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Wyndham Lewis: "Die Affen Gottes"
Satirischer Blick auf Londoner Künstlerszene vor 100 Jahren

Der Brite Wyndham Lewis war Maler, Schriftsteller, Herausgeber, Kunstkritiker. Er legte sich gern mit seinen Zeitgenossen an, etwa mit Virginia Woolf oder James Joyce. Diesem Muster der Streitlust folgt auch sein 1930 erschienener Roman "Die Affen Gottes" - eine Art Abrechnung mit der damaligen Londoner Künstlerszene.

Von Christoph Haacker |
Der britische Autor und Künstler Wyndham Lewis fotografiert von Alvin Langdon Coburn in London, 1916
Der britische Autor und Künstler Wyndham Lewis fotografiert von Alvin Langdon Coburn in London, 1916 (imago images / Everett Collection)
Genie und Wahnsinn lagen bei Wyndham Lewis nahe beieinander. Vernichtend wie großmäulig waren seine Urteile über die größten Werke seiner Zeit. Der "Ulysses" sei ein "Riesendünnschiss" und Virginia Woolf "völlig unbedeutend". Seine Zeitschrift taufte er "The Enemy", machte sich zahllose Zeitgenossen zum Feind und rieb sich in Scharmützeln auf. So hatte er es sich bald mit fast allen verscherzt. Sein eigenes teils großartiges Werk ging dabei unter. Der Dichter Wystan Hugh Auden erkannte die Tragik darin, als er 1937 über Wyndham Lewis schrieb:
"Dieser einsame, alte Vulkan der Rechten"
Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs war Wyndham Lewis angetreten, den Kulturbetrieb aufzumischen. Was im Roman "Die Affen Gottes" gipfelte, erklärte er schon früh zum Programm:
"Satire hat ein großes, eklatantes Ziel. Wenn sie erfolgreich ist, sprengt sie ein großes Loch in die Mitte."

Sprengmeister der Moderne

"Blast" – frei übersetzt mit "Kawumm" – hieß die avantgardistische Zeitschrift des Malers und Schriftstellers Wyndham Lewis und seiner Mitstreiter. Sie fanden sich 1914 in London zum Rebel Art Center zusammen, um das Überkommene in die Luft zu jagen. Hier lag die Geburtsstätte dessen, wofür ihr Mitakteur Ezra Pound den Begriff "Vortizismus" prägte. Das war eine Spielart der modernen Kunst, die Elemente des Kubismus und Futurismus aufgriff. Wenn Lewis 1937 seine Autobiographie "Blasting and Bombardiering" nannte, so geht es auf diese Zeit zurück. Zu ihr gehörte auch das furchtbare Intermezzo als Artillerieoffizier in Flandern. Es erinnert an den französischen Autor Jean Giono, wie Wyndham Lewis nach dem Krieg seine Heimat als zutiefst verkommen erlebte und deren mächtige Eliten radikal ablehnte. Beide einte ein Sendungsbewusstsein, als große Individualisten verändernd auf ihre Gesellschaft einzuwirken, bei Lewis klingt das so:
"Es war ja nicht nur eine neue Zivilisation, die ich und ein paar andere entworfen haben: der grobe Entwurf einer Perspektive für Menschen, die noch nicht da waren. Ich und alle anderen in Europa, die daran beteiligt waren, sahen darin eine wichtige Aufgabe. Es war mehr als nur Bilder machen: man schuf neue Augen für Menschen und neue Seelen für die Augen."

Zum Philosophen gemauserter Maler und Autor

Nicht nur kunsttheoretisch, sondern auch politisch-philosophisch schlug sich das nieder, in einer Reihe von Essaybänden wie "Time and Western Man" von 1927. Damit nicht genug, wanderten diese Programme teilweise in seine Romane. Oft wirken sie darin als Fremdkörper und Überfrachtung. Den Maler Tarr, Hauptfigur seines gleichnamigen Pariser Künstlerromans, lässt er sagen:
"Ich sehe, dass ich Dich langweile – aber ich kann dich nicht gehen lassen, bevor du nicht zugehört und gezeigt hast, dass du verstehst. Wenn du dich nicht hinsetzt und zuhörst, werde ich dir das alles in einem Brief schreiben. Und nachdem ich dir das gesagt habe, werde ich dir sagen, warum ich mit einem Idioten wie dir rede."
Buchcover: Wyndham Lewis: "Die Affen Gottes"
Wyndham Lewis: "Die Affen Gottes" (Buchcover: Diaphanes Verlag)

Satirisches Spektakel

Wie seine Figur Tarr forderte Wyndham Lewis Beachtung ein. Ob sein Publikum wollte oder nicht. In den "Affen Gottes" gelingt es ihm besser, seine Botschaften zu einer der Zutaten eines avantgardistischen Gesamtkunstwerks zu machen. Das Buch gestaltete er selbst, und seine Personenbeschreibungen verraten den Blick des grandiosen Porträtmalers. Was zu lesen ist, wirkt, als hätte jemand in einem Mixer Petronius und Rabelais, Lawrence Sterne und die gepflegte Bösartigkeit von Thackeray mit der Moderne verquirlt. Der Roman beginnt in den Gemächern der Lady Fredigonde Follet – und zwar mit dem Auftritt des Möchtegernmalers Richard Whittington, oder einfach nur: Dick. Der
"… stapft mit einem glücklichen Da-bin-ich-Lächeln im gebräunten, strahlend jungenhaften Gesicht auf Lady Fredigonde zu. Der junge Tunichtgut schaltete sofort auf naiv aufgeregter Babyblick um. Dann rief er, außer sich vor durchschlagender Begeisterung:
,Ja, ich fühle mich wahnsinnig fit! – Aber du, Tante Fredigonde – ich habe noch nie jemanden so wahnsinnig gut beieinander gesehen! Wie machst du das? Einfach fabelhaft!̒
Etwas von der Tränenflüssigkeit ihrer greisen Jahre, die sich in vier mal zwölf Monaten zu einem Hundert runden würden, trat blassgelb wie wässriges Bier über die Augenränder dieses Altstars der Klatschpresse."

Verwesungsgeruch des viktorianischen Zeitalters

Die Jagd nach dem Erbe bildet die Klammer um die eigentliche Handlung. Zugleich wirkt diese lebende Tantenleiche wie die Verkörperung des viktorianischen Zeitalters. Und das hasste Wyndham Lewis abgrundtief, wie auch die blasierte Upperclass. Mit dem jungen Mann, der hier seine Schleimspur um die Erbtante legt, führt der Erzähler das nächste Hass- oder vielmehr Verachtungsobjekt vor: den reichen Schnösel, der mit seinem Bugatti vorfährt und neuerdings Künstler sein möchte. Der reale Hintergrund waren erste Auswüchse einer Gentrifizierung in London. Erschwinglicher Atelierraum wurde zum Spielplatz der Reichen; selbst ein genialer Maler wie Lewis sah sich gezwungen, sein Hinterhofatelier aufzugeben. Der Gegenspieler um die Gunst der Erbtante ist Dicks Cousin Horace Zagreus, zugleich der Strippenzieher, um den der ganze Roman gebaut ist. Zu seinem Begleiter wählt er sich den jungen Iren Daniel Boleyn. Nicht ohne Absichten. So jedenfalls sieht das ein verflossener Liebhaber:
",Du hast dich nicht verändert! … Immer noch an der Jugend interessiert, wie ich feststelle!̒, bemerkte Francis in vertraulichem Unterton und mit einem Blick hinter die Schultern seines Freundes, wo Daniel stand.
,Ja, das hast du richtig beobachtet.̒
,Du alter Sukkubus! Sehen wir es uns doch mal an, dein neuestes Anhängsel!ʻ Er grinste Dan unverschämt ins Gesicht."

Klägliche Liebesunfälle

Horace also wie ein weiblicher lüsterner Dämon? Daniel begegnen wir bald wieder – und zwar bei Matthew Plunkett, einem bisexuellen Kritiker, der in Bloomsbury haust. Ermutigt von seinem Zürcher jüdischen Seelendoktor, wagt sich Matthew an ein Abenteuer mit einer Frau. Die aber sollte – so der weise wie kostspielige Rat des Analytikers – die 1.30m bloß nicht übersteigen. Es macht die Sache für Matthew nicht einfacher, dass sein Hausnachbar – der südafrikanische Dichter Mr. Zulu Bleydes –, nicht zu überhören, ein Sexprotz ist. Endlich aber ermannt er sich, und es kommt zum Rendezvouz mit einer Kleinwüchsigen:
"Jetzt durchflutete ihn tatsächlich ein Triumphgefühl, und er ließ eine Hand unter ihren Pulli gleiten. Er spürte das fragile Rückgrat, alabasterkühl, jeder Wirbel wie die Kupplung einer Spielzeuglokomotive. Und überall oder doch in vielen verschiedenen Bereichen seines Körpers war jetzt ein deutliches Vibrieren.
Seine Augen schätzten die auf dem Tisch sitzende Betty Bligh so genau ab wie ein kräftiger Möbelpacker das Gewicht einer fünfhundert Kilo schweren Reisetruhe.
,Was machst du jetzt bloß wieder, Matthew? Oh, du bist verrücktʻ, sagte Betty. Mit großen Schritten trug er sie Richtung Schlafzimmer.
Über seine Last gebeugt, die Augen fast geschlossen, hatte er nur einen Gedanken – seine inneren libidinösen Strömungen und deren unmittelbar bevorstehenden Ausbruch: so dass ihn ein greller Schrei, unmöglich aus Betty Blighs Kehle, fast zu Tode erschreckte.
Siehe da! da lag – mit panisch geweitetem Blick und errötend bis in die Haarspitzen – Daniel Boleyn auf seinem Bett. Matthew ließ Betty einfach fallen …"
Um den jünglingshaft-naiven Riesen Daniel kreisen die erotischen Phantasien von Männern wie Frauen. Bis zur Selbsterniedrigung verfällt er jedoch jenem Horace Zagreus. Der sechzigjährige Albino drängt sich ihm als Lehrmeister und – womöglich – als Liebhaber auf. Dabei suggeriert Horace seinem beglückten Schützling, ein Auserwählter zu sein.
"Die Gesellschaft, in die du jetzt eintrittst, musst du verstehen, andernfalls gehst du zugrunde: geistig, meine ich. Ich glaube felsenfest an Dein Genie. Ich bitte um das Privileg, Dich, o erlesene Mondblume, in dieser entscheidenden Phase als Gärtner hegen zu dürfen."

Kreuzzug gegen die reichen Stümper

Horace macht es sich zur Aufgabe, den ganzen Hokuspokus der Kunstwelt zu entlarven. Bei der Erziehung seines Novizen beruft er sich seinerseits auf einen "Lehrer", den rätselhaften Pierpont. Dieser tritt jedoch nie selbst in Erscheinung und ist nur präsent, indem seine Instruktionen – sogenannte Enzyklika – überbracht werden, durch Horace als Götterboten oder Medium. Die wegweisende Schrift ist ein Pamphlet über wahres und falsches Künstlertum und den Kunstmarkt. Sie geht aus von einer ursprünglichen Beziehung zwischen dem Begüterten und dem Künstler, die darin bestanden habe,
"…dass der Künstler ihm das zur Verfügung stellte, was er selbst nicht zu leisten bereit war: eine ernsthaftere Beschäftigung mit der Kunst aller Bereiche. Der Künstler sollte ihm jenen bedeutsamen Apparat von Geist und Schönheit bereitstellen, der die Vergnügungen der Reichen als weniger hohl und leer erscheinen lässt."
Pierpont, der hier Positionen von Wyndham Lewis im Munde führt, sieht eine Pseudo-Bohème der Vermögenden sich ausbreiten, die die wahren Künstler, die des Mäzenatentums bedürfen, verdrängt:
"Sie richten allein deshalb mehr Schaden an, weil die öffentliche Meinung sie mit Kunst und Intelligenz gleichsetzt. Unter ihrem Einfluss wird stets das Zweitklassige propagiert."
Dazu komme,
"… dass einige von ihnen selbst ein bisschen Kunst produzieren: mehr als nur gelegentliches Gekleckse und Geschmiere, aber weniger als ,echteʻ Kunst. Diese Klasse bilden nun die eigentlichen ,Affen Gottesʻ."
Die, die sich zu Affen machen, sollen nun von Daniel wie Zootiere begutachtet werden. Dazu wird er von Horace zu Events geschickt, über die er Tagebuchprotokolle anlegen soll. Ganz eifrig sammelt der Beflissene bei Vernissagen und Dinnerpartys neue "Affen" wie Klebebildchen in einem Album. Er gerät in Lästerklubs, bei denen alle gegen alle mit Gemeinheiten aufwarten – ein Jahrmarkt der Eitelkeiten mit wechselnden Selbstdarstellern. Nach 400 Seiten steuert der Roman, nur selten etwas langatmig, auf seinen Höhepunkt zu: "Lord Osmunds Fastnachtsparty" – über 290 Seiten. Dort treffen Horace, Daniel und der Schmuddelverleger Ratner ein, um kostümiert einen kleinen Auftritt beizusteuern – mit einer bösen Überraschung für Daniel:

Tanz mit den Tabubrüchen

"Er musste sich also als Mädchen verkleiden! … Welcher Mann würde sich als Frau verkleiden wollen? Keiner. Es war das Allerletzte.
An dieser Stelle dachte er an Father Donovan. Er würde mit ihm über diese Leute sprechen … ob es ungefährlich war oder nicht, mit ihnen zu verkehren, und ob sich das für einen Katholiken schickte … Nun denn, wenn er schon eine Frau sein musste: je eher er die Sachen anzog, umso besser."
"Diese Leute" amüsieren sich jedenfalls prächtig. Zu den Belustigungen der Partygesellschaft gehört der Einzug einer Truppe von Veteranen, angeblich hochrangigen Offizieren des Großes Kriegs, und die Gaudi soll gleich weitergehen:
"Der Colonel soll jetzt sofort runter und ein paar von diesen Zulus aus der Jazzband töten!
Ja, das sollte er – es ist die schlechteste Musikkapelle der Welt!
Ja, Colonel Ponto, oh sagen Sie doch, dass sie das tun werden! Die machen einen höllischen Lärm.
Ja, wir würden hinter Ihnen stehen, Colonel Ponto – wie ein Mann!
Einfach weil es uns Spaß macht!
Die Zulus sind uns egal – wenn sie doch nicht so viel Krach machen würden! Wenn Sie die töten würden, Colonel! Wir wären ihnen wahnsinnig dankbar dafür!"

Die Masken runter!

Wer aber sind sie, "diese Leute"? "Die Affen Gottes" war 1930 ein Schlüsselroman, was heute aber erst einmal zu dechiffrieren ist. Zeitgenossen konnten fast jede Figur einem realen Vorbild zuordnen. Zum einen war der ganze Bloomsbury-Zirkel um Virginia Woolf für Lewis ein rotes Tuch. So ist es Lytton Strachey, der als Matthew Plunkett karikiert wird, Betty stand für die Malerin Dora Carrington. Zum anderen galt Wyndham Lewisʼ volle Breitseite früheren Weggefährten, allen voran den drei Geschwistern Sitwell. Die waren Abkömmlinge einer exzentrischen, skandalumwitterten Adelsfamilie. "Lord Osmunds" – sprich Lord Osberts – "Fastnachtsparty" zog das Trio gehörig durch den Kakao. Und das schoss zurück. Aus Nürnberg erreichte Lewis eine Scherzpostkarte mit einem Babymotiv, die bei festem Händedruck anfing zu kreischen. Auf der Rückseite war zu lesen:
"Grüße an Tarzan von einer Horde der Affen."
Sich mit den einflussreichsten Mäzenen wie den Sitwells und eigenen Gönnern anzulegen, war ein Kamikazeakt. Sein Verlag war so eingeschüchtert, dass er sich den nächsten Roman von Wyndham Lewis, "The Roaring Queen", gar nicht erst traute. Denn in ihm werden Virginia Woolf, Arnold Bennett und Nancy Cunard verwurstet. So schlug der Autor stattdessen als Maler zu: Bei seinem berühmten Porträt seiner Lieblingsfeindin, der Dichterin Edith Sitwell, sind statt der Hände, die sie an sich liebte, bloß leere Ärmel zu sehen. Bald nach den "Affen Gottes" fühlte sich der Autor gestalkt.
"Sie würden nicht glauben, in welchem Maße ich Belästigungen per Telefon und Brief ausgesetzt war."

Alles, was nicht recht ist

"Die Affen Gottes" sind eine Orgie der politischen Unkorrektheit. In diesem Sinne ist der Roman eine Vorwegnahme von Monty Python oder Sacha Baron Cohen. Wyndham Lewis würde wohl auch heute moralisch verurteilt oder künstlerisch marginalisiert. Keine Frage, nicht nur völlig überzeichnete Szenen wie die um die "Zulus" würden ihm angelastet – die Feinheit verkennend, dass Figurenrede nicht gleich Autorenhaltung ist. Weitere Geschütze gegen ihn wären wohl angebliche Schwulen- und Frauenfeindlichkeit, Rassismus, Faschismus und Antisemitismus. Das beruht auf dem Missverständnis, dass beispielsweise eine jüdische Figur nicht auch negative Züge haben oder Zielscheibe von Spott sein darf. Bei diesem Autor wird fast jeder, egal welcher Herkunft, karikiert, wie er sich auch selbst karikierte. In keinem seiner Romane finden sich Identifikationsfiguren. Pauschale abfällige Urteile gegen Gruppen aber sind ihm zu billig.
",Das ist der Judöʻ, gab Vernède zurück und setzte sein Auge unter chauvinistische Glut: "Sie kommen nicht dagegön an – beim Geld dre-än sie durch!ʻ
,Wenn Leute sich zerstreitenʻ, bemerkte Zagreus, ,titulieren sie einander als ,dreckiger Ithakerʻ, ,dreckiger Judeʻ, ,dreckiger Deutscherʻ oder was immer sie jeweils sind. Dabei wäre es doch genau der Moment, um auf den Einzelnen zu zielen, statt vage zu verallgemeinern. Sehen Sie, wenn ich mich über Kein geärgert hätte … dann würde ich ihn Kein nennen und mir jede Stichelei über Juden ersparen."

Der Anti-Antisemit

Dieses Zitat passt scheinbar nicht zu einem Autor, der sich 1931 durch ein recht positives Hitlerbuch erst recht zum "bad boy" machte. Nationalsozialisten bemängelten daran jedoch ausdrücklich den Verzicht auf die für sie doch entscheidende "Judenfrage". Sie ahnten nicht, dass Lewis obendrein einen Roman um einen jüdischen Jungen aus dem East End plante. In den "Affen Gottes" macht er sich über ein "Schwarzhemd" lustig, in der Kluft von Mussolinis Faschisten. Gewalt war ihm zuwider und der "Herr Hitler" bald auch. In seinem Buch "The Jews – Are They Human?" setzt sich Lewis 1939 vehement für die Aufnahme jüdischer Flüchtlinge in Großbritannien ein. Dabei argumentiert er gegen jede "Das Boot ist voll"-Rhetorik und Überfremdungsängste. Den Antisemitismus entlarvt er als dümmlich und öde:
"Wenn man nicht irre interessiert an den Juden als Volk ist, ist der Antisemit unweigerlich ein Langweiler. Von der ewigen Wiederholung des Worts ,Judeʻ wie einer Beschwörungsformel wird man ermüdet. Es ist, als wäre man mit einem Philatelisten allein, aber kein bisschen interessiert an Briefmarken. Nur viel schlimmer. Weil ich keine Probleme mit Juden habe, ist es eine umso heftigere Erfahrung stundenlang ohne Ende Polemik voller Gewalt gegen sie anzuhören …"

Späte Genugtuung

Wyndham Lewis wurde erst kurz vor seinem Tod seine Scharfzüngigkeit vergeben. Bereits erblindet, wurde er 1956 mit einer großen Retrospektive in der Tate Gallery als bedeutendster britischer Porträtmaler des 20. Jahrhunderts wenigstens künstlerisch rehabilitiert. Davon kann bei seinem literarischen Werk nur bedingt die Rede sein, obwohl Ezra Pound "Die Affen Gottes" klar dem "Ulysses" vorzog und T. S. Eliot sich ebenfalls für Lewis begeisterte:
"Die faszinierendste Persönlichkeit unserer Zeit … der größte Stilist unter den besten Erzählern meiner Generation"

Verlegerischer Wagemut

Es war die legendäre Black Sparrow Press – Hausverlag von Charles Bukowski –, die innerhalb einer Werkausgabe "Die Affen Gottes" 1981 wieder herausbrachte. In Deutschland erschienen nach dem von der NS-Zensur gekürzten Hitlerbuch bislang nur die konventioneller erzählten Romane "Tarr" und "Rache für Liebe". Dass der Zürcher diaphanes Verlag das Wagnis der "Affen Gottes" eingegangen ist, ist ein kleines Wunder. Es beschert uns ein ungebändigtes, verzweifelt ausgelassenes Werk, das zeigt, was Literatur sein kann. Dieser verlegerische Mut hat Methode. Denn mit Anna Kavans hierzulande jahrzehntelang übersehenem Hauptwerk "Eis" hat diaphanes zuvor einen weiteren Meilenstein der britischen Literatur herausgebracht. Beide Werke spiegeln völlig unterschiedlich tief empfundene Krisen. Anders als Kavan ist Wyndham Lewis angemessen ediert, dank der vielen verdienstvollen Anmerkungen der Übersetzer sowie des Nachworts des Lewis-Biographen Paul Edwards. Besonders aber kommt das Sprachkunstwerk zur Geltung. Denn Lewis bedient sich gerade des Englischen der middle class in allen Färbungen, sein Roman strotzt nur so vor nie gelesenen Metaphern, und seine zahlreichen Dialoge sprühen vor Witz. Das wurde von Jochen Beyse und Rita Seuß sichtlich mit Lust übersetzt.
Wyndham Lewis: "Die Affen Gottes"
aus dem Englischen von Jochen Beyse und Rita Seuß,
mit einem Nachwort von Paul Edwards,
Diaphanes Verlag, Zürich/Berlin. 776 Seiten, 40 Euro.