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Xi Jinping in Berlin
"Beginn einer chinesischen Schaukelpolitik"

Der Staatsbesuch des chinesischen Staats- und Parteichefs Xi Jinping in Deutschland markiert nach Ansicht des Chinakenners Sebastian Heilmann den Beginn einer neuen Außenpolitik Chinas. Auf der Suche nach neuen Partnern glaube Peking, in Berlin einen "ehrlichen Makler" in der Weltpolitik zu finden.

Sebastian Heilmann im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Der Direktor des Mercator Instituts für China-Studien (MERICS), Sebastian Heilmann
    Der Direktor des Mercator Instituts für China-Studien (MERICS), Sebastian Heilmann, aufgenommen am 25.10.2013 in Berlin. (dpa/picture-alliance/Marco Urban)
    Jasper Barenberg: Aus Sicht Chinas war Deutschland bisher vor allem in einer Hinsicht wichtig und interessant: als Wirtschafts- und Handelspartner. Die Zahlen sprechen für sich: Wir exportieren so viele Waren in die Volksrepublik wie Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien zusammen. In dieses Bild passt, dass mehr als 100 Wirtschaftsfachleute Chinas Staatschef Xi Jinping zu seinem Besuch heute begleiten. Auch diese Reise soll für Wirtschaftsabkommen und Geschäfte genutzt werden. Das Xi in Berlin aber auch eine Rede zu Chinas Rolle in der Welt halten wird, ist schon ein erster Hinweis darauf, dass es dieses Mal um mehr gehen könnte. Gerade erst hat Peking angekündigt, dass es sich als verantwortliche Großmacht betrachtet, die sich aktiver in die internationale Politik einbringen will. Der Konflikt um die Ukraine und um die Krim haben allerdings auch gezeigt, wie schwierig das auch sein kann. – Aus Berlin ist uns jetzt Sebastian Heilmann zugeschaltet, der Direktor des Mercator-Instituts für China-Studien. Schönen guten Morgen, Herr Heilmann.
    Sebastian Heilmann: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    Barenberg: Kommt mit Xi Jinping ein Staatschef mit Ambitionen, auf der politischen Weltbühne stärker mitzumischen?
    Heilmann: Auf jeden Fall. Wir haben zum ersten Mal hier eine chinesische Administration vor Augen, die auch geostrategische Interessen formuliert, die wirklich eine aktivere Rolle in der Welt anstrebt und dazu auch steht, und dieser Xi Jinping verkörpert tatsächlich den Eintritt Chinas in die aktive Weltpolitik. Insofern hat dieser Besuch in Deutschland ein ganz neues Potenzial, eine neue Dimension. Bisher ging es fast immer ganz vornehmlich um Wirtschaftsbeziehungen, diesmal ist Sicherheitspolitik und Weltpolitik im Zentrum der Gespräche in Berlin.
    Barenberg: Und ein wichtiges Thema in diesem Zusammenhang wird natürlich die Ukraine sein, und da haben ja Beobachter sehr aufmerksam registriert, dass China sich im UN-Sicherheitsrat bei der Abstimmung über das Krim-Referendum der Stimme enthalten hat und nicht an der Seite Russlands mit abgestimmt hat. Ein wie deutliches Zeichen für eine Distanzierung gegenüber Russland ist das denn?
    Heilmann: Das ist natürlich keine explizite Distanzierung, dass China sagt, was Russland gemacht hat ist falsch, sondern es geht hier darum, Spielraum zu gewinnen. Die chinesische Seite will natürlich nicht immer im Windschatten Russlands segeln in dieser internationalen Politik. Die Phase, denke ich, wird demnächst zu Ende gehen. Und insofern positioniert sich die chinesische Führung jetzt so, dass sie auch auf den Westen zugehen kann, jeweils abhängig von der Lage der Krise, die zu bearbeiten ist. Insofern würde ich jetzt damit rechnen, dass das nicht auf offener Bühne stattfindet, aber dass hinter den Kulissen auch heute in Berlin in den Gesprächen mit Angela Merkel tatsächlich sich neue Spielräume auftun. Wir haben also hier ein besonderes Zeitfenster, besondere Gelegenheiten, um China enger einzubinden in eine verantwortliche Bearbeitung von solchen Krisen wie in der Ukraine.
    Barenberg: Ein wichtiges Prinzip der chinesischen Außenpolitik war ja vor allem in der Vergangenheit dieses Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder. Nun hat ja das Moskau gerade verletzt. Insofern ist nachvollziehbar, dass China da ein bisschen auf Distanz geht. Aber anders herum gefragt: Wie weit sind denn dann die Spielräume, die Sie skizziert haben, gerade wenn es darum geht, sich der Haltung des Westens anzunähern?
    Heilmann: Das wird, denke ich, nicht so einfach sein. China wird natürlich versuchen, so eine Art Schaukelposition aufzubauen, wo die größten Vorteile jeweils zu finden sind in den Beziehungen zum Westen und in den Beziehungen zu Russland. Das heißt, Russland bleibt wertvoll für China natürlich als Partner, der notfalls beispringt, der dem Westen Paroli bieten kann, wenn die eigenen Interessen betroffen sind. Außerdem liefert Russland natürlich viele Rohstoffe, viel Energie. Da kann China durchaus jetzt auch mehr abbekommen, falls die Europäische Union ihre Bezugsquellen umsteuert für Energie und Rohstoffe. Dann kann China natürlich wahrscheinlich auf Energie aus Russland zurückgreifen. Das heißt, da ist ein großes Spiel im Gange, wo China versuchen wird, einerseits sehr gute Beziehungen zum Westen auch zu halten, die wirtschaftlich essenziell sind, unabdingbar sind, auf der anderen Seite aber auf keinen Fall einen offenen Bruch mit Russland herbeiführen wird. Wir sehen hier also den Beginn einer chinesischen Schaukelpolitik, die uns wahrscheinlich die nächsten Jahre begleiten wird.
    Barenberg: Sie sprechen von einer Schaukelpolitik. Man kann ja auch sagen, das ist ein Spagat, das ist ein Dilemma. Hat denn die Kanzlerin, hat Angela Merkel anders als andere vielleicht besondere Möglichkeiten, auch was den Ruf Deutschlands in China angeht, da etwas zu bewegen?
    Heilmann: Deutschland hat in der Tat in China den Ruf, ein ehrlicher Makler zu sein, und das beruht auch ganz einfach auf der Tatsache, dass wir keine geostrategischen Interessen in Ostasien haben. Das heißt, China fühlt sich keineswegs bedrückt wie etwa von Russland oder von den USA an den Grenzen. Das gibt es immer wieder, diese Ängste gegenüber gewissen anderen Mächten. Russland ist auch da kritisch. Deutschland gilt als ehrlicher Makler, der tatsächlich auch vermitteln kann, der Positionen vertritt, die nicht nur aufs eigene Konto gehen, nicht nur den eigenen nationalen Interessen dienen, und das ist ein Vorteil. Das ist tatsächlich jetzt heute in Berlin zu erwarten, dass man offener spricht, als das etwa zwischen Xi Jinping und dem amerikanischen Präsidenten Obama möglich wäre, weil Deutschland mehr Glaubwürdigkeit hat in dem Management solcher Krisen.
    Barenberg: Wie wichtig sind da denn persönliche Beziehungen und was kann man dazu überhaupt sagen, wenn wir über Angela Merkel reden, über Joachim Gauck und ihre Beziehungen zu dem neuen chinesischen Staatspräsidenten?
    Heilmann: Persönliche Beziehungen sind schon sehr wichtig. Wir haben eigentlich eine Geschichte von guten persönlichen Arbeitsbeziehungen auch zwischen den Bundeskanzlern in Deutschland seit den 90er-Jahren und den chinesischen Regierungschefs, zum Teil auch den Generalsekretären der Kommunistischen Partei, die ja auch als Staatspräsident Chinas dann fungieren. Das wird also eine erstrangige Aufgabe sein für Angela Merkel, wirklich gute, vertrauensvolle Beziehungen zu diesem Menschen Xi Jinping auch herzustellen, dass man offen reden kann, ohne dass man gleich einschnappt, wenn auch mal ein kritisches Wort fällt, und bisher hat Angela Merkel darin gegenüber chinesischen Führern ein großes Geschick bewiesen. Wir haben heute einen Test vor uns, das wird sehr interessant vom Ergebnis her zu sehen, wie das ausgeht.
    Barenberg: Und wenn wir diesen Test zum Schluss angucken, Herr Heilmann, müssen wir dann am Ende doch sagen, die Wirtschaftsbeziehungen, die Handelsbeziehungen sind für die chinesische Seite besonders wichtig und stehen an erster Stelle, beispielsweise wenn es um dieses Projekt „Neue Seidenstraße“ geht, ja ein offenbar wichtiges Handelsprojekt, was China gerade vorantreiben will?
    Heilmann: Das ist schon so, dass China natürlich sehr stark Außenpolitik auch in wirtschaftspolitischen Kategorien denkt, und beispielsweise dieses neue Seidenstraßen-Projekt ist ein Ausdruck davon, dass China eigentlich fest überzeugt ist, dass nur wirtschaftliche Entwicklung in Zentralasien, Westasien Stabilität auf Dauer schafft, also nicht Militäreinsätze, nicht Entwicklungshilfe, sondern wirtschaftliche Entwicklung. Die Gesellschaften müssen dort alle beteiligt werden am globalen Austausch, und dieses Interesse teilt China natürlich mit Deutschland und der Europäischen Union. Da gibt es wirklich viele neue Möglichkeiten der Kooperation.
    Barenberg: Ganz zum Schluss noch eine weitere Frage. Es heißt ja immer, der Staatspräsident ist sehr kritisch dem Westen gegenüber. Sie sind ziemlich optimistisch, was eine Öffnung des Herrschaftssystems angeht. Woher kommt dieser Optimismus?
    Heilmann: Eine Öffnung des Herrschaftssystems, da wäre ich nicht so optimistisch jetzt, dass das ausgelöst wird von der Führung, denn gegenwärtig haben wir innenpolitisch in China tatsächlich eher eine Rückwendung zum Zentralismus, zu stärker auch autoritären Steuerungsmechanismen. Aber was die Weltpolitik angeht, findet China momentan in eine neue Rolle hinein. Das ist insofern eine neue Phase unter diesem Xi Jinping. Und die werden zugehen müssen auf mehr Partner, sie werden sich einlassen müssen auch auf Krisenmanagement, müssen sich aktiv beteiligen, weil China überall in der Welt jetzt präsent ist. Das heißt, das ist ein ganz elementares Interesse, die eigenen Bürger zu schützen, die eigenen Unternehmen zu schützen, aber auch friedliches Umfeld zu haben, das diesen Aufstieg Chinas auch flankieren und unterstützen kann.
    Barenberg: Der Direktor des Mercator-Instituts für China-Studien heute Morgen live hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch, Sebastian Heilmann.
    Heilmann: Danke Ihnen, Herr Barenberg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.