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Wut in der Corona-Pandemie
"Es gibt einfach Situationen, die kann man nur aussitzen"

Sich in Form von Wut an einem Phänomen wie der Corona-Pandemie abzuarbeiten, sei Realitätsverweigerung und sinnlos, sagte die Psychologin Heidi Kastner im Dlf. Denn eine Pandemie sei von keinem anderen Menschen verantwortet. Es gäbe aber auch eine Form von Wut, die von Nutzen sein könne.

Heidi Kastner im Gespräch mit Benedikt Schulz |
Querdenker-Demonstration gegen die bestehenden Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie anlässlich des World Health Summit 2020 im ehemaligen Kino Kosmos auf der Karl-Marx-Allee. Wegen Nichteinhaltung der polizeilichen Auflagen wurde die Demonstration durch die Polizei beendet. Es gab Rangeleien und Festnahmen. Berlin, 25.10.2020
In der Corona-Pandemie sind viele Menschen wütend - auf die Regierung, Wissenschaftler oder Ärzte (picture alliance / Geisler-Fotopress / Christian Behring)
Wer sich ohnmächtig fühlt, entwickelt Wut. In der Corona-Pandemie müssen Menschen Zustände und Regeln akzeptieren, die sie vor einem Jahr noch für unmöglich gehalten hätten. Manch einen macht das wütend. Aber ist diese Wut, ist Wut überhaupt sinnvoll?
Heidi Kastner, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie erläuterte im Deutschlandfunk, dass Wut eine Emotion ist, die Menschen nutzen, statt verbannen sollten - "wenn sie Veränderung induziert". Das heißt, wenn sie Reflexion und einen Erkentnissprozess anstößt, der dazu führt, dass Menschen etwas in ihrem Leben verändern. Sinnlos sei dagegen Wut, die sich gegen ein Phänomen richte, das nicht menschengemacht sei, also von keiner anderen Person ausgelöst oder herbeigeführt. Damit verbrauche man nur unnötig Energie, meinte Kastner. "Das ist dann eher infantil."
Illustration einer wütenden Frau, die Kinder anschreit
Emotionsforschung - Wer Wut unterdrückt, kann depressiv werden
Wut gilt als ungehörige Emotion. Schon im Kindesalter wird uns beigebracht, sie nicht auszuleben. Das kann krank machen, warnen Psychologen. Doch es gilt, das richtige Maß zu finden.
Es gebe immer wieder Phänomene – wie auch die Corona-Pandemie – die man aussitzen müsse. Sich hingegen mit massiver Emotion an einem Phänomen abzuarbeiten, das niemand zu verantworten habe und das sich dadurch auch nicht ändern lasse, sei eine Form der Realitätsverweigerung, "die auch keinem hilft". Die Realität werde sich nicht von der Emotion beeindrucken lassen.