"Kunst, so habe ich vor Jahren einmal gelesen, soll das Chaos bewältigen..."
Die Kunst hat es nicht bewältigt: Nicht das äußere Chaos jener Welt vor 100 Jahren, die sich selbst in einem barbarischen Krieg nie gekannten Ausmaßes zerstören sollte und nicht das innere Chaos des Dichters Georg Trakl, dem der zweitägige Fronteinsatz als Sanitäter in der Schlacht bei Grodek 1914 reicht, um ihm das Grauen in seinem ganzen Ausmaß vor Augen zu führen. Sein Versuch, sich zu erschießen, wird im letzten Moment von einem Kameraden verhindert. Zur Beobachtung seines Geisteszustandes wird er in den sogenannten Irrentrakt des Garnisonshospitals in Krakau eingeliefert. Für den Monolog, den der Salzburger Autor und Büchnerpreisträger Walter Kappacher nun seinem Trakl in den Mund gelegt hat, um ihn durch seine letzten Tage vor seinem Tod am 3. November 1914 durch eine Überdosis Kokain zu begleiten, für diesen Monolog hat sich der junge Regisseur Nicolas Charaux eine starke Spielsituation geschaffen. Auf einem runden, spitz zulaufenden Untergrund steht da schräg eine zu den Seiten hermetisch geschlossene und nach oben offene Zelle im Raum. Und aus ihr wird sich zu Beginn dieser Salzburger Uraufführungsinszenierung dieser Trakl befreien: Mit einer Axt schlägt er sich brachial ein Loch in die Wand, um sich schüchtern fast, vorsichtig ans Licht zu trauen in seinem merkwürdigen zottigen Pelzmantel.
"Habe ich nicht versucht, Verse zu erarbeiten. Ein paar Leute haben gemeint, das, was ich mache, wär etwas, vergleichbar mit den Arbeiten der Besten!"
Menschlich anrührende Naivität
Und da sitzt er nun eng an die Wand seines Gefängnisses geschmiegt und zweifelt an seiner Kunst und erinnert sich: An die blutig-groteske Realität des Krieges und die eigene Hilflosigkeit, mit der er den Schwerverwundeten als Sanitäter gegenübersteht. An den Selbstmordversuch, an Freunde und natürlich immer wieder: an Gretl, die Schwester.
"Unsere Liebe war falsch. Es war hauptsächlich meine Schuld. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie diesen doppelt so alten Herrn Lange wirklich lieb gehabt hat. Mir jedenfalls hat keine Frau mehr etwas bedeutet. Nicht einmal eine der Huren."
Walter Kappacher lässt keinen Zweifel daran, dass er das noch immer umstrittene inzestuöse Liebesverhältnis von Georg Trakl und seiner jüngeren Schwester für bare Münze nimmt und: Dass vielleicht nicht allein der Krieg, sondern auch die zumindest versuchte Abkehr Gretls von ihrem Bruder seiner ebenso düsteren wie zarten Seele den Rest gegeben hat.
Es ist vor allem die zarte Seite der Seele Trakls, die in Salzburg nun in Gestalt von Paul Herwig auf die Bühne kommt. Wer die fast kindliche Sensibilität dieses Schauspielers kennt, weiß, dass seine Figuren immer etwas von einer sehr menschlich anrührenden Naivität besitzen, da kann er hier noch so sehr die Axt schwingen, um jenes Brachiale zu behaupten, das die expressive Dichterpersönlichkeit Trakls auch ausgezeichnet haben muss. Zusammen mit seinem Regisseur Charaux hat Herwig in dieser eher zurückhaltenden Uraufführungsinszenierung ziemlich auf den Text dieses Monologs vertraut, auch wenn sie hier und da mit einer Geräuschkulisse spielen, zu der sich der Schauspieler in Beziehung setzen kann, einer Geräuschkulisse, von der man nicht so genau weiß, woher sie kommt und ob sie sich nicht vielleicht auch einfach im Kopf Trakls abspielt.
Reihe wird bedauerlicherweise eingestellt
Es ist sicherlich kein ganz großes Stück, dieses Theaterdebüt des 75-jährigen Walter Kappacher, dazu hangelt es sich passagenweise zu akribisch an Fakten entlang, trotzdem ist es dem "Young Directors Project" der Salzburger Festspiele und damit dem Schauspielchef Sven Eric Bechtolf hoch anzurechnen, dass er seinen Weltkriegsschwerpunkt mit dieser Uraufführung des Salzburger Dichterduos Kappacher/Trakl noch einmal in der Stadt Salzburg verankert hat. Passend zum Titel war "Der Abschied" von Walter Kappacher nach 13 Jahren die letzte Produktion des "Young Directors Project" im Rahmen der Salzburger Festspiele. Da sich der Sponsor, der Edelfüllerhersteller Montblanc zurückzieht, kann die Reihe, die in den besten Fällen Kontrapunkte gegen die sonst in Salzburg produzierte Hochkultur setzte, nun bedauerlicherweise nicht fortgeführt werden.