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Wulff-Prozess
Prantl: Wulff hat einen Freispruch verdient

Ex-Bundespräsident Christian Wulff habe nach den exzessiven und rücksichtslosen Ermittlungen mehr als einen Einstellungsbeschluss verdient, sagt Heribert Prantl von der "Süddeutschen Zeitung" im DLF-Interview. Angesichts des Verhaltens der Staatsanwaltschaft frage er sich, ob im Hintergrund vonseiten der Politik oder anderen Personen in die Strafverfolgung hineinregiert worden sei.

Heribert Prantl im Gespräch mit Jochen Fischer |
    Christoph Heinemann: Der Korruptionsprozess gegen den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff könnte schon im Januar mit einer Einstellung enden. Die in der Anklage formulierten Vorwürfe der Vorteilsnahme im Amt seien nach der vorläufigen Bewertung der Kammer bislang nicht belegbar. Das sagte Richter Frank Rosenow gestern in einer Zwischenbilanz.
    Über den Prozess hat mein Kollege Jochen Fischer mit dem Journalisten Heribert Prantl von der "Süddeutschen Zeitung" gesprochen und ihn gefragt, ob eine Einstellung des Verfahrens gerecht wäre.
    Heribert Prantl: Ja, ich würde es für gerecht halten. Aber es ist, glaube ich, noch nicht die volle Gerechtigkeit. Einstellung heißt ja Einstellung wegen Geringfügigkeit und ich denke, der Ex-Bundespräsident verdient nach all dem, was war, nach der Art und Weise, wie die Staatsanwaltschaft in, wie ich meine, exzessiver und obsessiver Manier ermittelt hat, mehr als einen Einstellungsbeschluss, nämlich einen Freispruch. Aber wenn das Gericht in der jetzigen Phase der Verhandlung in einer Zwischenerklärung die bisherige Summe des Verfahrens zieht und sagt, es ist nichts dran, dann ist es sozusagen eine Art Ankündigung eines Freispruchs für den Fall, dass es zu einer Einstellung nicht kommt, weil um eine Einstellung zu machen, müssen alle Verfahrensbeteiligten zustimmen.
    Jochen Fischer: Wenn es dazu käme, dann muss man ja fragen, kann man denn eigentlich zum Beispiel einen Polizeibeamten verurteilen, der ein paar Rispen Trauben angenommen hat - diesen Fall gibt es ja -, während ein ehemaliger Ministerpräsident mit einem Freispruch davon kommt?
    Prantl: Nun ja, es ist ja so, dass die Verbindung zwischen der Annahme von Geldvorteilen und der Amtshandlung nicht nachweisbar ist. Da ist schlichtweg nichts da. Und die wenigen Euro, die übrig bleiben, bewegen sich im Rahmen - das ergaben die bisherigen Ermittlungen - von freundschaftlichem Bezahlen. Das ist das Ergebnis der bisherigen Verhandlung. Wulff und der mitangeklagte Groenewold waren miteinander befreundet und man hat sich immer wieder gegenseitig eingeladen. Das ist das Ergebnis von Ermittlungen. So ein Verhalten ist bei einem Polizisten nicht strafbar, es ist bei anderen Beamten nicht strafbar und auch nicht bei einem Minister und nicht bei einem Bundespräsidenten oder Ministerpräsidenten.
    Der Journalist Heribert Prantl
    Heribert Prantl (dpa / picture alliance / Markus C. Hurek)
    Fischer: Falls nun Christian Wulff freigesprochen wird, dann ist nichts mehr übrig geblieben von alledem, was ihm vorgeworfen wurde, außer es bleibt ein zerstörter Mensch im Privaten wie im Politischen. Durfte es eigentlich so weit kommen?
    Prantl: Ja da müssen sich nicht nur die Ermittler, da müssen sich auch die Medien und die Journalisten an die Brust klopfen, denke ich. Auch in der Redaktion meiner Zeitung ist ja seinerzeit vehement darüber diskutiert worden darüber, ob und wann es zu viel wird mit einer immer versesseneren Berichterstattung über immer mehr angebliche Details und angebliche Vorteilsannahme und Bestechlichkeit. Aber ich erinnere mich ganz gut: Als es schließlich auch noch um ein Bobby Car für den Sohn Wulffs ging, dann genierte sich doch fast ein jeder und plädierte für Mäßigung und Einhalt.
    Und ich glaube, die Scham über die Exzessivität von Berichterstattung, vom Aufblasen der immer gleichen Vorwürfe, da ist doch auch mittlerweile einiges an Scham eingekehrt in unserer Branche, bei den Medien, aber offenbar noch nicht bei der Staatsanwaltschaft. Die Art und Weise, wie sich die Staatsanwaltschaft erklärt, finde ich völlig unverständlich. Die Staatsanwaltschaft hat, so ist dieses Institut angelegt und diese Einrichtung, für und gegen einen Beschuldigten zu ermitteln. Sie hat, auch wenn sie ursprünglich angeklagt hat, wenn sie feststellt, dass die Anklage nicht hält, dass die Indizien und die Beweise nicht das halten, was man sich von ihnen versprochen hat, die Dinge neu zu beurteilen. Also hätte heute die Staatsanwaltschaft der Anregung des Gerichts folgen sollen, sich mit der Einstellung bereit erklären, oder vielleicht sogar noch mehr, also eine Art Wiedergutmachung ankündigen, dass man, wenn sich der jetzige Sach- und Streitstand weiterhin erhärtet, nämlich die Unschuld des Angeklagten, dass man selber auf Freispruch plädiert. Das würde ich für angemessen halten.
    Fischer: Sie haben eben auch die Rolle der Medien selbstkritisch angesprochen. Haben sich die Strafverfolger von diesem Medien-Hype eigentlich anstecken lassen?
    Prantl: Die Vermutung kann man haben, wenn Sie durch die Akten blättern. Die Akten fallen Ihnen aus der Hand, welche Dinge hier ermittelt wurden, in welche Details, in welche Kleinigkeiten man sich hineingebohrt hat, mit welcher Rigorosität und auch Rücksichtslosigkeit hier in intime Details hinein ermittelt wurde. Ich frage mich tatsächlich, ob es nur Ansteckung durch die Medien ist, oder ob da im Hintergrund mehr steckt, ob die Politik, der Generalstaatsanwalt, veranlasst vom Justizminister, hier in die Ermittlungen hineinregiert hat. Ich weiß es nicht.
    Fischer: Was kann die politische Kultur in diesem Land aus dem Fall Wulff lernen?
    Prantl: Sich zu mäßigen und nicht aus Kleinigkeiten Elefanten zu machen und nicht hysterisch zu werden. Es ist nicht Aufgabe der Presse und der Medien, Hysterien zu erzeugen, und es ist nicht Aufgabe von Medien, Politiker in den Rücktritt zu treiben. Es ist Aufgabe aufzuklären, aber Aufklärung heißt nicht Wiederholung des immer gleichen und das Aufblasen kleiner Vorwürfe. Genau das ist im Fall Wulff geschehen.
    Heinemann: Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung". Die Fragen stellte mein Kollege Jochen Fischer.
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