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Wotan in Pekin

Dass die klassische Musik in Asien auf sehr großes Interesse stößt, ist mittlerweile nichts Neues mehr. Neben Japan zieht es immer mehr Musiker auch nach China. So auch zum "Beijing Music Festival", einem hochkarätigen Klassikfestival in der chinesischen Hauptstadt. Dabei stand speziell die deutsche Musik im Mittelpunkt des Interesses, unter anderem eine chinesische Erstaufführung von Wagners "Ring des Nieblungen".

Von Ullrich Bohn | 04.11.2005
    China entdeckt die westliche Klassik! – Nicht erst seit gestern. Vielmehr sind im Laufe der letzten 25 Jahre und zwar mit wachsender Intensität Klaviermusik und Symphonisches und natürlich auch die Oper zu musikalischen Standards des bürgerlichen Kulturleben im Reich der Mitte geworden. Millionen junger Chinesen leisten sich Klavierstunden, lernen Geige oder andere westliche Instrumente. Und schaffen damit jenen Nährboden, der mittlerweile Klassikstars wie Yundi Li oder Lang Lang hervorbringt, zugleich aber auch ein junges und aufgeschlossenes, qualifiziertes Klassikpublikum entstehen lässt. Dass jetzt denn auch mit einem geradezu enthusiastischen Beifall- und Bravo-Orkan die chinesische Erstaufführung von Wagners "Ring" feierte:

    Es sind freilich Reaktionen, die in China keineswegs selbstverständlich sind. Zumal Opernaufführungen, obwohl es in Peking und in Shanghai entsprechende Häuser gibt, nur eher selten, 10 bis 15 Mal im Jahr stattfinden. Und wenn, man sich auf Populäres wie "La Traviata", "Carmen" oder "Turandot" beschränkt. Wagner jedoch und speziell der "Ring" mit Aktlängen von bis zu zwei Stunden eine sehr viel härtere Kost darstellen, die Pekings junge Opernfreunde jedoch, ca. 70 Prozent des Publikums war unter 50 Jahren, hochkonzentriert in sich aufsogen, wie Cheng Li, Musikkritiker der China Post, völlig erstaunt feststellen musste:

    "Ich habe so etwas wirklich noch nie bei einem klassischen Konzert oder einer Opernaufführung erlebt, dass die Leute da sitzen und so gespannt zuhören, keiner zwischendurch isst oder mit seinem Handy spielt. Dass muss wohl auch damit zusammenhängen, dass die meisten hier Wagners Musik zum ersten Mal live hören können."

    Somit kann sich die Nürnberger Oper diese Pioniertat in Sachen Wagner als großen Erfolg an die Fahne heften. Obwohl das Nervenkostüm aller Beteiligten im Vorfeld schon einige Bewährungsproben zu bestehen hatte. Da zunächst einmal nicht nur die Planungsphase mit eineinhalb Jahren extrem kurz war, auch die Finanzierung lange Zeit auf wackeligen Füßen stand, und Intendant Wulf Konold entsprechend zögerte:

    "Dass die Chinesen zwar zu diesem Gastspiel eingeladen hatten, aber nicht die vollen Kosten übernehmen konnten. Die Hälfte haben sie übernommen, also mussten wir noch die andere Hälfte aufbringen. Und wir sind deshalb unseren Sponsoren aus Bayern und Mittelfranken sehr dankbar, dass es möglich war, innerhalb von vier Wochen gut 500.000 Euro aufzutreiben."

    Hinzu kam, dass der Spielort, das Poly Theatre, kein Opernhaus, sondern mehr ein multifunktionales Theater ist, ausgestattet mit einer eher simplen Technik:

    " Vieles was an Bühnentechnik vorhanden ist funktioniert nicht. So dass wir einige Veränderungen vornehmen mussten. Wir haben ein zweites Portal gebaut, sonst hätte man rechts und links an unserer Dekoration vorbeigeschaut. "

    Und auch spezielle Lichteffekte und offenes Feuer erst nach etlichen Diskussionen und mit vielen Überredungskünsten bei den chinesischen Bühnentechnikern durchzudrücken war. Und sich in musikalischer Hinsicht der Dirigent Philippe Auguin sowie Ensemble und Orchester mit dem ungewohnten Saal zu arrangieren hatten:

    "Der Raum ist vom Volumen her viel größer als in Nürnberg. Auch der Orchestergraben ist ganz anders, so dass ich mir wie ein Maler vorkomme, der jetzt anstatt Blau jetzt Grün machen soll. Und deshalb musste ich einiges bei den Tempi, bei der Artikulation ändern, um es auch vorteilhaft für die Sänger zu gestalten."

    Dennoch konnte sich der "Nürnberger Ring" schlussendlich auf fremdem Terrain sehr wohl hören und sehen lassen. Zwar hätte man, vor allem mit der eigenen langjährigen Wagner-Rezeption im Gehör, durchaus einige kritische Anmerkungen machen können, in Peking jedoch, bei dieser vorurteilsfreien Neugier, fielen sie nicht ins Gewicht:

    Zumal auch die Inszenierung von Stephen Lawless, der sie vor Jahren in Nürnberg konzipierte, Wagners Tetralogie eher moderat als modern erzählt, sie zuweilen gar märchenhafte Züge trägt, und jetzt noch um einige szenische Gimmicks angereichert wurde. Wenn etwa Mime im ersten Akt von "Siegfried" anstatt mit Messer und Gabel nunmehr mit Stäbchen isst. Eher kleine Gesten also und natürlich die hochemotionalen Reaktionen in Peking ein erstes Wagnersches Feuer entfachten. Als am Ende der "Götterdämmerung" morgens und 0.30 Uhr Chinas Jung-Wagnerianer der bestechend singenden Irene Theorin, fraglos ein künftiger Wagnerstar, zu Füssen lagen.