Mit seiner sechsten und letzten Sinfonie wollte Peter Tschaikowski "eine grandiose Sinfonie... schreiben, die den Schlußstein meines ganzen Schaffens bilden soll". Ob der altersmilde wirkende, aber noch immer hellwach analytische Firmenpatriarch Reinhold Würth selbst den Eröffnungsabend seiner Philharmoniker so pathetisch plante, darf bezweifelt werden. Aber die Parallele stimmt.
Nach Sportförderung, zahlreichen Museumsgründungen, einer nach ihm benannten großzügig unterstützten Hochschule, einer stetig wachsenden Kunstsammlung und einem eigenen Würth-Musikpreis der Jeunesse Musicales erscheint die Gründung eines eigenes Orchesters nahezu logisch. Erstens um das künstlerische Würth-Portfolio auch im Musikbereich abzurunden. Und zweitens, um dem neuen als firmeneigenem Tagungszentrum konzipierten Carmen Würth-Forum ein ständig verfügbares Hausorchester zu geben.
Mächtige Portion Selbstvertrauen
82-jährig einen eigenen Klangkörper in einem eigenen, zudem fulminanten Kammerkonzertsaal von David Chipperfield, aufzubauen, dazu gehört heutzutage eine mächtige Portion Selbstvertrauen. Vertrauen in die finanziellen Möglichkeiten, in das Publikum, in die Zukunft der Firma. Das alles scheint kein Problem zu sein.
Reinhold Würth selbst will sein Engagement zurückhaltend sehen: "Ja gut, wir wollen natürlich auch ein bisschen dazu beitragen, in dieser Region die Kultur hochzuhalten. Wir haben ja hier im Hohenloher Land diesen Hohenloher Kultursommer seit vielen Jahrzehnten mit 170 Konzerten, da kann so ein Orchester sicher nicht schaden. Jetzt schauen wir mal was draus wird."
Man wolle sich ganz bescheiden im Hintergrund bewegen, betont Reinhold Würth. Jetzt gehe es erstmal darum, "Qualität aufzubauen und sich einen Namen zu machen".
Große Namen für den Anfang
Dafür hat er einen Intendanten geholt, der sich bestens auskennt in den Höhen und Tiefen des europäischen Musikmanagments: Mihai Constantinescu, eigentlich Geschäftsführer des George Enescu-Festival in Bukarest, soll die Würth Philharmoniker in der Musiklandschaft Europas und rund um den überschaubaren Flecken Künzelsau etablieren. Dass man die Latte unternehmenskonform hoch legt, zeigte bereits die Verpflichtung von Hamburgs Generalmusikdirektor Kent Nagano zur Eröffnung des neuen Konzertsaales im Juni diesen Jahres. Die unmissverständliche Botschaft: Man will im Reigen der weltweit auftretenden Orchester mitspielen. Noch vor Saisonstart gaben die Würth Philharmoniker ihr Debüt im Concertgebouw Amsterdam und in Bukarest. Die nächste Auslandstournee geht nach Schottland.
Die erste Saison greift gleich in die Vollen: Die 16 Konzerte drehen sich überwiegend um das klassische, große Repertoire: Brahms, Schumann, Beethoven, Liszt, nur Wagner fehlt noch. Aber auch Zeitgenössisches von Philipp Glass und Astor Piazzolla ist dabei sowie am Auftaktabend ein Auftragswerk der Schwäbisch Haller Musikprofessorin Susanne Zargar-Swiridoff - erstmals seit der Münchner Biennale 1993 einem größeren Publikum bekannt. Kein ausschließliches Highlightprogramm, aber doch nah dran.
15 festangestellte Stimmführer
Sogar der Hamburger Justus Frantz ist auf dem Programm als Dirigent des Neujahrskonzertes zu finden. Erstaunlich deshalb, weil Würth mit Gründung seines eigenen Orchesters das jahrelange Sponsoring von Franz' Philharmonie der Nationen beendet hat. Scheinbar nicht im Streit.
Reinhold Würth dazu: "Ja, das ist richtig. Wir haben ja über Jahrzehnte die Philharmonie der Nationen gefördert und nachdem wir jetzt hier die Möglichkeit haben mit diesem Konzertsaal mit 580 Plätzen, habe ich mir gedacht, jetzt versuchen wir mal selbst was zu machen."
Die engagierten Musiker sind aber keine Unbekannten. Konzertmeister Catalin Desaga kommt von der Philharmonie der Nationen, war aber auch als Solist und Konzertmeister des Rundfunk-Sinfonie-Orchester Bukarest und der Hamburger Symphoniker zu hören. Er ist einer von 15 festangestellten Stimmführern, die je nach Konzert die Reihen mit Kollegen füllen. Es gäbe mittlerweile einen festen Stamm an Aushilfsmusikern, so Desaga:
"Mehr als 80 Prozent des Orchesters sind immer dabei. Sie waren auch in Amsterdam, auch in Bukarest und jetzt auch hier, also wir versuchen nicht nur diese 15, sondern auch sonst das ganze Orchester wenn möglich. Wir wollen auch Stellen für Praktikanten freigeben, dass sie die Möglichkeit haben, ein bisschen die Erfahrungen zu sammeln mit Orchestern und ein bisschen zu lernen. Wir sind in Kontakt mit Heilbronn und auch in Baden-Württemberg mit Mannheim."
Es gehe nicht um eine Kannibalisierung der Orchesterlandschaft, ergänzt Sylvia Weber vom Würth-Management. Aber natürlich seien auch Musiker von der Philharmonie der Nationen engagiert: "Es gibt weiterhin sehr enge Verbindungen, zum einen zu Justus Frantz selber, aber auch zu vielen Musikern aus der Philharmonie der Nationen. Es hat aber auch damit zu tun, dass sich Justus Frantz selbst bisschen mehr nach Asien, sprich nach China weiter - ich möchte mal sagen - entfernt hat und deshalb allein schon nicht alle Musiker aus seiner bisherigen jugendlichen Philharmonie der Nationen da nicht mitgehen konnten oder wollten und deshalb ist es auch legitim. Musiker spielen ganz, ganz selten nur für einen Klangkörper, sondern sehr, sehr oft für mehrere."
"Klassisches Unternehmenskommunikationstool"
Bei Orchestermanagern in Baden-Württemberg gilt das neue Orchester vor allem erstmal als "ein klassisches Unternehmenskommunikationstool". Warum sonst hätte sich der Unternehmer Würth entscheiden sollen, ein eigenes Orchester, das seinen Namen trägt, zu gründen, meint Madeleine Landlinger, Intendantin des Württembergischen Kammerorchesters Heilbronn. Die Schraubenfirma Würth hätte auch weiterhin als Mäzen anderer Orchester auftreten können. Oder man hätte bei der Rettung des SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden helfen können. Warum man in Künzelsau nicht wie andere Firmen hochrangige Orchester einfach einkauft?
Madeleine Landlinger: "Es ist zumindest von der Form her neu. Ich sehe es jetzt hauptsächlich als Markenbotschafter der Firma Würth, der die Ideale des Betriebs und der Mäzenatentum des Reinhold Würth in sich vereint." Sie sähe die private Neugründung durchaus als eine Bereicherung der deutschen Orchesterlandschaft, auch wenn Würth sich kein Vollorchester leisten kann oder will.
Als Konkurrenz sieht Landlinger das neue Orchester in der Nachbarschaft nicht: "Wir sind da auch eingeladen, wir werden dort auch spielen, das ist das Spannende dran, denn so ein Saal fehlt hier in der Region. Da freuen wir uns auch drauf. Dass er sich dazu da noch ein eigenes Orchester leistet, das sehe ich als Unternehmenskommunikationsschiene, das ist ihm eben wichtig. Wenn er sich noch so gute Orchester einkauft hat er nicht kommuniziert, dass es sich um die Würth Philharmoniker handelt."
Fehlende Probenzeit
Auf dem Weg zum Weltorchester eines Weltunternehmens dürfte es aber noch dauern. Da rumpelt am Eröffnungsabend zusammen, was zusammen gehören soll, Maurice Ravels Klavierkonzert gerät unter den hämmernden Fingern des französisch-russischen Pianisten Roustem Saïtkoulov zu einer Schlachtorgie, in der die Bläser untergehen und das Walnussfurnier des Konzertsaals vibriert. Dirigent Maxim Vengerov wird degradiert zur Stafette. Besser taktet es bei Tschaikowskis Sinfonie "Pathetique" zusammen. Die startet zwar filigran im pianissimo, um dann umso schmerzhafter ins fortissimo umzuschlagen, ordentliche Übergänge - dafür fehlte dem jungen Orchester wohl die Probenzeit. Dass die Würth Philharmoniker durchaus mit der Weltklasse ihres Konzertsaales mithalten könnten, blitzte am Ende des Abends kurz durch, als alle Musiker endlich zusammengefunden hatten. Man darf ihnen duchaus noch Zeit geben sich zu entwickeln. Wann gibt es schon die Gelegenheit, ein Orchester von Anbeginn zusammenwachsen zu hören. Es kann nur besser werden.