Auch wenn Ex-Bundespräsident Christian Wulff vom Vorwurf der Vorteilsnahme freigesprochen werde, bleibe das jämmerliche Bild, das er in der Affäre bot, bestehen, sagt der Medienwissenschaftler Norbert Bolz. Sein Krisenmanagement sei katastrophal gewesen.
Christoph Heinemann: Altbundespräsident Christian Wulff kämpft für einen Freispruch auf ganzer Linie. Zu Beginn des Korruptionsprozesses vor dem Landgericht Hannover beteuerte der 54-Jährige seine Unschuld: "Ich bin mir ganz sicher, dass ich auch den allerletzten Vorwurf ausräumen werde, weil ich mich immer korrekt verhalten habe im Amt." Rund anderthalb Jahre nach seinem Rücktritt als Staatsoberhaupt muss Wulff sich wegen Vorteilsannahme verantworten. Wulff warf der Justiz unfaire Ermittlungsmethoden vor. In den Kommentaren der unterschiedlichen Medien hieß es gestern, dieser Prozess wegen gerade mal 700 Euro sei lächerlich. Das schrieben allerdings die gleichen Zeitungen und Sender, die Wulff im letzten Jahr sehr offensiv zum Rücktritt gedrängt hatten.
Darüber hat mein Kollege Tobias Armbrüster mit Norbert Bolz gesprochen, Professor für Medienwissenschaft an der Technischen Universität Berlin, und gefragt, was in der Zwischenzeit passiert ist.
Norbert Bolz: Ich glaube, offen gestanden, nicht, dass sehr viel passiert ist, auch nicht in den Köpfen der Journalisten, oder dass es zu einer Neubeurteilung der Situation gekommen ist. Ich glaube, es hat sich sehr früh schon abgezeichnet, dass der rein juristische Fall Wulff harmlos ist, oder vielleicht gar kein wirklicher Fall ist. Aber parallel zum juristischen Fall hat sich ja immer größer damals aufgebaut der publizistische Fall Wulff. Ich will damit ausdrücken, die Situation eines extrem exponierten politischen Menschen, der nicht in der Lage war, mit den Medien umzugehen, der auch mit Anschuldigungen nicht sinnvoll umgehen konnte, der keine Souveränität gezeigt hat, mit einem Wort, der diesem Amt nicht gewachsen war. Und ich glaube, diese beiden Dinge muss man auch auseinanderhalten: auf der einen Seite die rein juristische Beurteilung und auf der anderen Seite das eigentliche Thema des damaligen Skandals Wulff oder der Problematik Wulff, nämlich dass er konfrontiert mit Anschuldigungen, ob sie nun berechtigt waren oder nicht, eine extrem unglückliche Figur gemacht hat, die eines Präsidenten nicht würdig war.
Tobias Armbrüster: Aber die Juristen, in diesem Fall die Staatsanwälte, die sind ja erst aktiv geworden nach der Medienberichterstattung. Das hängt ja schon beides zusammen?
Bolz: Nein! Selbstverständlich hängt das eng miteinander zusammen. Ich will ja nur erklären, warum die Journalisten kein Problem haben, beides auseinanderzuhalten, warum sie gleichzeitig diesen Skandal Wulff auf die Spitze treiben konnten und auf der anderen Seite jetzt aber keine Probleme haben, den realen Prozess als Bagatelle abzutun.
Armbrüster: Ist das Ganze dann vielleicht eher ein Problem der Justiz? Müssen sich da Juristen an die Nase fassen und sagen, vielleicht haben wir uns da von den Medien etwas zu weit verleiten lassen?
Bolz: Das glaube ich schon. Ich bin ziemlich sicher, dass es niemals zu irgendeinem juristischen Verfahren gekommen wäre, wenn Wulff gleich anfangs eingeräumt hätte, dass es da gewisse Ungenauigkeiten oder Ungereimtheiten gegeben hat, so wie er ja auch heute argumentiert: Ein Mann, der Tausende von Briefen unterschreibt, der kann an einzelnen Formulierungen natürlich nicht mehr gemessen werden. Der hat unendlich viele Zuarbeiter, da kann es zu handwerklichen Fehlern kommen. Hätte er so von vornherein argumentiert, wäre es auch juristisch, glaube ich, niemals zu einem Fall Wulff gekommen.
Armbrüster: Wolfgang Thierse, der ehemalige Bundestagsvizepräsident, der hat gesagt, die Berichterstattung vor anderthalb Jahren, die habe etwas Gespenstisches vor ihm gehabt, wie da in jeder Rechnung und in jedem Geschenk für die Familie Wulff herumgestochert wurde. Auch wenn Sie jetzt sagen, es ist eigentlich kein Problem der deutschen Medien, sehen Sie da im Nachhinein auch in gewisser Weise einen Tiefpunkt des deutschen Journalismus?
Bolz: Ich bin immer zögerlich mit Journalistenschelte, zögerlich mit ethischer Kritik am Journalismus. Die Leute in den Redaktionen, die tun, was ihr Job ist. Sie greifen Politiker da an, wo sie sich verletzlich zeigen, wo sie empfindlich sind. Wenn sie unklug reagieren, diese Politiker, dann ist das eine Chance nachzufassen. Und wenn man ehrlich ist, ist ein echter Skandal natürlich ein ungeheuerer Triumph für die Medien, zumindest für die Boulevard-Medien, und es ist ja kein Zufall, dass genau die Medien, die Wulff zum Superstar und zur Celebrity aufgebaut haben, eben auch diejenigen waren, die ihn dann vollkommen zerstört haben.
Armbrüster: Dann lassen Sie uns mal über das Bild in den Medien von Christian Wulff sprechen. Haben Sie den Eindruck, kann er diesen Prozess als Gewinner verlassen, oder bleibt er auf ewig ein Verlierer, auch wenn er in diesem Verfahren freigesprochen werden sollte?
Bolz: Ja ich sehe es genauso, wie es in Ihrer Frage formuliert ist. Er wird höchst wahrscheinlich den Prozess als Gewinner verlassen, juristisch, aber publizistisch wird er immer der Verlierer bleiben. Er hat ein jämmerliches Bild geboten, fast jede seiner Entscheidungen im Blick auf die Medien war falsch, und das kann er im Nachhinein nicht mehr korrigieren. Selbst wenn er vollständig reingewaschen würde im juristischen Sinne, ändert das nichts an dem katastrophalen Eindruck, den er konkret in den jeweiligen Situationen gemacht hat. Das bleibt haften und das wird er auch niemals wieder los.
Heinemann: Norbert Bolz, Professor für Medienwissenschaft an der Technischen Universität Berlin. Die Fragen stellte mein Kollege Tobias Armbrüster.
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