SFB-Fernsehen 1984:
Jörg Fauser: "Ich habe lange Jahre eigentlich nicht damit gerechnet, mal Berufsschriftsteller zu werden - ich möchte mich eigentlich auch heute ungern als Schriftsteller bezeichnen, ich weiß eigentlich nicht, was das sein soll."
Hellmuth Karasek: "Sie werden als freier Publizist bezeichnet."
Fauser: "Ich bin Geschäftsmann, nicht. Ich vertreibe Produkte, die ich herstelle. Und das ist ein Geschäft: Writing is my business."
Auf die Frage, welche deutschen Schriftsteller in Deutschland zu wenig gelesen würden, nannte Maxim Biller 2007 dem Magazin "New Yorker" auch seinen Namen: Jörg Fauser.
Ein Journalist und Autor, der von F. Scott Fitzgerald mehr gelernt hat, als von Thomas Mann.
Eine Einschätzung, mit der Biller keineswegs allein steht. Gerade unter Schriftstellern besitzt Fauser eine eingeschworene Fangemeinde, von Popliteraten wie Benjamin von Stuckrad-Barre bis zu Wiglaf Droste, Franz Dobler oder Helmut Krausser. Fauser, der "Writers Writer" und ewige Geheimtipp - oft gepriesen, wenig gelesen? Seit er von jenen, die in den 70er-, 80er-Jahren der alten Bundesrepublik an den publizistischen Schalthebeln saßen, als Krimi- und Unterhaltungsschriftsteller abgetan wurde, hat sich der Literaturbetrieb grundlegend gewandelt: Heute, da die Trennung von U und E weitgehend aufgehoben ist, hätte es der Subkultur-Cowboy Fauser womöglich schon wieder, wenn auch aus anderen Gründen, schwer, zwischen Feuchtgebieten und Jakobsweg im Kampf um die knappe Ressource Aufmerksamkeit mitzuhalten.
Doch der Mythos lebt, und Fausers Selbststilisierung als cooler Hund und Feuilletonschreck schafft ebenso Raum für Faszination und Verklärung wie sein früher, bis heute rätselhafter Tod: Am 17. Juli 1987, in der Nacht nach seinem 43. Geburtstag, wurde Jörg Fauser auf der A 94 nahe München von einem LKW erfasst. Zwischen "Tophane", der ersten Buchveröffentlichung im Augsburger Maro Verlag, bis zum Fragment gebliebenen Roman "Die Tournee" lagen gerade einmal 15 Jahren. In dieser Zeit entstanden neben Romanen, Erzählungen und Gedichten auch Rocktexte, Drehbücher, Hörspiele und Übersetzungen. Die weitaus meiste Zeit seiner kurzen Laufbahn verwendete Fauser jedoch aufs journalistische Tagesgeschäft.
Wenn man vom Schreiben leben will, ist man zwangsläufig ökonomischen Faktoren ausgesetzt, egal, ob es sich um Bücher oder Artikel handelt. Mir haben die ökonomischen Faktoren geholfen bei der schriftstellerischen Arbeit, denn ohne das Eine wäre das Andere nicht möglich gewesen, das heißt, wenn man für Zeitschriften arbeitet, hat man für eine gewisse Zeitspanne Geld und kann den eigenen Schmus machen, wenn man also trennen will. Aber ich will das nicht trennen. Seit ich im Journalismus tätig bin, gibt es für mich keine Trennung.
In den Arbeiten für Zeitungen und Magazine wurde der Schriftsteller Fauser auf nicht selten geniale Weise mit dem Journalisten Fauser eins. Was im Angelsächsischen eine lange Tradition hat, war im westdeutschen Kulturbetrieb verpönt. Für Fauser selbst gab es zwischen hehrer Kunst und Lohnarbeit keinen Unterschied:
Ich produziere gern. Ob ich für eine Zeitung schreibe, ein Hörspiel mache, einen Film schreibe, ist mir an sich Wurst. Wenn ich 14 Tage nicht geschrieben habe, werde ich unruhig.
Zu Fausers Lebzeiten kamen zwei von ihm selbst zusammengestellte Essaysammlungen, "Der Strand der Städte" (1977) und "Blues für Blondinen" (1984), auf den Markt. Zwei der acht Bände einer bereits drei Jahre nach seinem Unfalltod von Carl Weissner bei Rogner & Bernhard herausgegebenen Werkedition waren Essays, Reportagen und Kolumnen vorbehalten.
Nun, ein Jahr später als geplant, aber rechtzeitig zu Fausers 65. Geburtstag, bilden seine gesammelten journalistischen Arbeiten von 1959 bis 1987 den Schlussstein der seit 2004 im Alexander Verlag erscheinenden neuen Berliner Werkausgabe. Schlussstein ist hier durchaus im Wortsinn zu verstehen: Knapp 1600 Seiten Bibeldünndruck, ein Trumm von Buch!
Alexander Wewerka, Verleger und Herausgeber in Personalunion, wollte keine weitere Kompilation von Fausers "Greatest Hits", keine Auswahl, sondern schlichtweg - alles. Dem Autor selbst wäre der kühne, nichts auslassende Totalzugriff auf das schillernde publizistische Oevre vermutlich nicht unsympathisch. Im Szenereader "Ulcus Molle" stänkerte Fauser - wohl honorarfrei - schon Ende der 70er gegen die Schubladisierung in Alternativ- und Hochkultur:
Alternativ-Literatur, Alternativ-Verlage - das klingt in meinen Ohren wie Reformhaus oder Diätbier. Worum es geht, ist doch einfach dies: brauchbare Literatur zu schreiben und zu verlegen, brauchbar zum Überleben in einer Welt, in der einen kaum noch was zum Überleben animieren kann. Und ob diese Literatur, die ästhetisch und menschlich engagiert ist und der Zeit einen ramponierten, aber immer noch intakten Spiegel vorhält, nun in einem Groß- oder Mittel- oder Kleinverlag, in Mizzis Mösen-Magazin oder in der Kreuzberger Kneipenzeitung erscheint, ist denen, die sie brauchen, Jacke wie Hose.
Was in 28 rastlosen Jahren an Brauchbarem an der Schreibfront abgefallen ist, lässt sich nun, streng chronologisch nach Veröffentlichungsdaten angeordnet, im "Strand der Städte" neu- und wiederlesen - vom ersten Besinnungsaufsatz des 15-jährigen Obertertianers über eine Frankreich-Klassenfahrt für die "Frankfurter Neue Presse" bis zur letzten Literaturkolumne für das Männermagazin "Lui". Dazwischen fehlt kaum etwas: die für wilde Underground Fanzines wie "ZOOM" oder "UFO" stakkatohaft aus der Hüfte geschossenen Tiraden, die Auftragsarbeiten für den Hörfunk, schließlich, von der kleinen Skizze bis zur großen Reportage, die Fauser-Stücke aus "twen", "Playboy", "TransAtlantik" oder dem Berliner Stadtmagazin "tip". Logisch, dass nicht alle Texte die gleiche Halbwertzeit haben - doch es ist gerade der Verzicht auf die üblicherweise favorisierte Best-Off-Blütenlese, die in Bann zieht. Während der autobiografische Roman "Rohstoff" (Ullstein, 1984) das Werden des Schriftstellers Fauser nachzeichnet, lässt sich, wie der Fauser-Biograf Matthias Penzel in seinem emphatischen Vorwort treffend festhält, die vorliegende Kollektion wie die nie geschriebene "Autobiografie des Publizisten Jörg Fauser" lesen.
Als ich jung war, wollte ich Schriftsteller werden. Später, als ich Schriftsteller geworden war, und manchmal heute noch, bedurfte ich starker Betäubungen, um nicht die Manuskripte zu zerreißen, die Schreibmaschine in den Müll zu werfen und dorthin zu gehen, wo das eigentliche Leben zu vermuten war.
Die ersten Rezensionen des noch nicht 20-Jährigen für die "Frankfurter Hefte", Lyrik zumeist, von Günter Eich bis Else Lasker-Schüler, zeigen Fauser als genauen, feinfühligen poetischen Beobachter. Nach den auf Schule und Zivildienst folgenden Vagabundenjahren in London, Istanbul und Berlin recherchiert er für eine Reportage, die unter dem Titel "Junk - die harten Drogen" im Zeitgeistmagazin "Twen" erscheint - die Aufarbeitung seiner eigenen Erfahrungen mit Sucht und Entzug markiert den eigentlichen Beginn seiner journalistischen Karriere. Der Ton wird härter. Was anfangs noch ein wenig Gewollt-Halbstarkes hat, wird schon bald zum typischen "Fauser-Sound".
Während Fauser bei diversen Undergroundzeitschriften mitmischt, im Augsburger Maro Verlag seine ersten Bücher, darunter der Gedichtband "Die Harry Gelb Story", herauskommen, erscheinen in rascher Folge Reiseskizzen, Porträts und Reportagen für die "Basler National Zeitung", den "Playboy", "Sounds". Immer wieder kreisen seine Texte um die eigenen literarischen Säulenheiligen: die toughen Amerikaner, Jack Kerouac, Charles Bukowski, Chester Himes, Raimond Chandler, Graham Greene, dazu Joseph Roth oder Hans Fallada. Selbstvergewisserung, Spiegelungen des Eigenen im Fremden. Psychogramme einer Generation. Was immer Thema ist: Eigentlich schreibt Fauser stets auch über Fauser:
Jack Kerouacs On the Road habe ich mit ungefähr 17, 18 zum ersten Mal gelesen, Anfang der sechziger Jahre mit ihren bengalischen Kerzen und den Gitarren entlang der Autobahnen und später den Rattengiften und den ausgebrannten Blicken in absolut leeren Zimmern von Berlin-W bis Üsküdar und Kabul, Nirwana. Auf jeden, der Kerouac damals las (noch vor all der Bewusstseinsveränderung bis zur Bewusstlosigkeit in den Hinterhöfen unserer Angst; Adenauer spielte noch Boccia, Willy Brandt versprach blauen Himmel über der Ruhr) wirkte das Buch wie ein Stoß in die Rippen, ein lockeres Schnalzen mit der Zunge, purer Jazz: Go, man, go! Irgendwas lag in der Luft, Veränderung, ein Hauch von Wahnsinn ("Wahnsinn? Sagst du Wahnsinn? Irre, Mann, irre!"). Solange sie sich erinnern konnten, die Trümmerkinder, wars eigentlich ziemlich fad gewesen, diese Fünfziger, dieser nahtlose Aufbau, Wirtschaftswunder, Wundertüte mit Pepita-Muster, ewige Sonntagnachmittage in den neuen Siedlungen mit Rasenmähen und Paul Anka, na gut, die paar vertrockneten Progressiven, Böll, Gott ja, Konkret so aufregend wie Kirchenfunk, die Rollkragenpullover bei der Humanistischen Union, na und? Kultur als Käsestulle. Und dann: "Let's go, man, go!" So wirkte Kerouac.
Anfang der 80er ging Fauser nach Berlin und wurde Redakteur und Kolumnist beim Stadtmagazin "tip": die erste Stelle, das erste feste Gehalt, eine Herausforderung. Er stürzte sich begeistert in die ungewohnte Arbeit, hatte viel zu lernen. Und jede Menge neuer Themen: Kohls 'geistig-moralische Wende', Berliner Filz, Feminismus, Fundis und Realos. Viel Feind, viel Ehr' - in seinen politischen Glossen legte sich Fauser mit fast jedem an und langte dabei tief - oft zu tief - in die Tasten. Wenn er Jungspunde wie Rainald Goetz oder Diedrich Diederichsen, deren Stern in jenen Jahren aufging, als intellektuelle Möchtegern-Punks verhöhnte, verteidigte er wohl reflexhaft auch seine eigene Lufthoheit im Reich der Gegenkultur.
Nicht etwa rasende Reporter und politische Paranoiker bestimmen den "new journalism" bei uns, sondern durchgestylte Narzisse aus dem Dunstkreis der Adorno-Seminare und des Kulturbolschewismus der 68er Bewegung, Flower Power made in Pöseldorf, eine Deinhard-Lila-Fraktion der deutschen Spätlinken...
Um Argumente gegen die ihm verhasste "deutsche Suhrkamp- und Schulfunkkultur" zu sammeln, war Fauser jedes Mittel recht. Einmal griff er in seiner "tip"-Kolumne dafür die abenteuerlichen Story eines Glücksritters auf, der - mit finanzieller Beteiligung des Filmstars Clint Eastwood - den Beweis erbringen wollte, dass in Vietnam und Laos noch amerikanische Kriegsgefangene einsitzen.
In den Wochenendbeilagen und Feuilletons westdeutscher Blätter würde man solche Geschichten vergeblich suchen, und das ist auch kein Wunder - was in ihnen aufbereitet wird, ist die sterile Kopf- und Zopfwelt einer von Feminismus und ähnlichen Gesinnungsdiktaturen genormten Kultur, aus der längst alles getilgt wurde, was Männern einmal Spaß gemacht hat. Abenteuer, Leidenschaft, Exzess, Sünde, Todessehnsucht, Killerinstinkt, Gier, Hass, Rausch - in der kleinen gezähmten Welt des institutionalisierten westdeutschen Kulturbetriebs müssten solche archaischen Formen menschlichen Verhaltens so heillos wirken wie ein Barrakudaschwarm in einem Forellenteich - oder wie Clint Eastwood als Hamlet in einer Aufführung der Berliner Schaubühne. Dabei ist es doch so: Clint Eastwood ist Hamlet. Er ist es für alle, die vor dem Gesinnungsterror der etablierten Gremienkultur ausweichen müssen in die Nachtvorstellungen und die Rockkonzerte, in die Fußballarenen und die Krimireihen, wo man weiß, dass das Leben etwas anderes ist, als Horst-Eberhard Richter und Helma Sanders-Brahms es uns weismachen wollen.
Nicht unbedingt das, was linke Oberstudienrätinnen lesen wollten. Doch Fauser, der Clint Eastwood von der Potsdamer Straße, wusste nicht nur über Pferderennen und Boxturniere, sondern - ebenso unterhaltsam und schlau - über die Institution Tagesschau oder seine gute alte Royal-Schreibmaschine zu berichten. Die erstmals in Buchform veröffentlichten Interviews, die er mit Autoren wie Charles Bukowski oder Günter Grass geführt hat, mögen den Rahmen der Ausgabe zwar, streng genommen, sprengen - verzichten will man nicht auf sie. Liest sich das frühe Interview, das Fauser in Los Angeles mit seinem Idol Bukowski führte und das der "Playboy" unter der hartgesottenen Headline veröffentlichte ...
Ein offenes Gespräch mit dem Mann, für den schreiben, saufen und ficken das täglich Brot sind
... noch so, als hätte damals schon der böse Geist des Tom Kummer die Feder geführt, ist das Palaver mit Heinz van Nouhuys, einer der schillerndsten Figuren der deutschen Nachkriegspresse, ein atemberaubend spannendes Stück über die Geschichte unserer Medienlandschaft: Facts and Fiction, Journalismus und Schriftstellerei. Da haben sich zwei verstanden, und man begreift recht gut, warum Fauser Berlin einige Jahre später den Rücken kehrte, um den Spagat zwischen "Lui" und der ambitionierten "TransAtlantik" zu üben.
Zu großer Form lief Fauser bis zuletzt immer dann auf, wenn er die, wie er sie nannte, "Bewohner der Randzone" beschrieb. Egal, ob es sich um literarische Figuren handelt wie Ibrahim, den Nachtwächter aus Tanger, den Handelsvertreter "für Firmen, die keiner mehr haben will", den abgehalfterten Gauner - oder um Erfinder literarischer Figuren wie Kerouac, Joseph Roth, Fallada: Begegnungen mit der Gegenwelt, den Brüdern im Geist. Wie in Neumünster, wo Fauser, 50 Jahre nachdem ein gewisser Rudolf Ditzen die Stadt für immer verlassen hat, zur literarischen Spurensicherung eintrifft - und prompt in einer nach Bier und Pommes dünstenden Imbisshalle am Busbahnhof landet.
Fallada! Man müsste, dachte ich, wenn man über ihn schreibt, dies alles aufschreiben, man müsste die Türken dazunehmen mit ihren Pappkoffern im Regen und die herrisch Betrunkenen, die Bauernköppe mit den Schirmmützen und dem ganzen Weh der Existenz in den Fäusten, in denen das Glas verschwindet, und dazu die Gerüche von Grog und Schaschschlik und nassen Stiefeln, und die blonde Bedienung mit dem Gesicht, das gegen alles verschlossen sein will, aber so offen ist wie ein aufgeschlagenes Buch... und das alles reichte noch nicht. Es müsste, wenn du so ehrlich sein wolltest wie der Schriftsteller Fallada sein wollte, auch von dir mehr enthalten, als du zu sagen bereit bist, warum nämlich das Leben und die Figuren des Fallada dich bis in die Träume plagen, dass du ihnen hinterherfährst in diesen fremden Norden - was treibt dich, was zwingt dich? Ich trank, aber mein Durst wurde davon nicht gelindert. Ich hockte im Fleckenkieker, starrte nach draußen, starrte nach drinnen, ich saß mir gegenüber und starte auf mich selbst. Wer bist du? Was hast du zu sagen? Und wenn du es gesagt hast, bist du dann davon erlöst?
Fauser war 43, als er starb. Er hatte geheiratet und bewohnte mit seiner Familie einen geräumigen Altbau in München-Schwabing. Er arbeitete als Redakteur bei der von Enzensberger mitherausgegebenen "TransAtlantik", schrieb für "Stern" und "Spiegel" und hatte seit Längerem ein SPD-Parteibuch in der Tasche. War er dort, wo er hinwollte?
Wenn Literatur nicht bei denen bleibt, die unten sind, kann sie gleich den Party-Service anheuern.
Gut zwei Jahre nach Fausers Tod ist nicht nur die DDR untergegangen, die in seinem Werk bis auf zwei erstaunlich liebevolle Porträts des in den Westen ausgereisten Erich Loest fast nicht zu existieren scheint, sondern auch die alte Bundesrepublik. Wer wissen will, wie in ihren letzten Jahrzehnten über Politik, Literatur und Betrieb, Kultur im weiten Sinne, gedacht und gestritten wurde, findet in Jörg Fausers journalistischem Werk gleichsam eine Kulturgeschichte "von unten" - materialreich, meinungsfreudig und, auch nicht schlecht, bestens unterhaltend. In einem seiner letzten Stücke begleitete Fauser Joschka Fischer, den damals frischgebackenen hessischen Umweltminister, im Ministerauto durchs Land.
Später, auf der Heimfahrt, ist Fischer alle; irgendwo zwischen Würzburg und Aschaffenburg schläft er weg. Morgen früh muss Herr Beil um sechs antreten, um neun will Fischer in die Bundestagsdebatte zur Energiefrage eingreifen; und abends noch Talk-Show in Bremen. Zeit, um hinauszustarren in die Nacht. An andere zu denken, die aufbrachen, um diese Republik zu ändern. Freilich - von einer sanften Republik war damals nicht die Rede. Vielleicht sind auch deshalb so viele von ihnen tot oder als Psychowracks versackt oder isoliert im Inneren des Wals. Oder alles easy, Baby, noch ein Kir Royal?
Jörg Fauser: Der Strand der Städte
Gesammelte journalistische Arbeiten 1959 - 1987
Herausgegeben von Alexander Wewerka
Alexander Verlag, Berlin 2009, 1593 Seiten, 49,90 Euro
Jörg Fauser: "Ich habe lange Jahre eigentlich nicht damit gerechnet, mal Berufsschriftsteller zu werden - ich möchte mich eigentlich auch heute ungern als Schriftsteller bezeichnen, ich weiß eigentlich nicht, was das sein soll."
Hellmuth Karasek: "Sie werden als freier Publizist bezeichnet."
Fauser: "Ich bin Geschäftsmann, nicht. Ich vertreibe Produkte, die ich herstelle. Und das ist ein Geschäft: Writing is my business."
Auf die Frage, welche deutschen Schriftsteller in Deutschland zu wenig gelesen würden, nannte Maxim Biller 2007 dem Magazin "New Yorker" auch seinen Namen: Jörg Fauser.
Ein Journalist und Autor, der von F. Scott Fitzgerald mehr gelernt hat, als von Thomas Mann.
Eine Einschätzung, mit der Biller keineswegs allein steht. Gerade unter Schriftstellern besitzt Fauser eine eingeschworene Fangemeinde, von Popliteraten wie Benjamin von Stuckrad-Barre bis zu Wiglaf Droste, Franz Dobler oder Helmut Krausser. Fauser, der "Writers Writer" und ewige Geheimtipp - oft gepriesen, wenig gelesen? Seit er von jenen, die in den 70er-, 80er-Jahren der alten Bundesrepublik an den publizistischen Schalthebeln saßen, als Krimi- und Unterhaltungsschriftsteller abgetan wurde, hat sich der Literaturbetrieb grundlegend gewandelt: Heute, da die Trennung von U und E weitgehend aufgehoben ist, hätte es der Subkultur-Cowboy Fauser womöglich schon wieder, wenn auch aus anderen Gründen, schwer, zwischen Feuchtgebieten und Jakobsweg im Kampf um die knappe Ressource Aufmerksamkeit mitzuhalten.
Doch der Mythos lebt, und Fausers Selbststilisierung als cooler Hund und Feuilletonschreck schafft ebenso Raum für Faszination und Verklärung wie sein früher, bis heute rätselhafter Tod: Am 17. Juli 1987, in der Nacht nach seinem 43. Geburtstag, wurde Jörg Fauser auf der A 94 nahe München von einem LKW erfasst. Zwischen "Tophane", der ersten Buchveröffentlichung im Augsburger Maro Verlag, bis zum Fragment gebliebenen Roman "Die Tournee" lagen gerade einmal 15 Jahren. In dieser Zeit entstanden neben Romanen, Erzählungen und Gedichten auch Rocktexte, Drehbücher, Hörspiele und Übersetzungen. Die weitaus meiste Zeit seiner kurzen Laufbahn verwendete Fauser jedoch aufs journalistische Tagesgeschäft.
Wenn man vom Schreiben leben will, ist man zwangsläufig ökonomischen Faktoren ausgesetzt, egal, ob es sich um Bücher oder Artikel handelt. Mir haben die ökonomischen Faktoren geholfen bei der schriftstellerischen Arbeit, denn ohne das Eine wäre das Andere nicht möglich gewesen, das heißt, wenn man für Zeitschriften arbeitet, hat man für eine gewisse Zeitspanne Geld und kann den eigenen Schmus machen, wenn man also trennen will. Aber ich will das nicht trennen. Seit ich im Journalismus tätig bin, gibt es für mich keine Trennung.
In den Arbeiten für Zeitungen und Magazine wurde der Schriftsteller Fauser auf nicht selten geniale Weise mit dem Journalisten Fauser eins. Was im Angelsächsischen eine lange Tradition hat, war im westdeutschen Kulturbetrieb verpönt. Für Fauser selbst gab es zwischen hehrer Kunst und Lohnarbeit keinen Unterschied:
Ich produziere gern. Ob ich für eine Zeitung schreibe, ein Hörspiel mache, einen Film schreibe, ist mir an sich Wurst. Wenn ich 14 Tage nicht geschrieben habe, werde ich unruhig.
Zu Fausers Lebzeiten kamen zwei von ihm selbst zusammengestellte Essaysammlungen, "Der Strand der Städte" (1977) und "Blues für Blondinen" (1984), auf den Markt. Zwei der acht Bände einer bereits drei Jahre nach seinem Unfalltod von Carl Weissner bei Rogner & Bernhard herausgegebenen Werkedition waren Essays, Reportagen und Kolumnen vorbehalten.
Nun, ein Jahr später als geplant, aber rechtzeitig zu Fausers 65. Geburtstag, bilden seine gesammelten journalistischen Arbeiten von 1959 bis 1987 den Schlussstein der seit 2004 im Alexander Verlag erscheinenden neuen Berliner Werkausgabe. Schlussstein ist hier durchaus im Wortsinn zu verstehen: Knapp 1600 Seiten Bibeldünndruck, ein Trumm von Buch!
Alexander Wewerka, Verleger und Herausgeber in Personalunion, wollte keine weitere Kompilation von Fausers "Greatest Hits", keine Auswahl, sondern schlichtweg - alles. Dem Autor selbst wäre der kühne, nichts auslassende Totalzugriff auf das schillernde publizistische Oevre vermutlich nicht unsympathisch. Im Szenereader "Ulcus Molle" stänkerte Fauser - wohl honorarfrei - schon Ende der 70er gegen die Schubladisierung in Alternativ- und Hochkultur:
Alternativ-Literatur, Alternativ-Verlage - das klingt in meinen Ohren wie Reformhaus oder Diätbier. Worum es geht, ist doch einfach dies: brauchbare Literatur zu schreiben und zu verlegen, brauchbar zum Überleben in einer Welt, in der einen kaum noch was zum Überleben animieren kann. Und ob diese Literatur, die ästhetisch und menschlich engagiert ist und der Zeit einen ramponierten, aber immer noch intakten Spiegel vorhält, nun in einem Groß- oder Mittel- oder Kleinverlag, in Mizzis Mösen-Magazin oder in der Kreuzberger Kneipenzeitung erscheint, ist denen, die sie brauchen, Jacke wie Hose.
Was in 28 rastlosen Jahren an Brauchbarem an der Schreibfront abgefallen ist, lässt sich nun, streng chronologisch nach Veröffentlichungsdaten angeordnet, im "Strand der Städte" neu- und wiederlesen - vom ersten Besinnungsaufsatz des 15-jährigen Obertertianers über eine Frankreich-Klassenfahrt für die "Frankfurter Neue Presse" bis zur letzten Literaturkolumne für das Männermagazin "Lui". Dazwischen fehlt kaum etwas: die für wilde Underground Fanzines wie "ZOOM" oder "UFO" stakkatohaft aus der Hüfte geschossenen Tiraden, die Auftragsarbeiten für den Hörfunk, schließlich, von der kleinen Skizze bis zur großen Reportage, die Fauser-Stücke aus "twen", "Playboy", "TransAtlantik" oder dem Berliner Stadtmagazin "tip". Logisch, dass nicht alle Texte die gleiche Halbwertzeit haben - doch es ist gerade der Verzicht auf die üblicherweise favorisierte Best-Off-Blütenlese, die in Bann zieht. Während der autobiografische Roman "Rohstoff" (Ullstein, 1984) das Werden des Schriftstellers Fauser nachzeichnet, lässt sich, wie der Fauser-Biograf Matthias Penzel in seinem emphatischen Vorwort treffend festhält, die vorliegende Kollektion wie die nie geschriebene "Autobiografie des Publizisten Jörg Fauser" lesen.
Als ich jung war, wollte ich Schriftsteller werden. Später, als ich Schriftsteller geworden war, und manchmal heute noch, bedurfte ich starker Betäubungen, um nicht die Manuskripte zu zerreißen, die Schreibmaschine in den Müll zu werfen und dorthin zu gehen, wo das eigentliche Leben zu vermuten war.
Die ersten Rezensionen des noch nicht 20-Jährigen für die "Frankfurter Hefte", Lyrik zumeist, von Günter Eich bis Else Lasker-Schüler, zeigen Fauser als genauen, feinfühligen poetischen Beobachter. Nach den auf Schule und Zivildienst folgenden Vagabundenjahren in London, Istanbul und Berlin recherchiert er für eine Reportage, die unter dem Titel "Junk - die harten Drogen" im Zeitgeistmagazin "Twen" erscheint - die Aufarbeitung seiner eigenen Erfahrungen mit Sucht und Entzug markiert den eigentlichen Beginn seiner journalistischen Karriere. Der Ton wird härter. Was anfangs noch ein wenig Gewollt-Halbstarkes hat, wird schon bald zum typischen "Fauser-Sound".
Während Fauser bei diversen Undergroundzeitschriften mitmischt, im Augsburger Maro Verlag seine ersten Bücher, darunter der Gedichtband "Die Harry Gelb Story", herauskommen, erscheinen in rascher Folge Reiseskizzen, Porträts und Reportagen für die "Basler National Zeitung", den "Playboy", "Sounds". Immer wieder kreisen seine Texte um die eigenen literarischen Säulenheiligen: die toughen Amerikaner, Jack Kerouac, Charles Bukowski, Chester Himes, Raimond Chandler, Graham Greene, dazu Joseph Roth oder Hans Fallada. Selbstvergewisserung, Spiegelungen des Eigenen im Fremden. Psychogramme einer Generation. Was immer Thema ist: Eigentlich schreibt Fauser stets auch über Fauser:
Jack Kerouacs On the Road habe ich mit ungefähr 17, 18 zum ersten Mal gelesen, Anfang der sechziger Jahre mit ihren bengalischen Kerzen und den Gitarren entlang der Autobahnen und später den Rattengiften und den ausgebrannten Blicken in absolut leeren Zimmern von Berlin-W bis Üsküdar und Kabul, Nirwana. Auf jeden, der Kerouac damals las (noch vor all der Bewusstseinsveränderung bis zur Bewusstlosigkeit in den Hinterhöfen unserer Angst; Adenauer spielte noch Boccia, Willy Brandt versprach blauen Himmel über der Ruhr) wirkte das Buch wie ein Stoß in die Rippen, ein lockeres Schnalzen mit der Zunge, purer Jazz: Go, man, go! Irgendwas lag in der Luft, Veränderung, ein Hauch von Wahnsinn ("Wahnsinn? Sagst du Wahnsinn? Irre, Mann, irre!"). Solange sie sich erinnern konnten, die Trümmerkinder, wars eigentlich ziemlich fad gewesen, diese Fünfziger, dieser nahtlose Aufbau, Wirtschaftswunder, Wundertüte mit Pepita-Muster, ewige Sonntagnachmittage in den neuen Siedlungen mit Rasenmähen und Paul Anka, na gut, die paar vertrockneten Progressiven, Böll, Gott ja, Konkret so aufregend wie Kirchenfunk, die Rollkragenpullover bei der Humanistischen Union, na und? Kultur als Käsestulle. Und dann: "Let's go, man, go!" So wirkte Kerouac.
Anfang der 80er ging Fauser nach Berlin und wurde Redakteur und Kolumnist beim Stadtmagazin "tip": die erste Stelle, das erste feste Gehalt, eine Herausforderung. Er stürzte sich begeistert in die ungewohnte Arbeit, hatte viel zu lernen. Und jede Menge neuer Themen: Kohls 'geistig-moralische Wende', Berliner Filz, Feminismus, Fundis und Realos. Viel Feind, viel Ehr' - in seinen politischen Glossen legte sich Fauser mit fast jedem an und langte dabei tief - oft zu tief - in die Tasten. Wenn er Jungspunde wie Rainald Goetz oder Diedrich Diederichsen, deren Stern in jenen Jahren aufging, als intellektuelle Möchtegern-Punks verhöhnte, verteidigte er wohl reflexhaft auch seine eigene Lufthoheit im Reich der Gegenkultur.
Nicht etwa rasende Reporter und politische Paranoiker bestimmen den "new journalism" bei uns, sondern durchgestylte Narzisse aus dem Dunstkreis der Adorno-Seminare und des Kulturbolschewismus der 68er Bewegung, Flower Power made in Pöseldorf, eine Deinhard-Lila-Fraktion der deutschen Spätlinken...
Um Argumente gegen die ihm verhasste "deutsche Suhrkamp- und Schulfunkkultur" zu sammeln, war Fauser jedes Mittel recht. Einmal griff er in seiner "tip"-Kolumne dafür die abenteuerlichen Story eines Glücksritters auf, der - mit finanzieller Beteiligung des Filmstars Clint Eastwood - den Beweis erbringen wollte, dass in Vietnam und Laos noch amerikanische Kriegsgefangene einsitzen.
In den Wochenendbeilagen und Feuilletons westdeutscher Blätter würde man solche Geschichten vergeblich suchen, und das ist auch kein Wunder - was in ihnen aufbereitet wird, ist die sterile Kopf- und Zopfwelt einer von Feminismus und ähnlichen Gesinnungsdiktaturen genormten Kultur, aus der längst alles getilgt wurde, was Männern einmal Spaß gemacht hat. Abenteuer, Leidenschaft, Exzess, Sünde, Todessehnsucht, Killerinstinkt, Gier, Hass, Rausch - in der kleinen gezähmten Welt des institutionalisierten westdeutschen Kulturbetriebs müssten solche archaischen Formen menschlichen Verhaltens so heillos wirken wie ein Barrakudaschwarm in einem Forellenteich - oder wie Clint Eastwood als Hamlet in einer Aufführung der Berliner Schaubühne. Dabei ist es doch so: Clint Eastwood ist Hamlet. Er ist es für alle, die vor dem Gesinnungsterror der etablierten Gremienkultur ausweichen müssen in die Nachtvorstellungen und die Rockkonzerte, in die Fußballarenen und die Krimireihen, wo man weiß, dass das Leben etwas anderes ist, als Horst-Eberhard Richter und Helma Sanders-Brahms es uns weismachen wollen.
Nicht unbedingt das, was linke Oberstudienrätinnen lesen wollten. Doch Fauser, der Clint Eastwood von der Potsdamer Straße, wusste nicht nur über Pferderennen und Boxturniere, sondern - ebenso unterhaltsam und schlau - über die Institution Tagesschau oder seine gute alte Royal-Schreibmaschine zu berichten. Die erstmals in Buchform veröffentlichten Interviews, die er mit Autoren wie Charles Bukowski oder Günter Grass geführt hat, mögen den Rahmen der Ausgabe zwar, streng genommen, sprengen - verzichten will man nicht auf sie. Liest sich das frühe Interview, das Fauser in Los Angeles mit seinem Idol Bukowski führte und das der "Playboy" unter der hartgesottenen Headline veröffentlichte ...
Ein offenes Gespräch mit dem Mann, für den schreiben, saufen und ficken das täglich Brot sind
... noch so, als hätte damals schon der böse Geist des Tom Kummer die Feder geführt, ist das Palaver mit Heinz van Nouhuys, einer der schillerndsten Figuren der deutschen Nachkriegspresse, ein atemberaubend spannendes Stück über die Geschichte unserer Medienlandschaft: Facts and Fiction, Journalismus und Schriftstellerei. Da haben sich zwei verstanden, und man begreift recht gut, warum Fauser Berlin einige Jahre später den Rücken kehrte, um den Spagat zwischen "Lui" und der ambitionierten "TransAtlantik" zu üben.
Zu großer Form lief Fauser bis zuletzt immer dann auf, wenn er die, wie er sie nannte, "Bewohner der Randzone" beschrieb. Egal, ob es sich um literarische Figuren handelt wie Ibrahim, den Nachtwächter aus Tanger, den Handelsvertreter "für Firmen, die keiner mehr haben will", den abgehalfterten Gauner - oder um Erfinder literarischer Figuren wie Kerouac, Joseph Roth, Fallada: Begegnungen mit der Gegenwelt, den Brüdern im Geist. Wie in Neumünster, wo Fauser, 50 Jahre nachdem ein gewisser Rudolf Ditzen die Stadt für immer verlassen hat, zur literarischen Spurensicherung eintrifft - und prompt in einer nach Bier und Pommes dünstenden Imbisshalle am Busbahnhof landet.
Fallada! Man müsste, dachte ich, wenn man über ihn schreibt, dies alles aufschreiben, man müsste die Türken dazunehmen mit ihren Pappkoffern im Regen und die herrisch Betrunkenen, die Bauernköppe mit den Schirmmützen und dem ganzen Weh der Existenz in den Fäusten, in denen das Glas verschwindet, und dazu die Gerüche von Grog und Schaschschlik und nassen Stiefeln, und die blonde Bedienung mit dem Gesicht, das gegen alles verschlossen sein will, aber so offen ist wie ein aufgeschlagenes Buch... und das alles reichte noch nicht. Es müsste, wenn du so ehrlich sein wolltest wie der Schriftsteller Fallada sein wollte, auch von dir mehr enthalten, als du zu sagen bereit bist, warum nämlich das Leben und die Figuren des Fallada dich bis in die Träume plagen, dass du ihnen hinterherfährst in diesen fremden Norden - was treibt dich, was zwingt dich? Ich trank, aber mein Durst wurde davon nicht gelindert. Ich hockte im Fleckenkieker, starrte nach draußen, starrte nach drinnen, ich saß mir gegenüber und starte auf mich selbst. Wer bist du? Was hast du zu sagen? Und wenn du es gesagt hast, bist du dann davon erlöst?
Fauser war 43, als er starb. Er hatte geheiratet und bewohnte mit seiner Familie einen geräumigen Altbau in München-Schwabing. Er arbeitete als Redakteur bei der von Enzensberger mitherausgegebenen "TransAtlantik", schrieb für "Stern" und "Spiegel" und hatte seit Längerem ein SPD-Parteibuch in der Tasche. War er dort, wo er hinwollte?
Wenn Literatur nicht bei denen bleibt, die unten sind, kann sie gleich den Party-Service anheuern.
Gut zwei Jahre nach Fausers Tod ist nicht nur die DDR untergegangen, die in seinem Werk bis auf zwei erstaunlich liebevolle Porträts des in den Westen ausgereisten Erich Loest fast nicht zu existieren scheint, sondern auch die alte Bundesrepublik. Wer wissen will, wie in ihren letzten Jahrzehnten über Politik, Literatur und Betrieb, Kultur im weiten Sinne, gedacht und gestritten wurde, findet in Jörg Fausers journalistischem Werk gleichsam eine Kulturgeschichte "von unten" - materialreich, meinungsfreudig und, auch nicht schlecht, bestens unterhaltend. In einem seiner letzten Stücke begleitete Fauser Joschka Fischer, den damals frischgebackenen hessischen Umweltminister, im Ministerauto durchs Land.
Später, auf der Heimfahrt, ist Fischer alle; irgendwo zwischen Würzburg und Aschaffenburg schläft er weg. Morgen früh muss Herr Beil um sechs antreten, um neun will Fischer in die Bundestagsdebatte zur Energiefrage eingreifen; und abends noch Talk-Show in Bremen. Zeit, um hinauszustarren in die Nacht. An andere zu denken, die aufbrachen, um diese Republik zu ändern. Freilich - von einer sanften Republik war damals nicht die Rede. Vielleicht sind auch deshalb so viele von ihnen tot oder als Psychowracks versackt oder isoliert im Inneren des Wals. Oder alles easy, Baby, noch ein Kir Royal?
Jörg Fauser: Der Strand der Städte
Gesammelte journalistische Arbeiten 1959 - 1987
Herausgegeben von Alexander Wewerka
Alexander Verlag, Berlin 2009, 1593 Seiten, 49,90 Euro