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Yucca Mountain soll Atomlager werden

Unsere Mutter Erde gibt uns Nahrung. Sie versorgt uns mit Luft und Wasser. Wasser ist Leben, wir müssen dafür beten. Alles Wasser kommt aus der Mutter Erde, es ist ihr Blut. Wie die Tränen, die unsere Wangen hinunterrollen. Wir haben nur einen Planeten. Besser wir tragen Sorgen für ihn.

Von Michael Marek |
    Corbin Harney ist spiritueller Führer der Western-Shoshone, einem Indianerstamm, der in den kalifornischen Wüsten- und Steppengebieten zu Hause ist. Harney singt in der Sprache seines Volkes. Seit Jahrhunderten haben seine Vorfahren in dieser für uns menschenfeindlich scheinenden Gegend überlebt. Und wenn Harney die überlieferten Texte rezitiert und dabei betet, dann fassen sich seine Stammesmitglieder einander bei der Hand und bilden einen Kreis um ihn. Hier, am Yucca Mountain, dem heiligen Berg der Shoshonen, hat Harney schon viele Male vom Leben der Tiere erzählt und seine Zeremonien abgehalten. Und er gibt sie weiter, so wie er sie von seinen Ältesten erfahren hat.

    "Wir sind hier am Yucca Mountain, wo die Shoshonen zusammenkommen, um zu beten - für die Mutter Erde, die Pflanzen, die Tiere, alle Lebewesen. Für sie ist es wichtig, von uns zu hören, denn sie leben hier mit uns zusammen. Sie haben uns beschützt seit dem Anfang der Welt. Aber sie verschwinden mehr und mehr, weil es soviel Verstrahlung gibt durch das Atomtestgebiet. Wir versuchen diesen Unsinn zu beenden, dass die Erde vergiftet wird, das Wasser, die Luft und die Nahrung."

    Seit Jahrzehnten demonstrieren Harney und seine Stammesangehörigen gegen das weltweit erste Endlager für hochradioaktiven Atommüll. 160 Kilometer nordwestlich von Las Vegas entsteht im US-amerikanischen Bundesstaat Nevada eine Nuklearmüll-Gruft. Dafür hat das US-Energieministerium einen Probestollen in den Yucca Mountain treiben lassen. Ab 2010 sollen hier abgebrannte Brennstäbe aus Atomkraftwerken und anderer radioaktiver Abfall eingelagert werden. 77.000 Tonnen Uran in Spezialcontainern verpackt, geschützt vor Umwelteinflüssen und Nuklearterroristen:

    Man verlässt Las Vegas auf dem Highway 95, und dann sind es etwa 100 Meilen bis zum Yucca Mountain. Es gibt zwei Ausfahrten, über die man den Yucca Mountain erreichen kann: die eine liegt am Eingang zum Nevada Testgebiet. Oder man fährt weiter auf dem Highway 95 bis zu einem Ort, der Lathrop Wells heißt. Wir sind hier ziemlich weit draußen, und es ist eine dünn besiedelte Gegend.

    Patrick Rowe arbeitet seit 25 Jahren als wissenschaftlicher Angestellter für das Energieministerium - jene Behörde, die verantwortlich ist für das Yucca Mountain-Projekt. So nennt die Regierung offiziell das geplante 58 Milliarden Dollar teure unterirdische Endlager:

    Geschäftig geht es hier zu, aber nicht hektisch. Von einer Diesellok gezogen rattert ein Zug mit Wissenschaftlern und Arbeitern über die Schmalspurschienen in das Berginnere.

    Vor einer Werkshalle der Anlage treffe ich Luis, Frank und Erik. Drei Minenarbeiter aus Las Vegas. Sie nehmen die weite, zweistündige An- und Abreise zum Yucca Mountain in Kauf, weil sie froh sind, überhaupt einen Job bekommen zu haben.

    "Wie lange arbeiten Sie hier schon?"

    "Seit 1995. "

    "Ist es anstrengend hier zu arbeiten?"

    "Nein, ich wusste, was mich erwartete, deshalb war es nicht allzu schwierig für mich. Ich habe schon in verschiedenen Minen gearbeitet."

    "Sind Sie stolz darauf hier zu arbeiten, "

    will ich wissen:

    "Oh, ja! Ich bin sehr stolz darauf, Teil des neuen Projekts zu sein, bei dem man versucht, die Abfälle zu lagern.""

    Ich frage, ob ein Endlager hier im Yucca Mountain überhaupt notwendig sei.

    "Ja, klar, sehr notwendig."

    "Hier ist es der Atommüll sicher. Wir brauchen einen Ort, wo wir das ganze Zeug lagern können, der auch bei einem Terrorangriff zuverlässig ist. Wir brauchen den sichersten Ort, und der Yucca Mountain ist ein gut bewachter Berg."

    Am Horizont erkennt man die Umrisse eines Vulkans. Es ist still hier. Eine trügerische Idylle, denn der Yucca Mountain liegt in der Nevada Test Site, dem Atomtestgelände der USA. Zur Zeit des Kalten Krieges wurden in dieser Einöde die ersten Atombomben der Vereinigten Staaten erprobt. Im Augenblick sind etwa 1.500 Menschen mit den Vorarbeiten für das Atommülllager betraut: Ingenieure und Wissenschaftler, Minenarbeiter und PR-Leute, die Werbung für das Endlager machen sollen. Denn das Yucca Mountain Projekt ist umstritten:

    "
    Ich bin 100 Prozent dagegen, 1.000 Prozent, 10.000 Prozent, ich bin 76.000 Prozent dagegen."
    Oscar Goodman ist Bürgermeister der Spieler- und Wüstenmetropole Las Vegas:
    "

    76.000 Atommülltransporte gehen quer durch die USA, deshalb sage ich: Ich bin 76.000 Prozent dagegen. Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um das zu stoppen. Der Berg steht auf einer Erdbebenzone. Diejenigen, die aus dem Yucca Mountain ein atomares Endlager machen wollen, haben nicht die Sicherheitsstandards eingehalten, die im Kongress beschlossen wurden. Wenn der Atommüll eine sichere Angelegenheit ist, dann kann er ja dort liegen bleiben, wo er ist, aber bringt mir das Zeug nicht in meinen Hinterhof!"

    Niemand wolle das Atomklo haben, sagt der Demokrat, Bürgerrechtler und ehemalige Strafrechtsverteidiger. Und Goodman steht nicht allein. In ganz Nevada regt sich Protest gegen das geplante Endlager. Eine große Koalition aus Bürgerinitiativen, Politikern, Wirtschaftsverbänden und Umweltgruppen hat sich mit Corbin Harney und den Shoshonen zusammengefunden:

    Erst kürzlich hat auch der neue US-Energieminister Samuel Bodman den zerklüfteten Bergkamm aus Vulkangestein als Endlager empfohlen. Die Bush-Regierung hält die Sicherheitsrisiken für gering und verteidigt das Projekt mit seinem Standortvorteil: Der Yucca Mountain liegt in der Wüste. Abgeschirmt hinter Stacheldraht und elektronischen Sicherheitszäunen. Präsident George W. Bush ist entschlossen, das milliardenteure Endlager für die Ewigkeit per Gesetz durchzusetzen. Denn die Abklingbecken für abgebrannte Brennstäbe aus den US-amerikanischen Atomkraftwerken werden schon bald gefüllt sein. Ein Endlager müsse her, das sei ökonomischer und sicherer als die aufwändige Zwischenlagerung, sagt die Regierung. Derzeit gibt es 103 Atomkraftwerke an 75 Standorten. 50 neue Reaktoren sollen bis zum Jahre 2020 zusätzlich gebaut werden. Die Bush Regierung setzt auf Atomenergie und muss gleichzeitig die Altlasten unterbringen:

    "Yucca Mountain lässt sich am besten beschreiben als unterirdisches Parkhaus für Metallbehälter, in denen so lange Müll gelagert wird, bis die Behälter zu rosten anfangen und der Müll ausläuft."

    Steve Frishman ist Geologe und arbeitet als unabhängiger Sachverständiger. Unter anderem berät er den Gouverneur von Nevada. Frishman kennt den Berg in- und auswendig, hat ihn selbst miterforscht. Sein Befund: Der Yucca Mountain ist eine Zeitbombe. Der Berg gehört zu einer aktiven Vulkanzone. Im Umkreis von 80 Kilometern wurden in den letzten 20 Jahren über 600 Beben mit einer Stärke von mehr als 2,5 auf der Richter-Skala registriert. Dass dabei auch ausgerechnet die Außenstelle des US-Energieministeriums mit einem Laborgebäude in Trümmer gelegt wurde, entbehre nicht der Ironie, kommentiert Frishman süffisant.

    Das Energieministerium habe diese Fakten aber nicht zum Anlass genommen, den Standort aufzugeben, so Frishman, sondern die Sicherheitskriterien für den Yucca Mountain kurzerhand gelockert. Obergrenzen für frei werdende Strahlung gelten seitdem nicht mehr innerhalb, sondern erst außerhalb einer 20 Kilometerzone. Das Gestein muss nicht mehr - wie ursprünglich vorgesehen - eine natürliche geologische Langzeitbarriere gegen die Verseuchung des Grundwassers bilden. Stattdessen reiche es, wenn die zur Einlagerung benutzten Castoren den erforderlichen Schutz böten, kritisiert Frishman.

    Wenn Corbin Harney die jahrhundertealten spirituellen Sprechgesänge der Shoshonen anstimmt, dann schwingt darin neben ihrer Melancholie auch die Hoffnung mit, das atomare Endlager vielleicht doch noch verhindern zu können.

    Kürzlich verlangte das US-Repräsentantenhaus sogar wieder nach alternativen Standorten zu suchen. Der Hintergrund: In den Medien wurden Emails mit brisantem Inhalt veröffentlicht. Am Yucca Mountain Projekt beteiligte Wissenschaftler des US-Energieministeriums hatten darin diskutiert, wie man Daten am besten fälschen könne, um die geologische Sicherheit der atomaren Lagerstätte zu untermauern.

    "
    Was ich Dir in meiner Sprache gesagt habe? ,Ihr Leute seid hierher gekommen und glaubt uns helfen zu können. Aber wie wollt Ihr uns helfen?' Das ist die Frage, die ich stelle. Und nun: Gebt mir eine Antwort!"