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Wuppertal
Streit um eine Friedrich-Engels-Skulptur aus China

3,85 Meter ist sie hoch, die Friedrich-Engels-Statue, die in Kürze in Wuppertal eingeweiht wird. Doch das Geschenk der Volksrepublik China sorgt in der Heimatstadt des Ökonomen nicht nur für Begeisterung. Eberhard Illner, Direktor des Wuppertaler Engels-Hauses, findet, dass sie "moderner künstlerischer Sprache standhält".

Eberhard Illner im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich |
    Burkhard Müller-Ullrich: Ich lese jetzt mal ein Zitat: "Die Arbeit ist die Quelle allen Reichtums, sagen die politischen Ökonomen. Sie ist dies – neben der Natur, die ihr den Stoff liefert, den sie in Reichtum verwandelt. Aber sie – also die Arbeit - ist noch unendlich mehr als dies. Sie ist die erste Grundbedingung alles menschlichen Lebens, und zwar in einem solchen Grade, dass wir in gewissem Sinn sagen müssen: sie hat den Menschen selbst geschaffen." Das ist von Friedrich Engels und es steht auf einem Sockel eines Denkmals, das demnächst bei Ihnen im Garten, hätte ich fast gesagt, in der Nähe Ihres Engels-Hauses in Wuppertal eröffnet wird, Eberhard Illner. Sie sind der Direktor. 3,85 Meter hoch ist das Denkmal. Muss es so hoch sein?
    Eberhard Illner: Es ist nun mal so hoch, und zwar genauso hoch wie das Denkmal, was in den 70er-Jahren von Alfred Hrdlicka geschaffen wurde, "Die starke Linke", also eine etwas abstrakte Auseinandersetzung des Kampfes von Kapital und Arbeit. In diesem Fall haben wir jetzt ein Geschenk der Volksrepublik China, und zwar eine figürlich erkennbare Darstellung von Friedrich Engels. Man muss sich das so vorstellen: Die ist aus Bronze, hat einen relativ niedrigen Sockel, ist also, wenn Sie so wollen, vom Sockel geholt worden, aber sie ist zumindest genauso groß wie der Hrdlicka.
    Müller-Ullrich: Und wie bei Hrdlicka hat es auch ein bisschen Ärger gegeben darum. Damals gab es Proteste, weil das ist ja nicht so konkret und anschaulich wie die Figur Engels, die man jetzt da sieht – übrigens ein ziemlich alter Engels. Er hat auch nur in seiner Jugend in Wuppertal gelebt.
    Illner: Das ist richtig. Engels ist 1820 in Barmen geboren, er ist Sohn einer Unternehmerfamilie und war dann sehr frühzeitig schon in England - sein Vater hatte in Manchester ein Joint Venture, eine Eisengarn-Fabrik, eine Spinnerei – und ist dann ab 1850 Teilhaber der Firma gewesen und ab 1870 in London, sodass er praktisch nach der Revolution von 1848/49 - 49 stand er noch mal in der Reichsverfassungskampagne in Elberfeld auf den Barrikaden – dann nicht mehr in Wuppertal aktiv geworden ist. Aber der Friedrich Engels ist deshalb so alt, weil er ein Geschenk der Volksrepublik China ist, und Marx und Engels sind neben Konfuzius und Laotse die großen weisen Lehrer. Die Chinesen können sich solche weisen Lehrer nur als alte Herren vorstellen.
    Müller-Ullrich: Wie sind Sie denn daran gekommen, ein Geschenk aus China? Ich meine, Sie hatten es sich nicht ausgedacht, oh, wir brauchen noch einen Engels im Garten?
    Illner: Nein! Das hat sich 2010 bei einem Staatsbesuch des Generalsekretärs Makai ergeben, der sehr lange im Engels-Haus und in dem angrenzenden Museum für Frühindustrialisierung war und dem das sehr gefallen hat und der dann fragte, wie groß war Friedrich Engels. Friedrich Engels war ungefähr 1,90 groß, sehr sportlich, sehr schlank und so. Dann habe ich lange nichts gehört, bis ich dann die Nachricht bekommen habe, wir stiften eine Statue. Zwei Jahre später habe ich auch den Künstler, der beauftragt wurde, Herrn Professor Zeng in Beijing besucht, der verschiedene Entwürfe hatte, und jetzt nach vier Jahren trifft die Statue ein.
    Müller-Ullrich: Als Sie dieses Angebot bekamen, hatten Sie da kurz zusammengezuckt und gedacht, das könnte doch ein bisschen heikel werden? Denn ich sprach ja schon von den Schwierigkeiten, die es gibt, auf die wir jetzt kommen müssen.
    Einen "zweiten Lenin hätten wir uns nicht gerne gewünscht"
    Illner: Ja, natürlich. Einen sozusagen zweiten Lenin hätten wir uns nicht gerne gewünscht, sondern es musste schon eine Statue sein, die internationalen künstlerischen Maßstäben irgendwie standhält – zwar figürlich erkennbar, aber trotzdem in moderner künstlerischer Sprache. Das haben wir mit dem Künstler nun hingekriegt. Die Statue hat eine sehr interessante Oberfläche, ist ziemlich amorph gestaltet, und es ist eben kein Lenin, sondern ein Engels, der nachdenklich ist, der sinnierend dasteht, vielleicht über das, was er geschrieben hat, noch mal nachdenkt, also eine ganz, ganz andere Ausdrucksform hat, als wir sozusagen die Denkmäler aus dem sozialistischen Realismus so kennen.
    Müller-Ullrich: Aber unter der Oberfläche, die Sie so toll finden, gibt es natürlich einen politischen Gehalt, der unter anderem auch in der Person dieses Künstlers sich manifestiert. Es war immerhin Zeng Chenggang. Der ist Präsident des chinesischen Bildhauer-Instituts, Vizepräsident des chinesischen Künstlerverbandes. Also auch ein politischer Charakter?
    Illner: Natürlich. Das ist ein Künstler, der, sagen wir mal, gute Verbindungen auch zur Staatsführung hat. Nicht umsonst hätte er diesen Auftrag bekommen. Aber auf der anderen Seite: Er steht mitten im künstlerischen Leben, er ist ein international tätiger Künstler, er hat jetzt gerade in der Schweiz zum Beispiel in Luzern eine Ausstellung, kommt da jetzt auch her aus der Schweiz, ist sehr viel in Amerika, hat in Hamburg Ausstellungen gehabt. Und – das kann man durchaus sagen – er hat in seiner Umgebung Assistenten, Künstler, die durchaus vor 25 Jahren auch in der Oppositionsbewegung waren.
    Müller-Ullrich: Was sagen Sie denn denen, die jetzt dagegen protestieren und sagen, erstens kommt es schlecht, gerade im Umkreis des Jahrestages von Tien'anmen, zweitens kommt es doppelt schlecht, weil Engels ja nun auch einen Autor, nämlich Karl Marx finanziell unterstützt hat, der verboten war. In einem Staat, in dem auch Literatur verboten ist wie China, ist das ein bisschen bigott.
    Illner: Es sind natürlich Phänomene, die sich im 20. Jahrhundert dargestellt haben. Wir verstehen Marx und Engels als Historiker in ihrem zeitgenössischen Kontext, also im Kontext des 19. Jahrhunderts. Wir ordnen sie dann auch ein. Und wenn man das tut, dann verkörpert Friedrich Engels durchaus die von uns vertretenen bürgerlichen Freiheitsrechte. Er hat 1848 zusammen mit Karl Marx die "Neue Rheinische Zeitung" in der Revolutionszeit in Köln herausgegeben, er hat wirklich massiv für die Pressefreiheit sich eingesetzt, er hat das gleiche Wahlrecht gefordert und und und, also alles Dinge, die für diesen Menschen sprechen.
    Müller-Ullrich: Dass die Wuppertaler Engels toll finden und stolz darauf sind, ist keine Frage. Die Frage war: Was ist mit China?
    Illner: In China ist es natürlich ein etwas anderes Bild, weil das sind große Lehrmeister und Philosophen, und unsere Aufgabe ist es eigentlich, die Chinesen darauf hinzuweisen, dass man diese Personen historisch kontextualisieren muss. Wenn sie das dann tun, dann gewinnen sie eine neue Dimension, die auch durchaus zum Nachdenken in China anregt. Jedenfalls habe ich immer den Eindruck, wenn ich Führungen für Chinesen in unserem Engels-Haus mache und darauf hinweise, ...
    Müller-Ullrich: Und es kommen viele?
    Illner: Es kommen sehr viele Delegationen und auch Studenten. Es kommen wirtschaftlich Tätige, es kommen Richter, es kommen Künstler, Ärzte, alle, die ganze Bandbreite – übrigens in einer unheimlichen Intensität auch. Selbst Unternehmer halten sich drei, vier Stunden im Engels-Haus und im Museum auf. Wenn ich das von deutschen Politikern vergleichbar hätte, würde ich mich freuen.
    Müller-Ullrich: Ja. Dann freuen wir uns, dass es sich um China handelt und nicht um Nordkorea oder um Kuba. Sonst bekämen Sie auch noch Geschenke von Kim Jong-un oder Fidel Castro. – Herr Illner, vielen Dank! Wir sprachen mit dem Direktor des Engels-Hauses in Wuppertal über die Engels-Statue, die nächste Woche eingeweiht wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.