Archiv

Xaõ Seffcheque von Family*5
"Düsseldorf war so wie für uns heute New York"

Düsseldorf ist der Geburtsort der deutschsprachigen Punkmusik. Einer ihrer wichtigsten Vertreter war ab Anfang der 80er-Jahre die Band Family*5. Nun ist ihr neues Album "Was zählt" erschienen. Gitarrist Xaõ Seffcheque erzählt im Corso-Gespräch, was Punk für ihn bedeutet - und wie er heute seine Zeit in Düsseldorf sieht.

Xaõ Seffcheque im Gespräch mit Christoph Reimann |
    Der Musiker und Drehbuchautor Xao Seffcheque.
    Der Musiker und Drehbuchautor Xao Seffcheque. (Deutschlandradio / Annette Bräunlein)
    Christoph Reimann: Jetzt heißt die Platte ja "Was zählt", das ist ein mächtiger Titel. Was zählt denn nun, worauf kommt es an für Sie?
    Xaõ Seffcheque: Es zählt alles Mögliche. Eigentlich zählt, das zu machen, worauf man Lust hat. Wir haben da jetzt nicht auf die Tabelle geschielt oder gedacht, wir machen eine Platte für einen Kritiker, man versucht jetzt einen Hit zu machen. Oder man versucht mal, ein radiokompatibles Stück zu machen. Das war uns eigentlich auf gut Deutsch kackpipischnurz. Wir haben gedacht: Wir machen jetzt. Wir haben die Möglichkeit, noch ein Album zu machen. Dann machen wir das so, wie wir glauben, dass ein Album klingen muss. Und hatten dann irgendwie auch Spaß dran. Und der Prozess war interessant.
    Reimann: Spaß haben Sie gerade angesprochen. Tatsächlich kann ich mir das gut vorstellen bei den Aufnahmen, aber inhaltlich sind es ja vor allem ernste Themen, die Sie auf der Platte ansprechen. Und die Band an sich war ja, in den Anfangstagen hat man auch verschlagwortet unter Fun-Punk. Wann hat sich das denn geändert?
    Seffcheque: Als Fun-Punk habe ich uns persönlich nie wahrgenommen, muss ich ehrlich sagen. Würde ich auch so nicht unterschreiben. Es gab sicher die Ironie, wenn man so sagen will. Die war in der Band früher vielleicht etwas deutlicher da, vordergründiger oder auch zum Teil brachialer. Die ist jetzt etwas versteckter. Die ist vielleicht manchmal auch schärfer, vielleicht auch ein bisschen bitterer in manchen Momenten. Aber sie ist noch immer da, wenn Peter Hein singt: "Kennt ihr schon den neuesten Trend, Arbeitslosigkeit in China? Oder habt ihr den auch verpennt, seid immer noch beim Klima?" Dann wird natürlich so ein Zeitgeist auch gegeißelt. Oder bei anderen Stücken - das gibt es. Aber das gibt es nicht nur. Früher war das stärker. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass wir natürlich auch älter geworden sind. Man hat andere Verantwortlichkeiten, Fragen wie, gibt es eine Zukunft, kann man sich heute natürlich ganz anders stellen, wenn man selber zum Beispiel ein Kind oder so hat, was ja bei einigen der Fall ist. Da gibt es andere Prioritäten. Und die Welt hat sich natürlich auch verändert. Wir können nicht so tun, als wäre noch immer 1985. Damals sang man zwar von keiner Zukunft, hatte aber eine. Da konnte man ohne Schulbildung noch einen Job kriegen. Heute kannst du Abi und Studium haben und bist trotzdem arbeitslos. Da haben sich die Vorzeichen verändert. Und das schlägt sich in irgendeiner Form auch natürlich in der Musik, in Texten vor allem, nieder. Aber ich würde sagen, die Ironie ist noch immer da. Sie ist vielleicht erwachsener geworden.
    Reimann: Und vielleicht manchmal schlägt sie auch über in Zynismus, dachte ich mir beim Hören der Titel. Zum Beispiel im Song "Die Lämmer". Das ist ein Song über das Leben in kleinbürgerlichen Verhältnissen, sogar vielleicht auch eine kleine Hymne ans Prekariat. Oder vielleicht ist es auch eher zynisch gemeint, wenn Peter Hein darin singt: "Uns geht es doch trotz allem ziemlich gut".
    Seffcheque: Im Sarkasmus liegt ein Kern von Wahrheit
    Seffcheque: Ich würde es nicht zynisch sagen. Ich würde vielleicht sagen: sarkastisch. Aber es liegt natürlich im Sarkasmus ein Kern von Wahrheit. Und natürlich geht es uns gut. Es geht uns besser als den ganzen Menschen, die zu uns kommen, weil sie nichts mehr zu essen haben oder die aus irgendwelchen ganz üblen Verhältnissen kommen und auch besser als ... Uns geht es schon aus dem Grund gut, weil wir zum Beispiel als Band ins Studio gehen können und eine Platte machen können. Wenn du heute eine junge Band bist, die müssen Geld dafür zahlen, dass sie bei uns im Vorprogramm auftreten. Machen wir nicht. Wir sagen einfach: Kommt gar nicht in die Tüte! Aber im Grunde würden die das tun, weil das eigentlich schon normal ist. Als da kann man sagen ... Man kann das immer relativieren und neu ansetzen und sagen: Na klar, im Grunde geht es uns auch gut. Die Frage ist, wo man die Relation ansetzt. Man kann natürlich auch sagen: Okay, diese Selbstzufriedenheit ist so eine kleinbürgerliche Attitüde, aber so ist sie nicht gemeint.
    Reimann: Sie arbeiten ja jetzt als Uni-Dozent zum Teil. Und was ganz interessant ist: Sie machen seit vielen, vielen Jahren - schreiben Sie Drehbücher, arbeiten als Regisseur. Kann man dann so diese Punk-Attitüde aus den Anfangstagen, kann man sie sich bewahren, wenn man so ein, tja, bürgerliches Leben einschlägt?
    Seffcheque: Also die Attitüde wird ja oft benutzt. Die ist auch, glaube ich, nicht interessant. Interessant ist die Haltung, die man hat. Punk war ja auch ein Schlagwort, aber man kann es gar nicht oft genug wiederholen: Punk war keine Mode, Punk war auch kein Stil. Punk ist eine Haltung. Man konnte mit Lederjacke ein Vollidiot sein und im Anzug natürlich ein Punk.
    Reimann: Wir würden Sie diese Haltung definieren?
    Seffcheque: Tu, was dich interessiert. Verfolge die Ziele, die du im Kopf hast. Lass dich von keinem Kindergarten abhalten, das umzusetzen. Lass dich nicht von Aussagen wie "das kannst du nicht", "dazu bist du nicht in der Lage", "dazu musst du studiert haben", "dazu musst du die Technik draufhaben" aufhalten, die Dinge umzusetzen, die dir Spaß machen. Setz dich einfach durch. Behaupte immer das Gegenteil. Und pfeif auf deine Aussagen von gestern, wenn die von morgen interessanter sind.
    Reimann: Und ist das ein Lebensmotto, das Sie beibehalten haben können?
    Seffcheque: Musik freihalten von Kompromissen
    Seffcheque: Ich denke, das schafft man einfach nicht immer. Wenn man perfekt wäre ... Es wäre eine Form von Radikalisierung, die man dann sein ganzes Leben macht. Das gibt es vielleicht. Das ist schwer durchzuhalten. Das Leben ist halt immer wieder von Kompromissen gekennzeichnet. Und gerade in meinem Beruf, Drehbuch, Filmbereich, ist ja eine Anreihung von Kompromissen. Weil so viel Geld auf dem Spiel steht und so viele Leute in dem Brei mitrühren und diese ganzen Dinge wie Eitelkeiten und Selbstgefälligkeiten vervielfacht zur Geltung kommen, viel extremer als in der Musik. Und auch, weil der Prozess so viel länger ist. Beispiel: Über unsere Platte haben wir vor einem Jahr gesprochen, jetzt sitzen wir hier im Studio und reden drüber. Beim Film, bei meinem letzten Kinofilm, "Die Kleinen und die Bösen" mit Christoph Maria Herbst, brauchte ich zehn Jahre von der Idee bis zur ersten Klappe. Da wirst du alt dabei und musst dir die Frage stellen, wie viele Filme kannst du im schlechtesten Fall im Leben überhaupt schaffen? Das ist bei der Musik anders. Ich werde nicht mehr so viele Kinofilme schaffen wie ich jetzt schon an Alben geschafft habe. Insofern muss man sagen: Die Konsequenz lässt sich nicht überall leben. Aber meine Devise war immer, zumindest in der Musik, das kompromisslos durchzuziehen, ohne Rücksicht auf Verluste. Weil Kompromisse muss ich in meinem anderen Beruf, im Drehbuchbereich, unfreiwilligerweise, oft schon genug machen. Da möchte ich diesen Bereich freihalten. Das ist, glaube ich, auch wichtig.
    Reimann: Haben Sie denn Film in irgendeiner Form studiert?
    Seffcheque: Nein. Ich bin wie überall ein gelernter Autodidakt, sowohl in der Musik als auch im Schreiben als auch im Film. Ich habe das alles nicht gelernt.
    Reimann: Warum sind Sie denn damals so mit Anfang 20, ich glaube, es war im Jahr 1977, nach Düsseldorf gekommen aus Graz?
    Seffcheque: Um mich einer Band anzuschließen.
    Reimann: Tatsächlich hatte Düsseldorf dann schon diese Wirkung auf Sie oder auch diese überregionale Bekanntheit?
    Seffcheque: Ja, meine Geschichte ist ein bisschen länger. Es gab so eine Musiktheater-Performance-Band, die natürlich damals auch mit dem Punk, der gerade kam, so ein bisschen kokettiert hat. Damals waren das echte Underground-Stars, alle ein bisschen älter als ich. Und die hatten in Graz gespielt und ich habe die gesehen. Und die spielten in dem Kulturforum, wo ich engagiert war, Forum Stadtpark Graz, wo auch der Schriftsteller Peter Glaser herkommt und so. Und ich fand die toll und ich habe die dann dort veranstaltet. Und die sagten: "Hey, du kannst das ja gut und bist ein guter Musiker. Komm doch zu uns." Und wenn man 20 ist und du langweilst dich in deiner eigenen Stadt, in der du sowieso wahrscheinlich keine Chance haben wirst, weil die so ein bisschen ist wie Irland oder Sizilien im 19. Jahrhundert: Nur jede zweite Generation kann es schaffen, die anderen müssen auswandern, weil der Markt einfach nicht groß genug ist. Und du aber die Möglichkeit hast, etwas anderes zu machen. Für uns war damals ... Düsseldorf war so wie für uns vielleicht heute New York oder so. Ich dachte, wow! Also bin ich da hin und kam direkt in die gerade aufwachende Szene rein. Peng.
    Reimann: Und verbrachten auch Abende in diesem berühmten Ratinger Hof in der Altstadt von Düsseldorf?
    Seffcheque: Abende ist ein Euphemismus. Ich würde sagen: Jahre.
    Reimann: Wie war die Szene damals dort? Ich habe in einem Interview mit Gabi Delgado von DAF, der ja damals eben auch dort unterwegs war, gelesen, dass die Szene dort auch eine war, in der es Neid und Missgunst gab. Auch damals, als es um Plattenverträge zum Beispiel ging.
    Seffcheque: Düsseldorf war wie eine Tränke mitten in einer riesigen Wüste
    Seffcheque: Na, klar. Es ging zu, wie es überall zuging. Man muss sich das vorstellen, sage ich jetzt mal ... Das war eine große Tränke. Das war die einzige Wasserstelle in einer riesigen Wüste. Und zwangsläufig bist du in der Situation, dass Zebra, Giraffe, Löwe und Hyäne zugleich am Wasser sind. Alle müssen trinken. Aber wer wann dran kommt, wer viel erwischt, das ist dann die Frage. Wegzugehen war keine Alternative, weil da war Wüste. Also, du musst dann schon immer wieder zurück. Aber ob du was erwischst, wie viel du erwischst, wann du es erwischst und in welcher Qualität - das hing natürlich auch vom Glück, vom Zufall und vom Ellenbogen ab. Und auch von der Rigorosität, mit der du deine Interessen durchsetzt, die bei DAF zum Beispiel ganz massiv war, aber die den Erfolg auch erst in London hatten.
    Reimann: Haben Sie denn manchmal eine Sehnsucht nach dieser Zeit? Haben Sie ein nostalgisches Verhältnis zu dieser Zeit?
    Seffcheque: Nein, habe ich nicht. Also, es war eine gute Zeit. Aber es war damals. Und da war auch einiges, wo ich sagen würde: Meine liebe Güte! Was war da los? Klar war das toll. Man war ganz jung, es war wirklich eine Szene. Du bist jeden Tag aufgestanden und hast gedacht: Was passiert heute wieder? Aber das gibt es vielleicht heute auch noch, ich bin nicht mehr 20. Ich kann mir das schon vorstellen. Aber Sehnsucht oder nostalgische Gefühle dazu? Nein. Das hat sich spätesten erledigt, als diese Ausstellung in Düsseldorf war, "Zurück zum Beton", 2002, wo diese Zeit zum ersten Mal museal aufgearbeitet war. Da wurde mir auch klar: Okay, was als Nächstes folgt, ist der Nachruf, wenn du nicht aufpasst.
    Reimann: Sie haben sie ja an dieser Musealisierung beteiligt, weil Sie zum Beispiel O-Tongeber waren in der Oral History von Jürgen Teipel, "Verschwende deine Jugend".
    Seffcheque: Natürlich. Dazu muss man sagen, zum Jürgen-Teipel-Buch: Ich fand das super interessant. Es war die einzige für mich authentische Aufarbeitung dieser Zeit bisher. Aber wir haben ... Das ist aus einem Grund auch so geworden: Natürlich, weil Jürgen Teipel so sorgfältig war. Aber vor allem ist es so geworden, weil niemand von den Leuten dort, glaube ich, das behaupte ich mal, dass jemals dieses Buch mit diesen unendlichen Interviewfetzen so erscheint. Das haben wir alle nur gemacht, weil wir dachten: Das wird sowieso niemals etwas. Lass den Mann mal machen, der hat Spaß dran, helfen wir ihm. Als das Buch erschienen ist, zwei Jahre später, war ich, glaube ich, der verwundertste Mensch überhaupt. "Was ist das denn?" Dann sehe ich da meine Zitate. "Ach du Scheiße. Das hast du alles gesagt." Stimmt. Habe ich alles gesagt. Muss man auch dazu stehen, ist okay. Und was das Buch bewirkt hat und diese Ausstellung dann. In der Ausstellung ist es kulminiert, dass uns klar wurde, was bis zu dem Zeitpunkt eher verdrängt war, dass das eigentlich einen große Szene war, die zusammenhing. Und die auch zum Teil ähnliche Intentionen, Hintergründe, Gefühle und Hoffnungen und Visionen hatte. Das war uns damals gar nicht so klar, dass das in Berlin und Hamburg zum Teil ähnlich passiert. Wir ahnten das, aber es war uns eigentlich wurscht. Wir kreisten so um uns selbst. Wir waren Privat-Dadaisten.
    Reimann: Was wären so denn die Gemeinsamkeiten, die Sie nennen könnten?
    Seffcheque: Einfach das Gefühl zum Beispiel, dass man dachte: So wie diese Musik klingt, so muss nicht nur mein Leben sein, sondern diese Musik hat die Kraft, möglicherweise die Regierung zu stürzen.
    Reimann: Musik, die das Potenzial hat, eine Regierung zu stürzen ... Wenn Sie dann heute auf der aktuellen Platte ... Den Song "Draht" zum Beispiel haben Sie da drauf. Da geht es ums Abschotten, es geht um abgesperrte Wege, die sind mit Draht abgesperrt, das singt Peter Hein darin. Und es fällt nicht schwer, darin eine direkte Anspielung auf aktuelle Entwicklungen in Europa zu erkennen. Wenn man schon so lange Musik macht, verzweifelt man dann nicht irgendwann, weil man denkt: Na gut, wir können das singen, wir können das machen. Aber es ändert doch leider eh nichts?
    Seffcheque: Das ist Krebs. Und möglicherweise kannst du ihn nicht aufhalten. Du ahnst, du wirst daran sterben. Du wirst sowieso irgendwann sterben. Aber unter Umständen früher, als du dir erhofft oder geplant oder gedacht hast. Soll ich mich dann einfach aufgeben?
    Reimann: Natürlich nicht.
    Seffcheque: Eben.
    Reimann: Xaõ Seffcheque, haben Sie vielen Dank für das Corsogespräch.
    Seffcheque: Danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.