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WWF fordert "Perspektiven für Fisch und Fischer"

Küstennahe Entwicklungs- und Schwellenländer decken - neben den Industriestaaten - ihren Proteinbedarf überwiegend mit Fisch. Doch die Bestände "kollabieren", warnt der WWF - und hat eine nachhaltige Lösung.

Susanne Kuhlmann im Gespräch mit Karoline Schacht | 01.02.2011
    Susanne Kuhlmann: 17 Kilogramm Fisch hat jeder Mensch im Jahr 2008 gegessen, statistisch gesehen. So steht es im Weltfischereireport der Vereinten Nationen, der gestern in Rom veröffentlicht wurde. Dieser Mengenrekord war nur möglich, weil immer mehr Speisefische in Kulturen gezüchtet werden. Den Seefischen hat das aber offenbar kaum genutzt, denn noch immer gilt ein Drittel der Ozeane als überfischt, stark strapaziert oder steckt in einer Phase der Erholung, so heißt es im Bericht. Eine alarmierende Situation, so kommentiert der World Wide Found For Nature (WWF). – Am Telefon ist Karoline Schacht, Fischereiexpertin des WWF. Frau Schacht, der Raubbau in den Ozeanen setzt sich also ungebremst fort. Was sind die Ursachen dafür?

    Karoline Schacht: Hallo erst mal! – Die Ursachen sind im Wesentlichen ein wirklich ungebremster Bedarf. Das heißt, wir haben natürlich in der Weltbevölkerung sehr unterschiedliche Situationen. Einmal ist es für uns eine traditionelle Delikatesse, dass wir Fisch regelmäßig konsumieren können. Wir haben aber natürlich hierzulande oder sagen wir generell in der nördlichen Hemisphäre immer die Möglichkeit, auch auszuweichen auf andere Proteinquellen. Das sieht für eine ganze Reihe von Küstenstaaten und Bevölkerungen in Entwicklungs- und Schwellenländern ganz anders aus. Die sind in allererster Linie zum Beispiel auf Fisch als ihre Proteinquelle angewiesen, und wie wir wissen, steigt natürlich die Weltbevölkerung insbesondere in diesen Ländern überproportional oder relativ gesehen schneller an als bei uns.

    Kuhlmann: Welche Fischarten sind es denn, die besonders gefährdet sind?

    Schacht: Wir sprechen ja in der Fischerei generell nicht oder eigentlich nicht davon, dass Fische aussterben, sondern wir reden davon, dass Bestände kollabieren, und das ist eigentlich immer ein Blick aus der Fischwirtschaft heraus. Das heißt, wann lohnt es sich nicht mehr, auf diesen Bestand beispielsweise ein Netz auszuwerfen oder eine Leine zu setzen. Wenn wir jetzt also von bedroht reden, dann geht es darum, wo demnächst sich die Wirtschaftlichkeit sozusagen erledigt. Wir haben es hier beispielsweise auch direkt vor unserer Haustür mit dem Nordsee-Kabeljau zu tun, einem Fisch oder einem Bestand, dem es seit fast zehn Jahren richtig schlecht geht. Einige Heringsarten sind betroffen. Wir haben aber auch eine große Ikone im europäischen Meer, das ist der rote Thunfisch im Mittelmeer. Auch der ist stark gefährdet. Wir haben es natürlich auch mit anderen Fischen zu tun, die in riesigen Mengen vorkommen und weiterhin in riesigen Mengen vorkommen müssen, denn die sind die Grundlage dafür, dass die ganzen Fische in den Zuchten gefüttert werden können. Das gilt zum Beispiel für Anchovis und Sand-Aal und andere Bestände mehr, die jetzt enorm unter Druck geraten sind, weil sie als Futterfisch herhalten müssen.

    Kuhlmann: Was müsste sich denn in der Fischereipolitik verändern, damit einerseits die Bestände möglichst erhalten bleiben, andererseits aber auch das Ökosystem erhalten bleibt?

    Schacht: Ich glaube, generell müssen wir wirklich zu einem ganz ausgewogenen Bewirtschaften der Meere kommen, weil sich diese ökologische Schieflage, die wir derzeit haben, sonst wirklich langfristig in eine soziale Krise auswachsen wird. Wir müssen dazu kommen, dass wir eine langfristige Perspektive schaffen können, und in Europa beispielsweise, wo wir ja derzeit um eine neue Politik gerade ringen, die zum Jahr 2013 in Kraft treten soll, da geht es ja immer noch darum, dass wir jedes Jahr aufs Neue um Fangquoten, um Fischereiquoten ringen, und das muss aufhören. Wir brauchen hier langfristige Perspektiven für Fisch und Fischer. Das ist das, was wir gerne hätten.

    Kuhlmann: Aquakulturen sollten ja eigentlich ein Ausweg sein. Sie haben eben schon einen Aspekt angedeutet, warum sie das möglicherweise nicht sind.

    Schacht: Aquakulturen sind natürlich nicht wirklich der Königsweg aus der Fischereikrise. Nichtsdestotrotz kann man Aquakulturen natürlich auf einer nachhaltigen Basis aufbauen. Das ist aber noch überhaupt nicht der Fall. Wir haben es global mit einem relativ ungezügelten Wildwuchs zu tun. Da werden Küstenökosysteme drangegeben, um Aquakulturen, die – und das muss man ganz klar sagen – hoch profitabel sind, anzulegen. Es wird deutlich mehr Geld verdient in diesem Bereich. Das macht es so attraktiv, dort auch mal darauf zu verzichten, Umweltgesetzgebungen zu beachten. Hier muss es demnächst wirklich globale Standards geben. Der WWF kümmert sich auch darum, wir haben internationale Gesprächsrunden ins Leben gerufen, um mit all den Beteiligten und Interessengruppen hier zu einem Ausgleich zu kommen, weil es zum einen natürlich um die Ernährungssicherheit eines guten Teils der Weltbevölkerung geht und zum anderen natürlich um einen sehr wichtigen Wirtschaftszweig gerade für die etwas ärmeren Länder.

    Kuhlmann: Zum neuen Weltfischereireport der Vereinten Nationen war das ein Gespräch mit Karoline Schacht von der Umweltorganisation WWF. Vielen Dank nach Hamburg.

    Schacht: Danke schön.