wie viele Menschen in Deutschland für einen Hungerlohn und teilweise unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten, darüber gibt es keine Statistik. Wer allerdings die Augen offen hält, kann Arbeitsausbeutung täglich beobachten, sagt Dorothee Frings. Die Professorin für Verfassungs- und Sozialrecht an der Hochschule Niederrhein verweist etwa auf ausländische Studierende, die sich aus finanzieller Not auf einen Stundenlohn von wenigen Euro einlassen. Oder auf Lkw-Fahrer, die mit internationalem Kennzeichen in Deutschland unterwegs sind – und deshalb nach dem in ihrer Heimat üblichen Standard bezahlt werden.
Auf der Fachtagung "Arbeitsausbeutung und Menschenhandel in Deutschland" wurde am vergangenen Freitag das Phänomen in seinen verschiedenen Ausprägungen offensichtlich. Nivedita Prasad von der Berliner Beratungs- und Koordinierungsstelle gegen Menschenhandel, Ban Ying, schildert den Fall der äthiopischen Spezialitätenköchin Lakech Demise in Berlin:
"Nach außen hin war alles pikobello sauber. Es war wirklich ein klassischer Fall von Vertragssklaverei. Im Innenverhältnis war es so, dass sie gar keinen Lohn bekommen hat, 17 bis 19 Stunden am Tag gearbeitet hat, sieben Tage die Woche und wirklich: Sie hat drei Arbeiten gemacht statt einer. Also sie hat das äthiopische Essen gekocht, mittags das europäische Essen gekocht und morgens den Haushalt des Täters geputzt, war also im Grunde genommen Tag und Nacht im Einsatz für eineinhalb Jahre. "
Seit 2005 fällt nicht nur die sexuelle Ausbeutung unter den Straftatbestand des Menschenhandels. Das Strafgesetzbuch verbietet seitdem auch die Ausbeutung der Arbeitskraft – sofern eine Zwangslage ausgenutzt wird oder die "Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist". Strafbar macht sich, wer Menschen unter Bedingungen arbeiten lässt, die in einem "auffälligen Missverhältnis" zu vergleichbaren Tätigkeiten anderer Arbeitnehmer stehen.
Eine Definition, die Norbert Cyrus vom Hamburger Institut für Sozialforschung als "zu schwach, zu weit und gedehnt" kritisiert.
"Die Menschen müssen zu diesen Tätigkeiten gezwungen worden sein. Wenn sie aus irgendwelchen Gründen freiwillig bereit waren, diese Tätigkeit zu ungünstigeren Bedingungen auszuüben, dann wird der Tatbestand des Menschenhandels nicht erfüllt und nach deutschem Recht, ja, besteht die Freiheit, sich auch ausbeuten zu lassen."
In der öffentlichen Wahrnehmung – das ergab die Tagung - sind vor allem die extremen Fälle als Form moderner Sklaverei präsent. Etwa von Frauen, die nach Deutschland verschleppt werden, ohne Papiere hier leben und als Prostituierte arbeiten müssen. Tatsächlich scheinen Menschen ohne Aufenthaltsstatus am stärksten von Arbeitsausbeutung betroffen, weil sie erpressbar sind.
Allerdings handelt es sich bei diesen extremen Fällen nur um die Spitze der Pyramide, stellt der Ethnologe Norbert Cyrus fest:
"Der Großteil der Ausbeutungsfälle, (...) das sind oft Fälle, die normale fast und oft auch einvernehmliche Ausbeutungsverhältnisse betrifft, wo Personen aufgrund ihrer Situation sich mit Arbeitsverhältnissen arrangieren, arrangieren müssen, weil sie keine andere Chance haben und auch keine Chance sehen, die Arbeits- und Lohnbedingungen durchzusetzen, die ihnen rechtlich zustehen würden."
"Der Schwerpunkt hat sich verlagert von Menschen, die ohne Papiere und ohne jede arbeitsrechtliche Anmeldung hier arbeiten zu Menschen, die über eine grenzüberschreitende Konstruktion kommen. So werden es zunehmend eben Entsandte, Werksarbeitnehmer, Au-pair, kurzfristig mit Beschäftigungserlaubnis Ausgestattete, Spezialitätenköche, Saisonarbeiter etc. Hier haben wir überall – zunächst einmal – eine legale Grundkonstruktion."
Während im privaten Bereich Arbeitgeber eine Frau etwa als Haushaltshilfe direkt anwerben, organisiert im Baugewerbe ein Subunternehmen die Arbeitskräfte und meldet sie als Scheinselbstständige an. Die Ausbeutung besteht darin, dass die Arbeit und die Arbeitsbedingungen anders sind als vereinbart: Frauen müssen statt im Haushalt in der Prostitution arbeiten. Im Baugewerbe und in Schlachtereibetrieben fehlt die Schutzkleidung.
Hinzu kommt, dass die vereinbarten Löhne für Tätigkeiten beispielsweise in der Gastronomie oder Landwirtschaft nicht gezahlt, stattdessen aber viele Überstunden verlangt werden.
Nivedita Prasad von der Beratungsstelle Ban Ying hat eine lange Liste von Indikatoren zusammengestellt, mit denen sie KollegInnen dafür sensibilisieren möchte, sowohl sexuelle als auch Arbeitsausbeutung zu erkennen. So fehlt mal der Arbeitsvertrag, mal finden sich keine Lohnquittungen oder Überweisungen. Sogenannte Schulden für die Einreise müssen abgearbeitet werden – wie im Fall Lakech Demise.
"Der Täter hatte ihr eigentlich 200 Dollar im Monat Lohn versprochen. Selbst die hat er nicht bezahlt. Er hat zu ihr gesagt, dass sie ein Jahr lang keinen Lohn bekommen würde wegen der Einreisekosten. Nach einem Jahr ist sie zusammengebrochen, kam ins Krankenhaus. Sie war krankenversichert, wusste aber nichts davon. Und dann hat er gesagt: Es tut mir leid. Eigentlich wärst Du jetzt schuldenfrei. Aber das Krankenhaus war so teuer, 36.000 Euro, die musst du jetzt noch nacharbeiten."
"Die Betroffenen kommen aber überhaupt nicht auf die Idee, zur Polizei zu gehen, weil sie damit allenfalls verbinden, dass sie selbst irgendwelche Angaben falsch gemacht haben. Dass das, was da mit ihnen passiert, ein Straftatbestand ist, ist nahezu völlig unbekannt. Es sind aber auch alle anderen Rechte von Arbeitnehmern weitgehend unbekannt, weil natürlich Arbeitsausbeutung auch auf Informationsmangel beruht, und der wird natürlich gut gepflegt."
Diesen Informationsmangel könnten die rund 50 Beratungsstellen in Deutschland, bislang meist auf sexuelle Ausbeutung spezialisiert, ausgleichen. Die Experten plädierten während der Tagung dafür, die Betroffenen nicht einseitig als Opfer wahrzunehmen. Vielmehr seien sie in ihrem Recht zu stärken, den verweigerten Lohn einzuklagen. Gegebenenfalls auch eine Entschädigung. Norbert Cyrus:
"Dazu gehört zum Beispiel, dass man sie nicht als Opfer von Menschenhandel anspricht, sondern als Beschäftigte, als Leute, die unfair in ihrer Arbeit behandelt werden und dass man ihnen dann aber auch konkrete Möglichkeiten der Unterstützung und der Möglichkeiten, ihre Ansprüche und Rechte durchzusetzen aufzeigt, um sie damit zu ermutigen, aus diesen Arbeitsverhältnissen heraus zugehen und sich zu wehren."
Verlaufen die Anzeigen wegen Menschenhandel sonst häufig im Sande, hat der Fall der Spezialitätenköchin Lakech Demise einen ungewöhnlichen Ausgang genommen. Weil sich genügend Beweise für ihre Ausbeutung fanden, musste der Täter Lohn und Sozialversicherungsbeiträge nach zahlen. Und er wurde als Menschenhändler verurteilt.
Wie viele Menschen in Deutschland für einen Hungerlohn und teilweise unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten, darüber gibt es keine Statistik. Wer allerdings die Augen offen hält, kann Arbeitsausbeutung täglich beobachten, sagt Dorothee Frings. Die Professorin für Verfassungs- und Sozialrecht an der Hochschule Niederrhein verweist etwa auf ausländische Studierende, die sich aus finanzieller Not auf einen Stundenlohn von wenigen Euro einlassen. Oder auf Lkw-Fahrer, die mit internationalem Kennzeichen in Deutschland unterwegs sind – und deshalb nach dem in ihrer Heimat üblichen Standard bezahlt werden.
Auf der Fachtagung "Arbeitsausbeutung und Menschenhandel in Deutschland" wurde am vergangenen Freitag das Phänomen in seinen verschiedenen Ausprägungen offensichtlich. Nivedita Prasad von der Berliner Beratungs- und Koordinierungsstelle gegen Menschenhandel, Ban Ying, schildert den Fall der äthiopischen Spezialitätenköchin Lakech Demise in Berlin:
"Nach außen hin war alles pikobello sauber. Es war wirklich ein klassischer Fall von Vertragssklaverei. Im Innenverhältnis war es so, dass sie gar keinen Lohn bekommen hat, 17 bis 19 Stunden am Tag gearbeitet hat, sieben Tage die Woche und wirklich: Sie hat drei Arbeiten gemacht statt einer. Also sie hat das äthiopische Essen gekocht, mittags das europäische Essen gekocht und morgens den Haushalt des Täters geputzt, war also im Grunde genommen Tag und Nacht im Einsatz für eineinhalb Jahre. "
Seit 2005 fällt nicht nur die sexuelle Ausbeutung unter den Straftatbestand des Menschenhandels. Das Strafgesetzbuch verbietet seitdem auch die Ausbeutung der Arbeitskraft – sofern eine Zwangslage ausgenutzt wird oder die "Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist". Strafbar macht sich, wer Menschen unter Bedingungen arbeiten lässt, die in einem "auffälligen Missverhältnis" zu vergleichbaren Tätigkeiten anderer Arbeitnehmer stehen.
Eine Definition, die Norbert Cyrus vom Hamburger Institut für Sozialforschung als "zu schwach, zu weit und gedehnt" kritisiert.
"Die Menschen müssen zu diesen Tätigkeiten gezwungen worden sein. Wenn sie aus irgendwelchen Gründen freiwillig bereit waren, diese Tätigkeit zu ungünstigeren Bedingungen auszuüben, dann wird der Tatbestand des Menschenhandels nicht erfüllt und nach deutschem Recht, ja, besteht die Freiheit, sich auch ausbeuten zu lassen."
In der öffentlichen Wahrnehmung – das ergab die Tagung - sind vor allem die extremen Fälle als Form moderner Sklaverei präsent. Etwa von Frauen, die nach Deutschland verschleppt werden, ohne Papiere hier leben und als Prostituierte arbeiten müssen. Tatsächlich scheinen Menschen ohne Aufenthaltsstatus am stärksten von Arbeitsausbeutung betroffen, weil sie erpressbar sind.
Allerdings handelt es sich bei diesen extremen Fällen nur um die Spitze der Pyramide, stellt der Ethnologe Norbert Cyrus fest:
"Der Großteil der Ausbeutungsfälle, (...) das sind oft Fälle, die normale fast und oft auch einvernehmliche Ausbeutungsverhältnisse betrifft, wo Personen aufgrund ihrer Situation sich mit Arbeitsverhältnissen arrangieren, arrangieren müssen, weil sie keine andere Chance haben und auch keine Chance sehen, die Arbeits- und Lohnbedingungen durchzusetzen, die ihnen rechtlich zustehen würden."
"Der Schwerpunkt hat sich verlagert von Menschen, die ohne Papiere und ohne jede arbeitsrechtliche Anmeldung hier arbeiten zu Menschen, die über eine grenzüberschreitende Konstruktion kommen. So werden es zunehmend eben Entsandte, Werksarbeitnehmer, Au-pair, kurzfristig mit Beschäftigungserlaubnis Ausgestattete, Spezialitätenköche, Saisonarbeiter etc. Hier haben wir überall – zunächst einmal – eine legale Grundkonstruktion."
Während im privaten Bereich Arbeitgeber eine Frau etwa als Haushaltshilfe direkt anwerben, organisiert im Baugewerbe ein Subunternehmen die Arbeitskräfte und meldet sie als Scheinselbstständige an. Die Ausbeutung besteht darin, dass die Arbeit und die Arbeitsbedingungen anders sind als vereinbart: Frauen müssen statt im Haushalt in der Prostitution arbeiten. Im Baugewerbe und in Schlachtereibetrieben fehlt die Schutzkleidung.
Hinzu kommt, dass die vereinbarten Löhne für Tätigkeiten beispielsweise in der Gastronomie oder Landwirtschaft nicht gezahlt, stattdessen aber viele Überstunden verlangt werden.
Nivedita Prasad von der Beratungsstelle Ban Ying hat eine lange Liste von Indikatoren zusammengestellt, mit denen sie KollegInnen dafür sensibilisieren möchte, sowohl sexuelle als auch Arbeitsausbeutung zu erkennen. So fehlt mal der Arbeitsvertrag, mal finden sich keine Lohnquittungen oder Überweisungen. Sogenannte Schulden für die Einreise müssen abgearbeitet werden – wie im Fall Lakech Demise.
"Der Täter hatte ihr eigentlich 200 Dollar im Monat Lohn versprochen. Selbst die hat er nicht bezahlt. Er hat zu ihr gesagt, dass sie ein Jahr lang keinen Lohn bekommen würde wegen der Einreisekosten. Nach einem Jahr ist sie zusammengebrochen, kam ins Krankenhaus. Sie war krankenversichert, wusste aber nichts davon. Und dann hat er gesagt: Es tut mir leid. Eigentlich wärst Du jetzt schuldenfrei. Aber das Krankenhaus war so teuer, 36.000 Euro, die musst du jetzt noch nacharbeiten."
"Die Betroffenen kommen aber überhaupt nicht auf die Idee, zur Polizei zu gehen, weil sie damit allenfalls verbinden, dass sie selbst irgendwelche Angaben falsch gemacht haben. Dass das, was da mit ihnen passiert, ein Straftatbestand ist, ist nahezu völlig unbekannt. Es sind aber auch alle anderen Rechte von Arbeitnehmern weitgehend unbekannt, weil natürlich Arbeitsausbeutung auch auf Informationsmangel beruht, und der wird natürlich gut gepflegt."
Diesen Informationsmangel könnten die rund 50 Beratungsstellen in Deutschland, bislang meist auf sexuelle Ausbeutung spezialisiert, ausgleichen. Die Experten plädierten während der Tagung dafür, die Betroffenen nicht einseitig als Opfer wahrzunehmen. Vielmehr seien sie in ihrem Recht zu stärken, den verweigerten Lohn einzuklagen. Gegebenenfalls auch eine Entschädigung. Norbert Cyrus:
"Dazu gehört zum Beispiel, dass man sie nicht als Opfer von Menschenhandel anspricht, sondern als Beschäftigte, als Leute, die unfair in ihrer Arbeit behandelt werden und dass man ihnen dann aber auch konkrete Möglichkeiten der Unterstützung und der Möglichkeiten, ihre Ansprüche und Rechte durchzusetzen aufzeigt, um sie damit zu ermutigen, aus diesen Arbeitsverhältnissen heraus zugehen und sich zu wehren."
Verlaufen die Anzeigen wegen Menschenhandel sonst häufig im Sande, hat der Fall der Spezialitätenköchin Lakech Demise einen ungewöhnlichen Ausgang genommen. Weil sich genügend Beweise für ihre Ausbeutung fanden, musste der Täter Lohn und Sozialversicherungsbeiträge nach zahlen. Und er wurde als Menschenhändler verurteilt.