WTO-Konferenz in Abu Dhabi
WTO-Gipfel endet ohne Einigung in wichtigen Fragen

Keine Einigung beim Fischereiabkommen, bekannte Fronten beim Thema Agrarsubventionen, nur die Zollfreiheit für digitale Produkte und Dienstleistungen wurde verlängert: Die Konferenz der Welthandelsorganisation hat mit einem mageren Ergebnis geendet.

Von Jule Reimer |
    Arbeiter laden Fische aus einem Boot.
    Auch die Regeln für Fischerei-Subventionen sind innerhalb der WTO umstritten. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Makoto Kondo)
    Die 13. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in Abu Dhabi von Ende Februar bis Anfang März 2024 ist mit wenig greifbaren Ergebnissen zu Ende gegangen: Die Mitgliedstaaten konnten sich nicht darauf verständigen, welche Art von Fischereisubventionen als nicht zulässig eingestuft werden sollten, um der Überfischung der Ozeane entgegenzuwirken. Auch bei Agrarsubventionen kam es zu keiner Einigung. Einen Konsens fanden die Mitgliedsstaaten bei der Verlängerung der Zollfreiheit für digitale Produkte und Dienstleistung bis 2026.
    "Wir haben in dieser Woche hart gearbeitet, wir haben einige wichtige Dinge erreicht, andere haben wir nicht zu Ende bringen können", erklärte die Generaldirektorin der Welthandelsorganisation, Ngozi Okonjo-Iweala, zum Abschluss. Sie bemühte sich, dem oftmals wohl hitzigen Sitzungsverlauf eine positive Wendung zu geben: Die Konferenz habe in einem schwierigen politischen Umfeld stattgefunden. In 60 Ländern der Welt stünden wichtige Wahlen an. In so einem Umfeld tun sich Regierungen oft schwer, internationale Zusagen zu machen, die volkswirtschaftlich sinnvoll sein können, aber die Privilegien einzelner Wirtschaftszweige mindern.

    Inhalt

    Reaktionen auf die Ergebnisse der WTO-Konferenz

    „Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich mir mehr gewünscht hätte", erklärte Staatssekretär Udo Philipp, der die deutsche Delegation auf dem WTO-Gifel leitete. "Aber zumindest ist für die nächsten Jahre die Zollfreiheit für elektronische Übermittlungen gewährleistet. An den anderen Themen müssen wir jetzt umso intensiver arbeiten und versuchen, die Gegensätze zwischen den Mitgliedsstaaten zu überwinden.“
    Auch EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis zeigte sich enttäuscht über fehlenden Einigungen in den Bereichen Fischerei, Landwirtschaft und bei generellen Reformen. Dombrovskis machte dafür unter anderem Indien verantwortlich: "Vereinbarungen waren zum Greifen nahe, wurden von einer überwältigenden Mehrheit der Mitglieder unterstützt, aber letztlich von einer Handvoll Länder - manchmal nur von einem - blockiert", sagte er in einer Erklärung.
    Eine Reihe von Verhandlungsteilnehmern wies Indien indirekt eine große Verantwortung für das magere Konferenzergebnis zu. Dessen Regierung nimmt in der WTO oft eine Führungsrolle für ärmere Länder ein. In Indien stehen im April und Mai 2024 Parlamentswahlen an und zahlreiche Bauern protestieren gegen die geplante Reform der staatlichen Aufkaufprogramme für Nahrungsmittel zu Festpreisen. Selbstbewusst erschien Indiens Handelsminister Piyush Goyal in Abu Dhabi erst zum dritten Konferenztag und stand vermutlich ziemlich allein da, als er vor der Abfahrt vor Reportern verkündete: "Wir haben nichts verloren. Ich fahre glücklich und zufrieden heim."
    Francisco Mari von der Hilfsorganisation Brot für die Welt macht vor allem die Industriestaaten, aber teils aber auch große Schwellenländer für das bescheidene Ergebnis des WTO-Gipfels verantwortlich. Er ging mit den Industriestaaten beim Thema Agrar hart ins Gericht: Die seit Jahren andauernde Weigerung von EU, USA und Agrarexporteuren, den Entwicklungsländern besondere Schutzmechanismen für ihre Agrar- und Ernährungswirtschaft zu gewähren, sei angesichts von Millionen hungerleidenden Menschen verantwortungslos.

    Was sind schädliche Fischereisubventionen?

    Hier entzündet sich der Konflikt zwischen großen klassischen Industriestaaten einschließlich Russland und China auf der einen und Schwellen- und ärmeren Entwicklungsländern auf der anderen Seite. Dass die Fischbestände gefährdet sind, ist eindeutig nachgewiesen, und bereits 2022 hatten alle WTO-Mitgliedsstaaten grundsätzlich zugestimmt, dass die Subventionen eingedämmt werden müssen. Doch umstritten ist, welche staatliche Förderung schädlich auf die Meeresfauna wirkt. Von dieser Definition hängt jedoch ab, ob Handelskonkurrenten eine Regierung wegen marktverzerrender Subventionen vor der WTO verklagen und deren andere Handelsprodukte mit Strafzöllen belegen können.
    Die Umweltorganisation WWF bemängelt zudem, dass viele Staaten auch den Bau von Schiffen subventionierten, obwohl die Flotten der Industriefischerei jetzt schon zu groß seien.
    Der Verhandlungsvorschlag von Abu Dhabi sah vor, dass Regierungen das Risiko von WTO-Klage vermeiden könnten, wenn sie wissenschaftlich nachweisen, dass ihre Subventionen nicht zur Überfischung führen. Doch die Pazifischen Inselstaaten, die mit ihren 200-Meilen-Zonen große zusammenhängende Fischgründe bieten, lehnten die vorgeschlagene Selbstzertifizierung ab. Sie fürchten um ihre Bestände, wenn sich China als Betreiber der größten Fangflotte der Welt und mit bisher zweifelhaften Fangpraktiken quasi selbst einen Freifahrtschein ausstellen könnte.
    Auch Francisco Mari, Welthandelsexperte bei der evangelischen Hilfsorganisation Brot für die Welt, kritisierte im Vorfeld der Ministerkonferenz den Vorschlag. Um die Nachhaltigkeit der Fangmethoden nachzuweisen, brauche es eine entsprechende Ausstattung von Forschungsinstituten und finanzielle Ressourcen, die gerade in ärmeren Ländern fehlten. Es sei zudem problematisch, dass die Entwicklungsländer unter Druck gerieten, auch Kleinfischern staatliche Beihilfen für Schiffsdiesel zu entziehen. In ärmeren Ländern trägt die Kleinfischerei einen wesentlichen Anteil zu Existenz- und Ernährungssicherheit bei.

    Einigung bei Agrarsubventionen weiterhin fern

    Nicht gelöst wurde in Abu Dhabi ein Grundkonflikt zwischen den WTO-Mitgliedsstaaten. Dürfen Länder, die wie Indien noch einen großen Anteil sehr armer Bevölkerung haben, einen Teil der Grundnahrungsmittel den Landwirten zu einem Festpreis abkaufen, um diese bei Preissprüngen günstig an die Ärmsten abzugeben? Nein, sagen große Agrarproduzenten wie Australien oder Argentinien. Sie erheben den Vorwurf, so subventioniertes Getreide gehe auch in den Export und verzerre die Weltgetreidepreise.
    Der Idee, in Europa erneut Importhürden für Agrarprodukte hochzuziehen, wie sie auch manche EU-Landwirte bei den jüngsten Bauernprotesten forderten, erteilte der CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary im Deutschlandfunk eine Absage. Das hätte nur zur Folge, dass Handelspartner ebenfalls ihre Zölle wieder erhöhten. Deutsche Landwirte produzierten viele Überschüsse und profitierten vom offenen Handel. Deutschland ist nach den USA, Brasilien und Niederlanden viertgrößter Exporteur und drittgrößter Importeur für Nahrungsmittel und Agrarprodukte.

    Zollfreiheit für virtuelle Güter verlängert

    Indien gab letztlich nach, die Zollfreiheit auf den grenzüberschreitenden digitalen E-Commerce und Datenübertragungen noch bis zum Jahr 2026 zu verlängern, wie es die Industriestaaten forderten. Allerdings haben viele Entwicklungsländer weiter Vorbehalte, da mittlerweile immer mehr ursprünglich physische Güter wie Bücher und Videos, für die einst traditionelle Tarifregeln galten, als digitale Dienste verfügbar sind. Die wachsenden digitalen Importe bedeuten damit auch massive staatliche Einnahmeverluste.
    Während Freihandelsbefürworter die Zollfreiheit auf E-Commerce als Fortschritt und große Chance werten, interpretiert der Globale Süden sie teils auch anders. Nach Ansicht der Denkfabrik Transnational Institute (TNI) könne sie auch verhindern, dass ärmere Staaten mit Hilfe von Schutzzöllen heimische digitale Unternehmen und Märkte entwickeln.

    Streit um Impfstoffe ist abgeflacht

    Ruhiger geworden ist es seit dem Ende der Covid-19-Pandemie um die Forderung einer Patentaussetzung für Impfstoffe, Medikamente und Diagnostika in weltweiten Krisensituationen. Vom Tisch ist das Thema jedoch nicht. 2022 beschloss die 12. WTO-Ministerkonferenz trotz Widerstand der führenden Hersteller aus den USA, der Schweiz und der EU eine befristete Aussetzung der Covid-19-Patente auf Impfstoffe – einen sogenannten „Waiver“.
    Viel zu spät, kritisierte damals Ärzte ohne Grenzen und bemängelte, dass Covid-19-Medikamente und Diagnostika wie Corona-Tests nicht einbezogen waren. Das innerhalb der WTO geltende Waiver-Verfahren einer ausnahmsweisen Patentaussetzung gilt Gesundheitsexperten zudem als viel zu kompliziert in weltweiten Notlagen.
    Innerhalb der Weltgesundheitsorganisation WHO wird deshalb im Rahmen eines Pandemievertrages um einen anderen Ansatz gerungen: Falls die WHO den weltweiten Pandemiefall ausrufe, sollten notwendige Patentrechte für einen begrenzten Zeitraum automatisch ausgesetzt werden, so dass alle Länder mit Kapazitäten die notwendige Produktion von Impfstoff, Medikamenten und Diagnostika hochfahren könnten.
    Dass Kapazitäten vorhanden sind, zeigte sich noch während der Pandemie. So ist es Südafrika in Zusammenarbeit mit der WHO gelungen, dort einen sogenannten „mRNA production hub“ zu etablieren. Die Forschenden dort haben den Corona-Impfstoff von Moderna so nachgebaut, dass er nicht unter Patente fällt. 2024 soll er in klinischen Studien erprobt werden. Allerdings ist die Nachfrage nach Corona-Impfstoff deutlich zurückgegangen. Jetzt geht es vor allem darum, das Know-how der mRNA-Technologie zu etablieren und dann im Globalen Süden zu teilen.

    Keine Einigkeit über das WTO-Berufungsgericht

    Keine Einigkeit herrscht weiterhin bei der Besetzung der WTO-Schlichtungsgerichte. Die Berufung der Richter wird seit dem früheren US-Präsidenten Barack Obama seitens der USA blockiert, weil die USA sich bei früheren Urteilen in Handelsstreitigkeiten als benachteiligt sahen.
    Da in den USA Präsidentschaftswahlen anstehen, rechnete kaum jemand damit, dass die WTO-Ministerkonferenz eine Einigung bringen könnte. Handlungsfähig ist die WTO bei Handelsstreitigkeiten dennoch – mit einem Verfahrenstrick wurden Ersatzgerichte geschaffen, deren Urteile weitgehend anerkannt sind. Allerdings ist fest vereinbart, dass bei weiteren Verhandlungen am Genfer Sitz der WTO bis Ende 2024 ein Beschluss notwendig ist, wie das WTO-Berufungsgericht wieder arbeitsfähig wird.

    Ergebnisse der Vorgänger-Konferenz im Jahr 2022

    Die vorherige WTO-Konferenz war im Juni 2022 und stand stark unter dem Eindruck des russischen Einmarschs in die Ukraine. Vier Monate nach Invasionsbeginn hatten sich Regierungsvertreter in Genf insbesondere Gedanken über die weltweite Nahrungsversorgung gemacht, die wegen der Produktionsausfälle bei ukrainischem Getreide aus dem Gleichgewicht war.

    rtr