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Wozu brauchen wir Brigitte Mohnhaupt?

Sollten ehemalige RAF-Terroristen heute zur Aufklärung ihrer Verbrechen beitragen? Könnten sie den Hinterbliebenen der Opfer bei der Verarbeitung des Geschehenen helfen? Fragen, die nicht Staat oder Justiz beantworten, sondern die Gesellschaft selbst sich stellen muss. Individuelle Reue und Vergebung, gesellschaftliche Aufklärung und Versöhnung müssen einander bedingen. Doch darum schert sich die Bild-Zeitung nicht; ihre Balkenüberschriften schüren zurzeit dumpfe Ressentiments. Was ist schief gelaufen bei der Bewältigung des dunkelsten Stücks BRD-Geschichte?

Von Jens Brüning |
    Für fünfzig Cent kann man nicht viel verlangen. Immerhin werden zu diesem Preis mittels der "Bild-Zeitung die niederen Instinkte angesprochen. In dieser Woche machte sich das Blatt aus dem Springer-Konzern zum Stimmführer all derer, die einen zivilisierten Rechtsstaat für die Idee von Warmduschern und Waschlappen halten. "Haus, Geld, Job für RAF-Terroristin", diese Schlagzeile füllte die halbe Titelseite am Donnerstag, für ein Rufzeichen war kein Platz mehr. Dass diese auf einer Internet-Homepage gesammelten Angebote "irre" seien, war allerdings eine offenbar notwendige Ergänzung am Kopf der Seite. Tags zuvor bangte das Blatt, ob Brigitte Mohnhaupt künftig "vom Staat" leben werde, als hätte sie das in den letzten vierundzwanzig Jahren als Insassin des Strafvollzugs nicht getan. Eine Mit-Insassin berichtete von einer "Freudenfeier im Knast" mit Saft und Marmorkuchen und wusste, dass die zu fünfmal lebenslänglich und fünfzehn Jahren Haft Verurteilte, "nicht mehr an ein Leben in Freiheit geglaubt" habe. Ein Opfer der Terroristen, die jetzt als "Telefonistin bei Axel Springer" arbeitet, wurde zitiert: "Menschen wie Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt haben die Gnade unseres Staates nicht verdient." Und immer wieder - auch im Blatt für die klugen Köpfe, der FAZ - werden Reuebekundungen, Schuldeingeständnisse mit allen Details und Entschuldigungsgesten gefordert.

    Was steckt hinter diesen aufgeregten Appellen? Offenbar sind Fragen offen, deren Beantwortung den vor dreißig Jahren auf einen schrecklichen Höhepunkt zutreibenden Kampf zwischen der militanten RAF und dem von ihr bekämpften Staat in die Geschichtserzählung der Bundesrepublik Deutschland einordnen könnte. Dieses finsterste Jahrzehnt seit 1945 und seine Akteure haben widersprüchliche Spuren hinterlassen. Einerseits wurden Täter zu Popikonen stilisiert, andererseits die harte Haltung der Staatenlenker nie grundsätzlich hinterfragt, die - etwa bei der Entführung von Hans Martin Schleyer - Tote in Kauf nahm. Die Täter haben sich, was ihre Tatbeteiligung angeht, im Kollektiv verborgen, die Morde als politisches Bekenntnis camoufliert. So wurde aus dem Kampf der RAF ein anonymer Angriff auf die gerade einigermaßen gefestigte Demokratie. Der Gesetzgeber reagierte darauf mit immer neuen Paragraphen, letztlich ging es dann um die Rettung des Abstraktums FDGO, wie damals die Errungenschaft einer freiheitlichen und demokratischen Grundordnung verkürzt genannt wurde. Dabei sind viele Fragen offen geblieben. Den Sohn des ermordeten Generalbundesanwaltes Siegfried Buback plagt die Ungewissheit, wer die Waffe gegen seinen Vater in der Hand hielt. Dass dies vor Gericht nicht geklärt wurde, gehört zu den Besonderheiten der Prozesse in Stammheim und anderswo. Und wir werden in diesem dreißigsten Jahr nach dem "heißen Herbst" von 1977 noch weitere Fragen präsentiert bekommen. Die ungeklärten Details aus der Vergangenheit regen Publizisten und Historiker dazu an, das Publikum immer wieder mit diesem Thema zu unterhalten, und Trittbrettfahrer machen dabei gute Geschäfte.