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"Yiddish Summer" in Weimar
Klezmer und jiddische Kultur

Die jiddische Kultur wurde mit dem Holocaust in Europa fast ausgelöscht. Mittlerweile erleben Klezmer-Musik und jiddisch eine Renaissance. Das größte von vielen Festivals weltweit ist der "Yiddish Summer" in Weimar, den es nun schon seit 17 Jahren gibt. Und er wächst und wächst.

Von Henry Bernhard |
    Die Mitglieder des Ensemble Lucidarium
    Beim "Yiddish Summer" in Weimar dabei: das Ensemble Lucidarium (Giacomo Maestri)
    Musik: Probe Klezmer-Band
    Wenn da noch Platz auf der Bühne wäre, würde er hochspringen und mitspielen, ruft der Klarinettist Christian Dawid der 13köpfigen Band begeistert zu. Dawid ist Artist in Residence beim Yiddisch Summer Weimar. Die Band gibt es erst seit 5 Tagen. In dieser Zeit haben die Musiker, Profis wie Laien, 6 Titel erarbeitet – ohne geschriebene Noten. Nun ist Generalprobe für das Abschlusskonzert am Abend. Alles läuft bestens. Geleitet hat den Kurs Joshua Horowitz, der in Kalifornien lebt:
    "Also die Leute sind gut gelaunt. Es sind außerdem sehr viele ausgezeichnete Musiker. Wir haben viele Profis hier. Und das ist vielleicht eines, was hier besonders ist in Weimar: Dass wir auch Anfänger haben, aber es gibt die Möglichkeit, auch für fortgeschrittene Leute, zu lernen, also Profis."
    Musiker aus aller Welt

    Die Musiker kommen aus den Niederlanden, aus Deutschland, Frankreich, den USA, Israel und Japan. Viele sind schon mehrfach hier gewesen. Der Yiddish Summer Weimar ist mittlerweile das bedeutendste Festival dieser Art weltweit. Und das gerade am Fuße des Ettersberges, wo auch Buchenwald liegt.
    "Das ist eine lange Diskussion: Warum Klezmer-Musik in Deutschland so populär geworden ist. Ja, es gibt sicher die Rebellion gegen die Täter von gestern. Aber dieser Geist, muss ich sagen, verschwindet allmählich. Es geht darum, eine Gemeinde zu bilden. Und das heißt nicht, eine jüdische Gemeinde, sondern eine musikalische oder so, wo Musik und Kunst im Zentrum steht. Und das ist eigentlich ziemlich leicht zu produzieren, muss ich sagen."
    Einer, der schon zum 11. Mal da ist, ist Chitoshi Hinone aus Kyoto. Er spielt Klarinette bei den Fortgeschrittenen, ist aber nicht zum Spaß hier, wie er sagt:
    "It‘s no holiday, it’s work! No sightseeing! No museum I visited."
    Es sei Arbeit, jedes Jahr zwei Wochen. Denn Hinone ist Kunsthistoriker. Er ist Marc-Chagall-Spezialist. Mit der jüdischen Geschichte, der jüdischen Kultur konnte er sein Hobby verbinden: die Musik. Auf diese Weise kann er tiefer in die Gedanken- und Gefühlswelt der Zeit eintauchen, mit der er sich beruflich befasst.
    Ohne Noten spielen

    Sonstige Teilnehmer haben ganz andere Motivationen. Wie etwa Stefanie Hölzle aus dem Bergischen Land. Sie spielt Geige und ist professionelle Musikerin. Schon seit Jahren spielt sie Klezmer-Musik. In Weimar ist sie zum zweiten Mal dabei, in einer reinen Frauen-Besetzung:
    "Was jetzt für mich besonders ist, dass wir die ganze Woche ohne Noten gespielt haben. Das ist für mich auch eine große Herausforderung; aber es lernt sich anders, prägt sich anders ein, wenn man das nicht hat. Da haben wir aber sehr viel auch über Strukturen und quasi solche Bausteine gesprochen. Und das hilft dann auch, um sich was zu merken."
    Musik: Probe Klezmer-Band
    Der Yiddish Summer Weimar begann vor 17 Jahren zunächst mit Musik, aber schnell kam noch mehr dazu: Die jiddische Sprache wird gelehrt, Tanz, Gesang, Kochen – es ist ein Festival für die Sinne für Teilnehmer und Zuschauer. Erstmals in diesem Jahr dabei, und vielleicht weltweit erstmals als Kurs: Ein Workshop über Badkhonim – eine außerhalb der jiddischen Kultur weitgehend unbekanntes Berufsbild. Die Kurssprache ist: Jiddisch.
    "Ich hab gewollt … der Computer ist gefallen toid …"
    Mendy Cahan improvisiert, eine Workshop-Teilnehmerin stimmt ein. Ein Sprechgesang über den Computer, der nicht so will, wie er soll. Die Improvisation führt gleich ins Zentrum dessen, was ein Badkhn ist oder sein kann: Ursprünglich ein Bänkelsänger, ein Alleinunterhalter auf Hochzeiten, aber dann doch viel mehr:
    "The Badkhn is something like a troubadoure, a folks‘ spaeker, a folks‘ sayer … in society."
    Troubadour, Narr, Philosoph

    Der Badkhn sei so vieles: Troubadour, Stimme des Volkes, Unterhalter für Hochzeiten. Aber er ist jemand, der die Leute in die richtige Stimmung bringt: Von der Traurigkeit und Ernsthaftigkeit in den Moment der Eheschließung, in dem Mann und Frau gemeinsam starten wollen. Aber der Badkhn ist auch für die Witze zuständig, für das Heitere, das Subversive. Er drücke das aus, was das Gesetz und das Establishment nicht sagen. Er ist die freie Stimme, meint Mendy Cahan, der wie schon sein Vater gelegentlich als Badkhn auftritt und in Israel seine in Belgien erlernte Muttersprache Jiddisch populärer macht.
    Cahan erklärt, dass es eine Spaltung gab: Im Mittelalter war der Badkhn noch ein Narr, ein Spaßmacher. Im Westjudentum ist er das auch geblieben. Aber im Ostjudentum wurde er zum Philosophen, der das Unabänderliche, Fatalistische des Lebens zum Ausdruck brachte. Und er legte die Wurzeln für das jüdische Theater, aber auch für die amerikanischen Stand-Up-Comedians von heute. In Weimar beim Yiddisch Summer blickte Mendy Cahan tief in diese Vergangenheit.
    Noch 10 Tage gibt es in Weimar Klezmer, Tanz, Theater, Workshops und Vorträge – auf Deutsch, Englisch und natürlich Jiddisch.