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WWF: Deiche können Hochwasser nur verringern

Deutsche Flüsse seien in ein Korsett gezwungen und hätten nicht mehr den Raum, den sie brauchten, sagt Roland Gramling von der Umweltorganisation WWF. Um Hochwasser zu vermeiden, müssten künftig mehr Überflutungsflächen zur Verfügung gestellt werden.

Roland Gramling im Gespräch mit Georg Ehring | 04.06.2013
    Georg Ehring: Hochwasser scheinen häufiger zu werden. Jedenfalls verzeichnen wir schon das zweite Jahrhunderthochwasser seit der Jahrhundertwende. Im Jahr 2002 hatten Politik und Behörden Konsequenzen aus der Flut angekündigt. Milliarden Euro wurden verbaut, um die Menschen besser zu schützen. War das vergeblich, oder ist gegen diese Flut einfach nichts zu machen?

    Darüber möchte ich jetzt mit Roland Gramling sprechen, er arbeitet für die Umweltschutzorganisation WWF. Guten Tag, Herr Gramling!

    Roland Gramling: Guten Tag.

    Ehring: Herr Gramling, warum kann das Wasser erneut die Deiche an so vielen Stellen übersteigen?

    Gramling: Nach der letzten Jahrhundertflut hat die Bundesregierung und auch die Länder zwar ein umfassendes Hochwasserschutzprogramm initiiert – die Vorwarnung wurde verbessert zum Beispiel, Deiche wurden ertüchtigt und erhöht -, aber genau das ist das Problem. Das Risiko hat sich kaum verringert, weil kein Deich ein hundertprozentiger Schutz ist. Deiche verringern nur die Symptome, bekämpfen aber nicht die Ursachen, und die Ursache liegt einfach darin, dass die deutschen Flüsse in ein Korsett gezwungen sind und dass sie nicht mehr den Raum haben, den sie eigentlich bräuchten. Und solange sie diesen Raum nicht haben, wird ein Hochwasser, das ein ganz natürliches Phänomen ist, immer wieder zu neuen Rekorden ansteigen.

    Ehring: Das heißt, die Flüsse sind zu eng eingeschnürt. Wo könnte man ihnen denn in unserer heutigen Kulturlandschaft überhaupt Raum lassen?

    Gramling: Es gibt durchaus auch an der Elbe zum Beispiel Räume, die man als Überflutungsflächen bereitstellen könnte. Man redet hier jetzt von forst- und landwirtschaftlich genutzten Flächen. Und da ist notwendig, dass Deiche zurückgesetzt werden. Der WWF selbst hat so ein Projekt in der Nähe von Dessau. Aber man muss sich natürlich im Klaren darüber sein – und das ist in den letzten Jahren versäumt worden -, dass solche Großprojekte viel mehr Zeit brauchen als jetzt eine Deicherhöhung.
    Wir selbst haben angefangen, diese Deichrückverlegung anzufangen Ende der 90er-Jahre - damals gab es noch nicht mal dieses letzte Jahrhunderthochwasser an der Elbe – und sind bis heute noch nicht fertig, weil es einfach viel Arbeit und viel Überzeugungsarbeit auch ist, zusätzliche Überflutungsflächen bereitzustellen.

    Ehring: Heißt das denn, der Hochwasserschutz braucht einfach Zeit, das kommt schon und mit diesem Hochwasser müssen wir einfach noch mal leben?

    Gramling: Das heißt es nur bedingt. Natürlich brauchen Hochwasserschutz und vor allem die Hochwasserprävention Zeit. Man muss sich verdeutlichen, dass entlang der Elbe 80 bis 85 Prozent der natürlichen Überflutungsflächen inzwischen vom Menschen in Besitz genommen wurden, vereinnahmt wurden. Aber man muss auch sagen, dass in den letzten zehn Jahren zwar was passiert ist, aber noch lange nicht genug, und vor allem auf kommunaler Ebene muss die Bereitschaft steigen, den Flüssen wieder mehr Platz einzuräumen und zum Beispiel auch aufzuhören, Gewerbegebiete in Hochwasser-Risikogebieten auszuweisen.

    Ehring: Wer verhindert denn solchen wirksamen Hochwasserschutz aus Ihrer Sicht?

    Gramling: Wirksamer Hochwasserschutz, sprich mehr Platz für Flüsse, ist schon ein Mammutprojekt, wo es auf allen Ebenen, in der Verwaltung, in der Politik, aber auch bei den Bürgern, eine Bereitschaft geben muss, das auch umzusetzen. Wenn sich ein Bürgermeister hinstellt und den Deich erhöht, dann wird er natürlich viel Applaus ernten. Wenn es aber darum geht, landwirtschaftlich genutzte Flächen wieder als Überflutungsflächen dem Fluss zuzuführen, dann ist das natürlich schon eine Aufgabe, wo es durchaus auch widerstände gibt.

    Ehring: Apropos Landwirtschaft. Ein großer Teil Mitteleuropas wird ja heute landwirtschaftlich genutzt. Können die Böden denn heute weniger Wasser aufnehmen als früher?

    Gramling: Ja der Verdacht liegt nahe, dass gerade in Ostdeutschland oder auch in Tschechien, wo es in den letzten Jahren eine Intensivierung und vor allem eine Mechanisierung der Landwirtschaft gegeben hat, die Bodenverdichtung dazu beiträgt, dass die Böden das Wasser oberflächlich schneller ableiten und das Wasser nicht mehr versickern kann. Das ist das eine, das müsste man sich mal wirklich genau und wissenschaftlich anschauen, wo da der Beitrag der Landwirtschaft ist.
    Und das andere ist natürlich, dass wir generell unsere Natur, unsere Landschaft darauf gedrillt und optimiert haben, möglichst schnell möglichst viel Wasser abzugeben, das dann sehr schnell in die Flusssysteme gelangt. Deutschland verliert täglich 100 Hektar durch Flächenversiegelung, also durch Bebauung, und umso mehr Flächen versiegelt werden, umso schneller wird das Wasser abgeleitet, umso schneller kommt es in die Flüsse. Und wenn es dann ein Hochwasser gibt, dann steigen die Pegel natürlich auch umso schneller und umso höher an. Gerade in Passau sieht man das ja momentan.

    Ehring: Herzlichen Dank! – Das war Roland Gramling vom WWF zum Thema Hochwasser und Hochwasservorsorge.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.