Jagdgewehre der Marke Haenel gelten als zuverlässig und leicht handzuhaben. Ein Clou des neuen Romans von Yannick Haenel besteht darin, dass sich der Protagonist namens Jean ausgerechnet vor einem Gewehr fürchtet, das den Namen des Autors trägt. Es scheint ihn aus der Vitrine eines Waffenschranks heraus anzustarren.
Der abgeschlossene Schrank gehört seinem Nachbarn namens Tot, dessen Wohnung und Hund der Ich-Erzähler, ein Drehbuchautor, hüten soll. Eigentlich keine allzu schwere Aufgabe; doch der Mann, um den es in "Halt deine Krone fest" geht, befindet sich in einer tiefen Existenzkrise.
"Die Gesamtbilanz war nicht gerade glänzend: Ich war neunundvierzig, ich lebte zurückgezogen in einer Wohnung von zwanzig Quadratmetern und verbrachte meine Tage damit, Filme zu sehen und Alkohol zu trinken. Natürlich widmete ich mich einer Aufgabe, die mir wesentlich, ja geradezu heilig erschien, einer Tätigkeit, die das Absolute berührte, die vielleicht sogar einer Berufung glich und erforderte, dass man lebt, ohne sich um den gesellschaftlichen Erfolg zu kümmern. […] Aber an manchen Tagen kam mir doch ein Zweifel an dem Sinn, den so ein Zeitvertreib meinem Leben gab, denn selbst wenn man mit großer Nachsicht akzeptierte, dass man sich selbst unter dem Vorwand, der weiße Hirsch der Wahrheit erscheine uns in Filmen, als Held ansehen könne, unterschied sich dieses Heldentum doch in nichts von dem lächerlichen Leben eines Losers."
Auf der Suche nach Michael Cimino
"Halt deine Krone fest" ist keineswegs ein larmoyanter Roman, ganz im Gegenteil. Vielmehr geht es dem 1967 im bretonischen Rennes geborenen Yannick Haenel um die Illumination eines Außenseiters, um jene strahlenden Glücksgefühle, wie sie echten Cineasten vorbehalten sind. Das Buch ist eine Hommage ans Kino und insbesondere an den italo-amerikanischen Regisseur Michal Cimino. Berühmt wurde er durch den Anti-Kriegsfilm "The Deer Hunter" – die deutsche Version heißt "Die durch die Hölle gehen" - mit Robert De Niro in der Hauptrolle. Ciminos folgender Film "Heaven’s Gate" – "Das Tor zum Himmel" - entwickelte sich zu einem der schlimmsten Misserfolge von Hollywood. Daraufhin verschwand der zarte, feminin wirkende Mann mit der dunklen Sonnenbrille als Persona non grata aus der Öffentlichkeit.
Michael Cimino ist jedoch Jeans Lichtgestalt und der einzige, dem er die Realisierung seines wahnwitzigen Projekts zutraut. Monatelang hat sich der idealistische Einzelkämpfer von der Außenwelt isoliert, um sich ganz einer Hommage an den Schriftsteller Herman Melville zu widmen. Das Ergebnis ist das siebenhundert Seiten starke Drehbuch "The Great Melville", das allein wegen seines Umfangs als kaum verfilmbar erscheint.
"Ich war vielleicht verrückt, aber ich hatte dieses Drehbuch geschrieben, um hörbar zu machen, was in der Einsamkeit eines Schriftstellers steckt; ich wusste natürlich, dass sich so etwas nicht darstellen lässt: Niemand ist imstande, für das Denken eines anderen zu zeugen, weil das Denken ja gerade ohne Zeugen existiert; trotzdem hatte ich versucht, das in meinem Drehbuch hörbar zu machen: das Denken von Herman Melville – die Population seiner Gedanken."
Macrons Doppelgänger
Über einen Filmproduzenten, der sich ebenfalls für amerikanische Literatur begeistert, gelingt es Jean schließlich, Michael Cimino zu kontaktieren. Er erreicht ihn um drei Uhr nachts Ortszeit in Kalifornien. Sie verabreden sich in New York, wo Jean Cimino zunächst nicht erkennt, da er ihn für eine Frau hält. Zu Jeans freudiger Überraschung beginnt Cimino gleich auf einer Parkbank mit der Lektüre des Drehbuchs, das ihm gefällt. Bei einer Bootsfahrt im Hafen kommt Melville ins Spiel, der hier einst als Zollinspektor gearbeitet hatte. So vermischen sich für Haenels eigentümlichen Helden die Zeiten und Namen zu einem einzigen Glücksmoment, befeuert durch die allgegenwärtige Lichtmetaphorik.
"Genau das hatte ich bei Cimino immer geliebt: Er hatte das Feuer. Bei ihm war alles durch das Heilige verdoppelt: Seine Worte, seine Lebensentscheidungen waren im Geiste gesponnen; sogar wenn er in seinem alten Ford auf den Straßen Montanas zu seiner Ranch fuhr, sogar wenn er den Fahrstuhl eines europäischen Luxushotels nahm, weil er eingeladen war, eine Retrospektive seiner Filme zu präsentieren, sogar wenn er sich auf einer Bank am East River mit einem durchreisenden französischen Schriftsteller Wodka einflößte, stand dieser Mann bis zu den Fingerspitzen in Flammen. Er lebte nach seinen Göttern, und er grüßte sie immer und überall."
Neben dem 2016 verstorbenen Michael Cimino lässt Yannick Haenel weitere Berühmtheiten der Filmbranche auftauchen, etwa den polnischen Regie-Großmeister Jerzy Skolimoswki oder die unendlich wandlungsfähige Schauspielerin Isabelle Huppert. Ihr begegnet Jean in einem Pariser Luxusrestaurant bei einem Abendessen, das gehörig aus dem Ruder läuft. An diesem 23. September feiert er mit dem Produzenten Pointel seinen 50. Geburtstag. Bevor Pointel eintrifft, hat sich das Geburtstagskind schon ordentlich betrunken und Ärger mit dem blasierten Personal.
"Um zwanzig Uhr kam ich zu Bofinger. Es war ein Sonnabend, es war voll, ich erklärte, ein Tisch sei auf den Namen Pointel reserviert. Der Oberkellner, ein nervöser junger Mann mit frühzeitiger Glatze, ein Doppelgänger von Emmanuel Macron, antwortete, Monsieur Pointel werde in der Tat hier speisen, unter der Glaskuppel, an seinem Stammtisch, aber nicht mit einem Hund."
Held Jean lebt in seiner cineastischen Traumwelt
Es ist diese slapstickhafte Situationskomik, die den Roman in der Übertragung von Haenels bewährter Übersetzerin Claudia Steinitz zum Lesevergnügen macht, wegen der Leinwand-Reminiszenzen insbesondere für Filmfans. Yannick Haenel hat einen Abenteuer- und Künstlerroman eigener Art geschaffen, rund um einen solipsistischen Helden, der kompromisslos seinen Traum verwirklicht und eben seine Krone festhält, wozu der Titel auffordert. Die krisenhafte französische Wirklichkeit mit ihren Momenten des Aufruhrs dringt kaum in diesen Erzählkosmos durch. Nur selten gibt sich der Protagonist als jener Jean Deichel zu erkennen, der in Haenels letztem Roman "Die bleichen Füchse" von 2013 den Aufstand probte.
"Wir überquerten die Rue de la Chine. Ich erzählte Guy, dass ich vor ein paar Jahren in einem Auto gelebt hatte, das genau vor der Nummer 22 stand; es war die Zeit, als ich mich am Aufstand der Bleichen Füchse beteiligte: Wir waren maskiert, wir hatten keine Identität mehr, denn die Identität war nur eine Falle, eine Unterwerfung unter die Kontrolle, nur die Nichtidentität war revolutionär […]; das war die letzte Chance, die letzte kollektive Freude gewesen, bevor alles plattgemacht wurde. Nun lag Paris im Tiefschlaf […]."
Doch gesellschaftskritische Absichten verfolgt Yannick Haenel diesmal eindeutig nicht. Sein aktueller Held Jean lebt viel zu sehr in seiner cineastischen Traumwelt, als dass ihn die Realität noch ernsthaft interessieren würde. Und so ist dieser utopische, lichtgleißende Paris-Roman eine hinreißende Hommage an die Liaison des Films mit der Literatur und an das Glück, das diese beiden narrativen Künste schenken.
Yannick Haenel: "Halt deine Krone fest"
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Rowohlt Verlag, Hamburg. 320 Seiten, 22 Euro.
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Rowohlt Verlag, Hamburg. 320 Seiten, 22 Euro.