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Wutraum in Halle
Stressabbau durch Zerstörung

Mal so richtig Wut ablassen, das ermöglicht der erste Wutraum Deutschlands in Halle. Gestresste können dort einen Raum mieten und Möbel, Computer oder Geschirr zerstören. Das ist anstrengend, aber verschafft mitunter auch Entspannung.

Von Thomas Matsche |
    Ein Mann zeigt einen aggressiven und wütenden Gesichtsausdruck.
    Mann schaut wütend (picture alliance / dpa / Tim Brakemeier)
    Statt Anzug und Krawatte trägt Michael Stern an diesem Abend Helm, Atemmaske und Schutzhandschuhe. Der Geschäftsführer einer Internetfirma hat einen Termin in Deutschlands erstem Wutraum, in Halle. In einem der zwei Räume, die eingerichtet sind wie Wohnstuben, will er es gleich so richtig krachen lassen. Schränke, Tische, ein Fernseher oder zahlreiche Teller und Tassen werden seine volle Aggression zu spüren bekommen. Der Jobfrust müsse jetzt mal raus, sagt der 31-Jährige. Und einschlagen auf einen Sandsack reiche dem gestressten Unternehmer einfach nicht mehr. Michael Stern ist bereit, greift sich einen drei Kilogramm schweren Vorschlaghammer. Und kommt doch noch vorher kurz ins Grübeln.
    "Na ja, so oft hatte ich das auch noch nicht in der Hand. Also ich schau mal, ob ich mich überhaupt traue, das da drin rauszulassen also Inventar kaputt zumachen weil man hat ja gelernt man soll nichts kaputt machen und jetzt darf man's. Also ich bin gespannt."
    Seine Scheu legt sich aber schnell. Denn für 89 Euro kann der Unternehmer nun eine halbe Stunde lang nach Herzens Lust auf alles einschlagen, was in dem 15 Quadratmeter großen Raum rumsteht. Das erste Objekt seiner Zerstörungslust ist schnell ausgemacht.
    "Da steht ein Laptop. Den nehme ich als Erstes."
    Stressabbau
    Plastikteile fliegen durch die Luft, Spanplatten zerbersten, ein Monitor geht zu Bruch.
    Nebenan, vor dem zweiten Wutraum, macht sich Juliane Reschke für ihre persönliche Wut-Arie bereit. Die 25-jährige Heimerzieherin ist bereits zum zweiten Mal hier. Sie weiß wie befreiend diese besondere Art des Stressabbaus sein kann.
    "Aus eigener Erfahrung, was ich schon vor ein paar Wochen gemacht habe. Ich musste danach auf Arbeit, es war letzter Schultag, die ganzen Eltern kamen, Schuljahresabschlussveranstaltung, was eigentlich immer sehr stressig ist, bloß an dem Tag, an dem ich das gemacht habe, war ich sehr entspannt, sehr gelassen."
    Ein Gefühl, das Juliane Reschke heute gerne wieder haben möchte. Selbstbewusst greift sie zu einem Baseballschläger aus Holz. Und dann geht es auch bei ihr rund. Ihr hat es das Geschirr angetan, das sie nun kurz und klein schlägt.
    Alles in einem Raum zerstören
    Die Idee zum Wutraum-Projekt, mit dem richtigen Namen "Schlag dich fit", hatten die beiden Hallenser Ronny Rühmland und Marcel Braun. Sie hätten irgendwann erkannt, dass es etwas anderes sei auf einen Fernseher als auf einen Sandsack in einem Fitnessstudio einzuschlagen, sagt Marcel Braun.
    "Es geht einfach nur darum, dass man eine gewisse Freiheit genießt. Also man kann wirklich in diesem Raum alles zerstören was man möchte. An einem Sandsack, da haue ich mit den Fäusten ein paar mal drauf und dann ist auch die Sache Geschichte und hier kann ich halt nach belieben Handeln."
    Nachschub ist gesichert
    Wer will kann auch ein Foto seines Chefs mitbringen oder seine Lieblingsmusik auflegen. Spontan vorbeikommen, gehe aber nicht. Die Aggression müsse man sich bis zum ausgemachten Termin aufsparen. Zwölf gestresste Kunden könnten täglich ihre Wut in den zwei Räumen rauslassen. Für ausreichend Nachschub an Möbeln ist jedenfalls gesorgt. Mit fünf Firmen haben die Unternehmer Verträge laufen. Ihr Möbel-Lager ist rappelvoll.
    Nach etwa zehn Minuten kommt Juliane Reschke mit hochrotem Kopf aus ihrem Wutzimmer. Nicht nur Aggression könne man hier abbauen, das ganze sei auch ein tolles Fitnessprogramm.
    "Sehr entspannt, sehr entspannt. Die ganze Emotion, die kommt raus. Ist halt ein geiles Gefühl."
    Auch Michael Stern ringt nach wenigen Minuten nach Atem, er hat ein Schlachtfeld hinterlassen, strahlt aber bis über beide Ohren.
    "Ich bin wirklich kaputt aber es ist, du siehst es ja an meinem Grinsen. Das ist wirklich cool, und wirklich befreiend, es ist wirklich schön und wenn ich das jetzt hier sehe, geil, das hat mir richtig Spaß gemacht."
    Bisherige Kunden: Privatleute und Firmen
    Vorerst haben sich nur Privatleute oder Firmen bei den Wutraum-Unternehmern gemeldet. Doch die beiden Hallenser wollen ihren Kundenstamm noch erweitern. Auch Sozialarbeiter und Psychotherapeuten sollen den Wutraum für ihre Arbeit nutzen können, sagt Marcel Braun.
    "Die dann so aussehen wird, dass man aggressive Patienten hat, die man dann wirklich im Beisein des Psychotherapeuten dann hier hineinstellen kann und der Psychotherapeut dann seine Therapie durchziehen kann."
    Vielleicht komme ja auch Justin Bieber nach Halle, sagt Marcel Braun noch zum Abschied, der habe gerade eine Anti-Wut-Therapie beginnen müssen.