So belege Wulff nicht, dass es massenhafte Falschbehauptungen über ihn gegeben hätte oder dass viele Journalisten ungeprüft Informationen anderer Medien übernommen hätten. Es gebe für klare Spielregeln bei der Recherche und Berichterstattung, die bis auf einige wenige Fälle auch eingehalten worden seien.
"Politische Vorwürfe nicht zusammengebrochen"
Wulffs Freispruch vor Gericht lasse außerdem nicht auf eine übertriebene Medienhetze gegen den damaligen Bundespräsidenten schließen: "Nur weil ein strafrechtlicher Vorwurf nicht aufrecht erhalten werden konnte, sind doch die politischen Vorwürfe nicht zusammengebrochen", sagte Tillack und verwies auf zahlreiche Rücktritte in der Vergangenheit, die fast nie in eine strafrechtliche Verfolgung oder gar Verurteilung gemündet seien.
Es bleibe etwa dabei, dass Wulff Veranstaltungen durch Lobbyisten finanzieren ließ, was bei vielen Bürgen zum Vertrauensverlust geführt habe. Mit diesem fehlenden Vertrauen der Mehrheit habe Wulff seinen Rücktritt ja auch begründet - ein Widerspruch zu seiner jetzigen Darstellung, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hannover sei der Grund gewesen. "Wulff ist in seiner Darstellung der Fakten nicht immer ganz konsistent", meinte Tillack.
Das Interview in voller Länge:
Dirk-Oliver Heckmann: Der Termin war bewusst gewählt. Genau zwei Tage, bevor der Freispruch für Christian Wulff rechtskräftig wird - morgen ist das der Fall, sollte die Staatsanwaltschaft nicht noch Rechtsmittel einlegen -, da stellte der ehemalige Bundespräsident sein Buch vor. Der Titel: "Ganz oben ganz unten". Und das zentrale Thema natürlich seine Sicht auf sein politisches Schicksal, seine Sicht auf seinen Rücktritt am 17. Februar 2012, den er als Ergebnis einer Menschenjagd erlebt hat, und seine Sicht auf die Berichterstattung von Medien, die einzig das Ziel gehabt hätten, ihn zur Strecke zu bringen.
O-Ton Christian Wulff: "Die Art und Weise, wie sich nicht nur in meinem Fall Medien und Justiz gegenseitig die Bälle zugespielt haben, bedroht das Prinzip der Gewaltenteilung. An der Schnittstelle zwischen Justiz und Presse liegt meines Erachtens eine ernst zu nehmende Gefahr für unsere Demokratie."
Heckmann: Soweit Christian Wulff gestern in Berlin. Zugeschaltet ist uns jetzt aus unserem Hauptstadtstudio Hans-Martin Tillack vom Magazin "Stern". Er gehörte zu den Journalisten, die die Affäre Christian Wulff mit ausgelöst, mit aufgedeckt haben. Schönen guten Morgen, Herr Tillack.
Hans-Martin Tillack: Guten Morgen!
"Er belegt nicht, dass es massenweise Falschbehauptungen über ihn gegeben habe"
Heckmann: Haben Sie geholfen, Christian Wulff zur Strecke zu bringen?
Tillack: Nein. Ich habe geholfen, einiges ans Licht zu bringen, was ihn betraf. Ich habe dieses Buch mir gestern Abend auch noch komplett durchgelesen. Ich werde da öfter auch erwähnt, auch in manchmal nicht ganz freundlicher Weise, auch mit Behauptungen, die einfach falsch sind. Ich werde jetzt trotzdem nicht einen Anwalt rufen, weil wir Journalisten können, glaube ich, auch nach diesem Buch doch größtenteils relativ gelassen bleiben, weil eine Behauptung, die Herr Wulff immer wieder auch aufstellt, belegt er eben nicht.
Er belegt nicht, dass es massenweise Falschbehauptungen über ihn gegeben habe. Er belegt nicht, dass da Medien insoweit nur einfach wiedergekäut hätten, was einige über ihn recherchiert hätten, und anders, als Sie es ja vorhin auch von ihm zitiert haben, gibt es Spielregeln bei der Recherche, die wir auch eingehalten haben. Sie müssen natürlich sich auf die Fakten konzentrieren, Sie müssen dem Betreffenden immer auch Gelegenheit geben, sich dazu zu äußern. Das haben wir immer getan. Wir haben Gesetze, die das garantieren, wir haben einen Presse-Codex, und keiner hat uns vom "Stern" zum Beispiel vorgeworfen, dass wir das verletzt hätten. In anderen Fällen gab es das auch mal. Es gab Berichte über Bettina Wulff und Rotlicht-Gerüchte. Da ist Herr Wulff zu Recht dagegen vorgegangen, oder Frau Wulff in dem Fall. Es gab einen Bericht der "Bild"-Zeitung über einen Sylt-Urlaub mit David Groenewold, wo Herr Groenewold juristisch gegen vorging. Auch das geschah zu Recht und das war ja auch bekannt bereits zu dem Zeitpunkt, als dann die Staatsanwaltschaft die Aufhebung der Immunität beantragt hat.
Heckmann: Man muss aber sagen, das Landgericht Hannover hat Christian Wulff freigesprochen von den strafrechtlich erhobenen Vorwürfen, und diese Vorwürfe, die sind allesamt in sich zusammengebrochen.
Tillack: Das, würde ich sagen, folgt doch so ein bisschen der verkürzten Darstellung von Christian Wulff. Man muss hier sorgfältig trennen. Nur weil jetzt ein strafrechtlicher Vorwurf nicht aufrecht erhalten werden konnte, sind ja diese ganzen politischen Vorwürfe gegen ihn nicht in sich zusammengebrochen. Wir hatten bei all den Skandalen, all den Rücktritten der Nachkriegszeit ja kaum mal einen Fall, wo es dann auch zu einer strafrechtlichen Verurteilung gekommen wäre, so auch hier nicht, und Herr Wulff hat es geschafft, mithilfe von einigen Leuten auch in den Medien so zu tun, als sei damit, dass in dem strafrechtlich am Schluss noch relevanten Fall nichts herauskam, deswegen auch alles andere erledigt. Aber es gab ja nun die kostenlosen Urlaube bei Freunden, es gab eine von einem Lobby-Unternehmer ausgerichtete teure Feier für ihn, wo er 80 Gäste vorgeschlagen hat, nicht nur ein paar, wie er jetzt in seinem Buch fälschlich behauptet. Es gab vielfach Fälle, wo er sich hat aushalten lassen, und das wurde ihm vorgeworfen von der Öffentlichkeit und all diese Fakten sind ja nicht erledigt, nur weil im Fall des Bayrischen Hofes strafrechtlich nichts dran war.
"Wulff ist in seinen Darstellungen der Fakten leider nicht immer ganz konsistent"
Heckmann: Aber diese Fehler hat er ja gestern auch eingestanden, Herr Tillack. Er hat die Urlaube bei seinen Freunden erwähnt, auch sein Auftreten vor dem Landtag in Niedersachsen, auch seinen Anruf auf der Mailbox von "Bild"-Chefredakteur Diekmann, und er hat dazu gesagt, wunderbar für jeden, der fehlerfrei ist. Sind wir da nicht ein bisschen selbstgerecht?
Tillack: Selbstgerechtigkeit ist immer falsch. Herr Wulff erwähnt auch in seinem Buch Presserabatte, die Journalisten in Anspruch nehmen, und das kritisiert er zu Recht. Ich nehme den nicht in Anspruch, viele andere auch nicht, aber da gibt es auch Selbstgerechtigkeit. Aber er hat ja eben auch gestern gesagt, dass, obwohl er meint, dass er Fehler gemacht habe, sein Rücktritt nicht notwendig gewesen wäre, wenn es nicht diesen Antrag auf Aufhebung der Immunität gegeben hätte, und da widerspricht er sich selbst sogar. Er hat ja seinen Rücktritt damals im Februar 2012 damit begründet, zu Recht, würde ich sagen, dass er nicht mehr das Vertrauen der übergroßen Mehrheit der Bürger in Deutschland hatte. Das war damals seine Begründung und interessanterweise gab es damals schon Leute, die vermuteten, dass er das nur deswegen gesagt habe, um sich seinen Ehrensold zu sichern, weil es sonst juristisch schwierig geworden wäre. Jetzt jedenfalls sagt er: Nein, das war gar nicht meine Begründung, meine Begründung war, dass es diese Ermittlungen gab, und da ist es auch jetzt wieder so: Christian Wulff ist in seinen Darstellungen der Fakten leider nicht immer ganz konsistent.
Heckmann: Christian Wulff hat gestern gesagt, sein Rücktritt sei falsch gewesen. Sie haben es gerade auch schon mal erwähnt. "Ich wäre auch heute der Richtige in dem Amt", hat er noch dazugefügt. Richtig oder falsch?
Tillack: Mit solchen Äußerungen macht es Christian Wulff einem auch schwer. Man kann natürlich sehr gut verstehen, dass das für ihn auch eine sehr schwere Zeit gewesen sein muss, diese Wochen, in denen es immer wieder neue Vorwürfe gab, durchaus auch substanziierte Vorwürfe. Trotzdem ist das nicht schön, wenn man in dieser Weise durch die Zeitungen gezogen wird. Aber indem er jetzt heute so tut, als sei das alles nur Pillepalle gewesen und als wäre er immer noch der richtige Mann, als Präsident dieses Land zu repräsentieren, da macht er es einem wirklich schwer, nun auch dieses Verständnis für ihn durchzuhalten.
Heckmann: Altpräsident Christian Wulff hat gestern sein Buch vorgestellt, "Ganz oben Ganz unten", und damit seine Sicht der Dinge dargelegt. Wir haben darüber gesprochen mit dem "Stern"-Reporter Hans-Martin Tillack. Herr Tillack, danke Ihnen für das Gespräch!
Tillack: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.