Die Berliner Fuckparade, ein Videokünstler, eine Kamera, eine Zufalls-Szene: Techno, tanzende Menschen. Eine Frau mit leuchtend blauer Perücke, ein rüder Rempler – und dann: ein Hüne mit kurzer Hose, schweren Schuhen, nacktem Oberkörper, geflochtenem Wikingerbart. Er hält den Rempler fest, weist ihn mit erhobenem Zeigefinger davon. Sekundenlang ein starrer, drohender Blick. Dann setzt sich die Kamera langsam in Bewegung, der Zug folgt ihr. Im Fokus der Hüne, ekstatisch tanzend.
Matthias Fritsch filmt auf einer öffentlichen Veranstaltung mit offen sichtbarer Kamera. Es ist das Jahr 2000, bis zur Gründung von Youtube werden noch beinahe fünf Jahre vergehen.
Bis 2006 zeigt der Macher des Videos seine Vier-Minuten -Sequenz im künstlerischen Umfeld, auf Filmfestivals und an der Uni. Dann stellt er den Clip bei Youtube ein. Mehrere Millionen Mal wird das Video angeklickt – und die Netzgemeinde erfindet sich einen neuen Helden: den Techno-Wikinger.
Das Video des tanzenden Techno-Wikingers wird zu einem der ersten Internethits, hundertfach haben User das Original verändert und weiterverbreitet. Es gibt das Ursprungsvideo mit anderer Musik, Parodien mit neuen Protagonisten, Comicversionen, 3-D-Superhelden im Technowikinger-Style, Torten mit dem tanzenden Hünen, Videospiele, T-Shirts.
Das Video und seine Derivate gehen um die Welt. Bis bei Matthias Fritsch kurz vor Weihnachten 2009 eine Unterlassungserklärung ins Haus flattert – der Protagonist des Filmchens meldet sich.
Alle, so scheint es, lieben den Techno-Wikinger. Aber der Protagonist selbst, bis heute anonym, will die Kunstfigur aus dem Netz verbannen. Fritschs Vorschlag einer Gewinnbeteiligung – er hat ein paar Tausend Euro mit Youtube-Werbung und dem Verkauf von T-Shirts verdient - lehnt der Techno-Wikinger ab. Sein Anwalt, Alexander Paschke:
"Meinem Mandanten ging es gar nicht um Gewinnbeteiligung, sondern er wollte schlichtweg, dass er nicht zur öffentlichen Person wird. Das ist sein gutes Recht und das hat der Herr Fritsch zu keinem Zeitpunkt respektiert. Er hat es immer darauf abgestellt: Naja, er kann sich ja an den Gewinnen beteiligen, aber das will er gar nicht."
Es kommt zum Prozess, in dem es um die Frage geht, welches Grundrecht überwiegt: das der Meinungsfreiheit, zu dem auch die Freiheit der Kunst zählt? Oder das Persönlichkeitsrecht, zu dem auch das Recht am eigenen Bild gehört. Wie urteilen in einem solchen Fall und in einer Zeit, in der man über Nacht zum Internetstar oder aber zum Gespött von Millionen werden kann?
Das Berliner Landesgericht entscheidet: Fritsch darf die Videosequenz nicht mehr zeigen, auch nicht auf seinen Vorträgen, in denen er sich mit Internetphänomenen auseinandersetzt. Andernfalls droht ihm eine Strafe von 250.000 Euro.
Mangels besonderer kunstgerechter Bildbearbeitung tritt der Persönlichkeitsrechtsschutz in den Vordergrund.
Nicht kunstvoll genug, urteilen die Richter. Doch was, wenn sie in einem vergleichbaren Fall den Kunstcharakter erkennen würden? Das Urteil ist keine Lösung des Problems, für Fritsch sind weitere Schritte aber unbezahlbar. Etwa 7000 Euro verdient der Künstler im Jahr. Die Kosten für das letzte Urteil, für Gericht und Anwälte, liegen bei rund 15.000 Euro.
Matthias Fritsch:
"Und dann noch mal ein Jahresgehalt oder zwei draufzulegen, ist überhaupt nicht meine Intention. Deshalb habe ich mich entschlossen, nicht in Berufung zu gehen, auch wenn ich die Beurteilung, was das Gericht gegenüber der Kunst an den Tag gelegt hat, überhaupt nicht für zeitgemäß halte, aber da kann ich es mir einfach nicht leisten, für symbolische Werte zu kämpfen."
Der Kläger hingegen will weitere strittige Punkte nun vor dem Berliner Kammergericht klären lassen. Das Urteil tut der Bekanntheit des Techno-Wikingers allerdings keinen Abbruch. Die Remixe mäandern weiter durch das Netz.
Matthias Fritsch:
"Das führt mich ein bisschen zu dem Schluss, dass es absurd ist, einen Gerichtsprozess zu führen, um zu versuchen, solche Inhalte aus dem Netz zu bringen, weil es natürlich nicht mehr kontrollierbar ist. Ich kann selbst mein Video im Netz schon seit fünf Jahren nicht mehr kontrollieren."
Die Klägerseite, die durch Anwalt Alexander Paschke spricht, sieht dagegen die Hunderten und Tausenden Abkömmlinge des Originalvideos als schwierige, aber nicht unlösbare Aufgabe:
"Jeder einzelne von denen muss sich fragen: Mache ich da eigentlich was, was erlaubt ist? Oder mache ich da etwas, wo ich eben die Persönlichkeitsrechte eines anderen Menschen verletze? Und das ist hier in dem Fall eben der Fall. Dann muss also jeder, der das weiter veröffentlicht, damit rechnen, dass mein Mandant gegen ihn vorgeht."
Es sind grundsätzliche Fragen, die hier geklärt werden müssen. Kann das Persönlichkeitsrecht im digitalen Zeitalter überhaupt noch mithalten? Oder ist es heutzutage wichtiger denn je? Und wie könnte ein neuer rechtlicher Rahmen aussehen? Sind Richter die Richtigen, um Kunst als Kunst zu kennzeichnen?
Matthias Fritsch hat in einer Crowdfunding-Kampagne Geld gesammelt, um in einem Dokumentarfilm Antworten auf diese Fragen zu finden. Der Arbeitstitel: The Story of Technoviking.
Matthias Fritsch filmt auf einer öffentlichen Veranstaltung mit offen sichtbarer Kamera. Es ist das Jahr 2000, bis zur Gründung von Youtube werden noch beinahe fünf Jahre vergehen.
Bis 2006 zeigt der Macher des Videos seine Vier-Minuten -Sequenz im künstlerischen Umfeld, auf Filmfestivals und an der Uni. Dann stellt er den Clip bei Youtube ein. Mehrere Millionen Mal wird das Video angeklickt – und die Netzgemeinde erfindet sich einen neuen Helden: den Techno-Wikinger.
Das Video des tanzenden Techno-Wikingers wird zu einem der ersten Internethits, hundertfach haben User das Original verändert und weiterverbreitet. Es gibt das Ursprungsvideo mit anderer Musik, Parodien mit neuen Protagonisten, Comicversionen, 3-D-Superhelden im Technowikinger-Style, Torten mit dem tanzenden Hünen, Videospiele, T-Shirts.
Das Video und seine Derivate gehen um die Welt. Bis bei Matthias Fritsch kurz vor Weihnachten 2009 eine Unterlassungserklärung ins Haus flattert – der Protagonist des Filmchens meldet sich.
Alle, so scheint es, lieben den Techno-Wikinger. Aber der Protagonist selbst, bis heute anonym, will die Kunstfigur aus dem Netz verbannen. Fritschs Vorschlag einer Gewinnbeteiligung – er hat ein paar Tausend Euro mit Youtube-Werbung und dem Verkauf von T-Shirts verdient - lehnt der Techno-Wikinger ab. Sein Anwalt, Alexander Paschke:
"Meinem Mandanten ging es gar nicht um Gewinnbeteiligung, sondern er wollte schlichtweg, dass er nicht zur öffentlichen Person wird. Das ist sein gutes Recht und das hat der Herr Fritsch zu keinem Zeitpunkt respektiert. Er hat es immer darauf abgestellt: Naja, er kann sich ja an den Gewinnen beteiligen, aber das will er gar nicht."
Es kommt zum Prozess, in dem es um die Frage geht, welches Grundrecht überwiegt: das der Meinungsfreiheit, zu dem auch die Freiheit der Kunst zählt? Oder das Persönlichkeitsrecht, zu dem auch das Recht am eigenen Bild gehört. Wie urteilen in einem solchen Fall und in einer Zeit, in der man über Nacht zum Internetstar oder aber zum Gespött von Millionen werden kann?
Das Berliner Landesgericht entscheidet: Fritsch darf die Videosequenz nicht mehr zeigen, auch nicht auf seinen Vorträgen, in denen er sich mit Internetphänomenen auseinandersetzt. Andernfalls droht ihm eine Strafe von 250.000 Euro.
Mangels besonderer kunstgerechter Bildbearbeitung tritt der Persönlichkeitsrechtsschutz in den Vordergrund.
Nicht kunstvoll genug, urteilen die Richter. Doch was, wenn sie in einem vergleichbaren Fall den Kunstcharakter erkennen würden? Das Urteil ist keine Lösung des Problems, für Fritsch sind weitere Schritte aber unbezahlbar. Etwa 7000 Euro verdient der Künstler im Jahr. Die Kosten für das letzte Urteil, für Gericht und Anwälte, liegen bei rund 15.000 Euro.
Matthias Fritsch:
"Und dann noch mal ein Jahresgehalt oder zwei draufzulegen, ist überhaupt nicht meine Intention. Deshalb habe ich mich entschlossen, nicht in Berufung zu gehen, auch wenn ich die Beurteilung, was das Gericht gegenüber der Kunst an den Tag gelegt hat, überhaupt nicht für zeitgemäß halte, aber da kann ich es mir einfach nicht leisten, für symbolische Werte zu kämpfen."
Der Kläger hingegen will weitere strittige Punkte nun vor dem Berliner Kammergericht klären lassen. Das Urteil tut der Bekanntheit des Techno-Wikingers allerdings keinen Abbruch. Die Remixe mäandern weiter durch das Netz.
Matthias Fritsch:
"Das führt mich ein bisschen zu dem Schluss, dass es absurd ist, einen Gerichtsprozess zu führen, um zu versuchen, solche Inhalte aus dem Netz zu bringen, weil es natürlich nicht mehr kontrollierbar ist. Ich kann selbst mein Video im Netz schon seit fünf Jahren nicht mehr kontrollieren."
Die Klägerseite, die durch Anwalt Alexander Paschke spricht, sieht dagegen die Hunderten und Tausenden Abkömmlinge des Originalvideos als schwierige, aber nicht unlösbare Aufgabe:
"Jeder einzelne von denen muss sich fragen: Mache ich da eigentlich was, was erlaubt ist? Oder mache ich da etwas, wo ich eben die Persönlichkeitsrechte eines anderen Menschen verletze? Und das ist hier in dem Fall eben der Fall. Dann muss also jeder, der das weiter veröffentlicht, damit rechnen, dass mein Mandant gegen ihn vorgeht."
Es sind grundsätzliche Fragen, die hier geklärt werden müssen. Kann das Persönlichkeitsrecht im digitalen Zeitalter überhaupt noch mithalten? Oder ist es heutzutage wichtiger denn je? Und wie könnte ein neuer rechtlicher Rahmen aussehen? Sind Richter die Richtigen, um Kunst als Kunst zu kennzeichnen?
Matthias Fritsch hat in einer Crowdfunding-Kampagne Geld gesammelt, um in einem Dokumentarfilm Antworten auf diese Fragen zu finden. Der Arbeitstitel: The Story of Technoviking.