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Wunden der Erde

Die Wissenschaftsjournalistin Monika Seynsche befindet sich auf Recherchereise - unter anderem in den USA und Kanada. Sie beschäftigt sich mit jenen Wunden, die der Mensch unserem Planeten zufügt - sei es durch den Kohleabbau oder durch die Ölförderung. Im Interview berichtet sie über ihre bisherigen Erfahrungen.

    Ralf Krauter: Dass wir Menschen dem Planeten, auf dem wir leben, oft ziemlich übel mitspielen, ist ja nichts neues. Stichwort Klimawandel, Artensterben und so weiter. Zum Glück verfügt die Natur allerdings über erstaunliche Selbstheilungskräfte. Wenn etwa durch Bergbau zerstörte Landstriche ein paar Jahrzehnte in Ruhe gelassen werden, dann erobert sich die Natur das Terrain in aller Regel wieder zurück. Mitunter ist die Umweltzerstörung durch den Menschen allerdings auch so gravierend, dass sich die Natur nicht mehr davon erholt. Ebensolche bleibenden Wunden der Erde waren für meine Kollegin Monika Seynsche die Triebfeder, sich auf eine mehrwöchige Recherchereise zu machen. Nach ersten Stopps an der US-Ostküste und in Kanada ist sie inzwischen in Alaska gelandet und uns jetzt von dort zugeschaltet. Frau Seynsche, wo genau in diesem riesigen US-Bundesstaat im hohen Norden hat Sie es denn jetzt hin verschlagen?

    Monika Seynsche: Ich bin zurzeit in Cordova. Das ist ein ganz abgelegener Ort am Prinz-William-Sunds in Alaska. Also an dem Sund, in dem vor 22 Jahren die Exxon Valdez auf ein Riff aufgelaufen ist und dabei ja mehr als 40.000 Kubikmeter Öl verloren hat. Das heißt, das ist eine relativ alte Wunde hier - 22 Jahre - aber man sieht eben immer noch die Spuren dieser Wunde. Die Forscher finden zum Beispiel immer noch Öl am Strand, relativ frisches Öl sogar. Und die Heringsschwärme, die ein ganz elementarer Teil des Ökosystems hier oben sind, haben sich bis heute nicht erholt. ... weil es hier in Cordova ein Forschungszentrum gibt, dass die Auswirkungen dieses Ölunfalls untersucht. Und wenn das Wetter mitspielt, dann fahre ich heute noch mit Forschern raus auf eine Messfahrt.

    Krauter: Wunden der Erde - das ist das Thema Ihrer Recherchereise. Wie genau kam es denn zu der Idee, Hotspots der Umweltzerstörung aufzusuchen?

    Seynsche: Diese Idee ist entstanden in einem Gespräch mit meinem Chef Uli Blumenthal, der Luftbildaufnahmen gesehen hatte von alten Industriestandorten. Und das Faszinierende an diesen Luftbildern ist: Auf den ersten Blick sehen die wirklich ästhetisch aus. Bis man realisiert, was das ist, was das für eine Narbe ist, die da ins Gestein, in die Oberfläche, in die Landschaftsoberfläche geschlagen wurden ist. Und daraus ist im Prinzip die Idee entstanden, solche Wunden der Erde, die das ja sind, zusammenzutragen, zu zeigen, welche Folgen sie haben, was diese Wunden für die Menschen, die in der Umgebung leben, bedeuten. Und auch zu klären: Kann man solche Wunden schließen oder sind sie für die Ewigkeit dort?

    Krauter: Heute und morgen also Alaska und Exxon Valdez inklusive Bootstour. Welche weiteren Ziele stehen denn auf Ihrem Reiseplan?

    Seynsche: Ich fliege am Mittwoch weiter nach Tazmanien, eine Insel vor Australien, auf der in großem Maßstab kalt-gemäßigte Urwälder abgeholzt werden. Und anders als in den tropischen Regenwäldern oder in den borealen Wäldern der Nordhalbkugel werden hier wirklich Wälder abgeholzt, die komplett einzigartig auf der Welt sind. Dadurch dass Australien so über Jahrmillionen abgeschottet war vom Rest der Welt, Tazmanien noch ein bisschen länger, ist es einfach ein komplett einzigartiges Ökosystem. Das heißt, wenn das zerstört wird, wenn diese Wunde gerissen wird, kann man das auch nicht wieder herstellen. Und dann, ein paar Tage später, geht es nach Queensland weiter - auf eine Insel, auf der in großem Maßstab Sand abgebaut wird. Das hört sich erstmal ziemlich unspektakulär an. Aber Sandabbau ist ein Thema, was immer, immer größer wird - und zwar weltweit - und zu einem größeren Problem wird, weil einfach dadurch, dass immer mehr Leute in Betonhäusern zum Beispiel wohnen möchten, immer mehr Sand gebraucht wird. Es wird immer mehr Sand für Silicium-Chips gebraucht. Das heißt, das ist eine Ressource, die in immer stärkerem Maße abgebaut wird. Und diese Ökosysteme von Sandinseln, von anderen Sandflächen werden dadurch natürlich massiv zerstört. Das ist ein großes Thema. Dann geht es weiter: Im Frühjahr werde ich mich um die Wunden in Europa kümmern. Denn da gibt es natürlich reichlich große Wunden. Das war einfach logistische bedingt, dass wir jetzt zuerst diese große Reise gemacht haben. Und jetzt geht es dann im Frühjahr nach Europa. Im Prinzip ist das Ganze natürlich eine unendliche Serie. Denn es gibt überall auf der Welt Wunden der Erde. Und wir mussten wirklich die Entscheidung treffen: Was machen wir jetzt? Und da ist die Entscheidung gefallen, wir kümmern uns erstmal um die Industrieländer. Denn es ist natürlich immer einfach, den Entwicklungsländern zu sagen: 'Oh, Ihr habt da aber eine schreckliche Wunde', aber ich denke es ist richtig - man sollte erstmal vor der eigenen Haustür kehren, bevor man sich dann um die Entwicklungsländer auch kümmert.

    Krauter: Wer wie Sie Informationen und Eindrücke aus erster Hand sammelt, der hat natürlich viel zu erzählen. Wenn Sie ein Erlebnis Ihrer bisherigen Reise rauspicken müssten: Was hat Sie denn bislang am nachhaltigsten beeindruckt?

    Seynsche: Ich glaube, das war die Fahrt in diese Ölsandfelder in Kanada. Das ist gar nicht mal so sehr das, was man da sieht. Man sieht nämlich nicht wirklich viel von der Straße aus. Aber man riecht es. Es riecht penetrant nach Öl. Und alle zwei Sekunden - wirklich ständig - erschallen Kanonenschüsse, die dazu da sind, um Vögel von diesem giftigen Rückstandsbecken fernzuhalten. Und das beides zusammen, dieser Geruch und diese ständigen Schüsse, bei denen ich zumindest ständig zusammengeschreckt bin, schaffen eine ganz, ganz bedrohliche Situation. Und wenn man dann noch diese riesigen Stahlkonstruktionen der Fabriken dort dazu nimmt, die rauchenden Schornsteine, den grauen Dunst in der Luft - das Ganze hat mich wirklich an eine modernde Version von Mordor erinnert, an diesen Sitzt des Bösen im "Herr der Ringe".

    Krauter: Vielen Dank nach Alaska. Monika Seynsche war das.

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