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Yael Ronen im Gorki Theater
Sinn und Unsinns des Verdrängens

Die israelische Erfolgsregisseurin Yael Ronen hat mit dem Ensemble des Berliner Maxim Gorki Theaters wieder ein Stück entwickelt. Der Titel "Denial" verrät, es geht um Verdrängung, Verleugnung, Verneinung und Wegschauen. Eine Komödie, die weh tut – vor der man aber nicht die Augen verschließen sollte.

Von Barbara Behrendt |
    Szene mit Dimitrij Schaad (als Jimmy) in dem Stück "Denial" von Regisseurin Yael Ronen am Berliner Maxim Gorki Theater
    Szene mit Dimitrij Schaad (als Jimmy) in dem Stück "Denial" von Regisseurin Yael Ronen am Berliner Maxim Gorki Theater (imago/DRAMA-Berlin.de)
    Das Vertrackte am Verdrängen ist ja: Jeder tut es – aber keiner weiß es von sich. Etwas verdrängen, das machen nur die anderen. Die Schauspieler nehmen deshalb zunächst ihre paradoxe Erinnerung an die ach so glückliche Kindheit aufs Korn:
    "Wir haben ein sehr ausgeprägtes Familiengefühl. Meine Mutter hatte mich so lieb, dass sie nicht einen Tag ohne mich sein wollte. Deshalb musste ich auch nicht in den Kindergarten sondern durfte den ganzen Tag jeden Tag mit meiner Mutter im Haus verbringen. Das hatte zusätzlich den Vorteil, dass mich Deutsch nicht in meiner türkischen Sprachentwicklung behindert hat. Ich konnte nämlich kein Wort Deutsch. Deshalb war die Schule für mich eher ein visuelles Erlebnis."
    In ihren viel zu groß gekauften oder viel zu extravagant geschneiderten Kinderklamotten tanzen die fünf Schauspieler auf der Bühne zu Michael Jackson und strahlen. Mama und Papa waren zwar Alkoholiker, aber sie nahmen ja keine Drogen. Und die eigenen Freunde waren zwar imaginiert, aber immerhin gab es sie. Probleme hatten nur die anderen.
    Der James-Bond-Papa war beim israelischen Geheimdienst
    Ironie und Komödienton sind hier jedoch nur der Anfang. Yael Ronen, die Gruppentherapeutin unter den Regisseurinnen, bohrt sich Szene für Szene immer schmerzhafter hinein ins Seelenfleisch. Orit Nahmias spielt Dorit, die so stolz auf ihren integren James-Bond-Papa war, der immer auf der Seite der Guten stand – bis sie herausfindet, was er beim israelischen Geheimdienst wirklich zu tun hatte. Maryam Zaree als Marian erfährt erst aus der Zeitung, dass ihre Mutter sie in einem iranischen Gefängnis zur Welt gebracht hat. Sprechen kann sie mit ihr darüber nicht.
    Schon die Ähnlichkeit zwischen den Namen der Schauspieler und der ihrer Rollen weist auf den autobiografischen Ursprung vieler Geschichten hin. Doch Ronen und das Ensemble haben auch bei Psychiatern, Juristen, Historikern, Energie-Therapeuten und Hypnotiseuren recherchiert. Spannend wird es, wenn die Konflikte auf der Bühne nicht nur nacherzählt, sondern tatsächlich ausgetragen werden: Etwa, wenn Nahmias das Publikum von den Gewaltattacken ihres Ex-Manns überzeugen will, während Dimitrij Schaad in der Rolle dieses Mannes alles leugnet und seine Ex-Frau zur pathologischen Lügnerin mit Kriegstraumata erklärt:
    "Wenn ich die Wohnung zerlegt hätte, und rumgeschrien hätte, wie kommt es, dass niemals die Nachbarn die Polizei gerufen haben? Sie ist krank. Sie ist unglaublich manipulativ. Sie ist zerstörerisch. Sie überzeugt sich selbst so sehr von ihren Erfindungen, bis sie nicht mehr merken kann, dass es Lügen sind."
    Problematisch: Der "authentische" Augenblick
    Manches an diesem Abend könnte stringenter sein, viele Kapitel ufern aus und wirken beliebig aneinandergereiht. Problematisch wird es, wenn die Schauspieler so tun, als präsentierten sie ihre Lebensgeschichte spontan und von Gefühlen übermannt – wie Zaree, als sie schluchzend einen Brief an ihre Mutter vorliest. Der sogenannte authentische Augenblick, der ja an jedem Abend mit der autobiografischen Geschichte neu erzeugt werden muss, kann rasch gekünstelter wirken als jedes Rollenspiel.
    Am Ende gelingt Ronen aber noch einmal der Dreh ins Tiefenpsychologische. Schaad schlüpft in die Rolle des missbrauchten Jungen, der erst im Erwachsenenalter von Erinnerungsblitzen getroffen und fast zerstört wird. Wie durch einen dichten Wald bahnt er sich einen Weg durch die weißen Lamellen, die den Abend über von der Bühne herab hängen und auf die immer wieder schemenhaft die Gesichter der Schauspieler projiziert werden. Gesichter unter Wasser, die wie schwerelos schweben, vielleicht auf den Grund sinken, vielleicht an die Oberfläche streben. Spätestens in dieser bedrückenden Szene wird klar: Überflüssig ist die Verdrängung nicht. Sie kann sogar zur Lebensrettung werden, solange man nicht stabil genug für die grauenvolle Wahrheit ist.
    Klar: Man hätte, wie Nahmias am Ende gespielt enttäuscht anmahnt, auch einen Abend über kollektive Verdrängung inszenieren können, über verleugnete Genozide, Massaker und Geschichtsbeschönigungen. Aber man kann ja auch erst mal bei sich selbst anfangen.