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Yukio Mishima: "Leben zu verkaufen"
Selbstmord auf Raten

1970 beging der japanische Schriftsteller Yukio Mishima rituellen Selbstmord. Zwei Jahre zuvor war sein letzter Roman "Leben zu verkaufen" erschienen, die rasant erzählte Geschichte eines jungen Mannes, der nach einem gescheiterten Suizidversuch eine ungewöhnliche Annonce aufgibt.

Von Martin Krumbholz |
Der Schriftsteller Yukio Mishima und sein Buch "Leben zu verkaufen"
Yukio Mishima hat ein unterhaltsames Buch über einen Selbstmörder geschrieben. Er selbst beging einen rituellen Suizid. (Verlag Kein & Aber)
Hanio ist ein junger Japaner, der, wie jeder normale Mensch (wir befinden uns im Jahr 1968), morgens die Zeitung liest. Eines Tages rutscht sie ihm unter den Tisch, er bückt sich danach, da erblickt er eine Kakerlake, die sich mit einem Affenzahn unter die gedruckten Zeichen mischt. Hanio hebt die Zeitung dennoch auf und lässt seinen Blick darüber gleiten:
"Doch kaum machte er sich daran zu lesen, als sich nun sämtliche Schriftzeichen in Kakerlaken verwandelten. Sie wandten ihm ihre eklig glänzenden, rotschwarzen Rücken zu und rannten davon. Das ist der Gang der Welt, durchfuhr ihn eine plötzliche Erkenntnis. Und mit dieser Erkenntnis überkam ihn der unweigerliche Wunsch zu sterben."
Selbstmord mit Pointe
Ja, wir sind hier ganz nah bei Kafka, auch wenn sich nicht gleich der ganze erwachende Mensch, sondern lediglich seine Zeitungslektüre in Ungeziefer verwandelt. Hanio, er ist 27, unternimmt einen Selbstmordversuch, welcher scheitert. Dann hat er eine ziemlich aufregende Idee. Er gibt ein Zeitungsinserat auf, das sich im Titel des Romans von Mishima spiegelt: "Leben zu verkaufen". An seiner Wohnungstür bringt er ein Schild an: "Life for sale." Was auch immer Hanio selbst unter dieser Offerte versteht: Man darf durchaus gespannt sein, wie die Leser von Inseraten sie interpretieren.

Der Selbstmordplan ist nicht aus der Welt: Hanio ist erklärtermaßen bereit und gewillt, zu sterben, doch vorher gedenkt er noch etwas Aufregendes zu erleben – irgendetwas mit eifersüchtigen und betuchten Ehemännern am besten. Bedenkt man, dass Yukio Mishima selbst einen rituellen Suizid begangen hat, sollte man sich über das Sujet seines Romans nicht ungehemmt lustig machen, aber sehr ernsthaft geht der Autor damit keineswegs um.
Die Geliebte, ein Vampir
Die Story entbehrt nicht trivialer Züge, naturgemäß ist reichlich Sex im Spiel, und aufgebaut ist das Ganze nach einem lupenreinen Cliffhanger-Prinzip: Am Ende jedes der 55 kurzen Kapitel öffnet sich wie in einem Adventskalender für jung gebliebene Erwachsene ein Türchen, das eine neue Wendung des Plots erhoffen lässt:
"'Haben Sie schon einmal Blut gespendet?', fragte die Frau. Ihre Augen funkelten im Schein der Flammen."
Und Cut. Das ist so ein typischer Kapitelschluss: Bei der zitierten Frau handelt es sich um einen Vampir. Anämisch wie sie ist, saugt sie Hanio beim Liebesspiel das Blut aus den Venen – schließlich hat sie sein Leben gekauft und jedes Recht dazu. Hanio allerdings, seinen Beteuerungen zum Trotz, will und will nicht sterben, er überlebt noch die unwahrscheinlichsten Abenteuer, man fühlt sich geradezu an einen japanischen 007-Agenten erinnert. James-Bond-like fällt denn auch seine Beziehung zu Frauen ausgesprochen kennerisch aus. Bei ihrer Beschreibung und Klassifizierung entwickelt Mishima eine beeindruckende Fantasie:
"Die Brüste machten einen gesunden Eindruck und ragten sanft wie alte Grabhügel in die Höhe."
Leben wie eine saure Gurke
Mit einem Wort, um große Literatur wie bei dem kürzlich neu übersetzten Ideenroman "Der goldene Pavillon" handelt es sich hier, umgeben von Grabhügeln, eher nicht. "Leben zu verkaufen" ist flotte, gut gemachte Unterhaltungsliteratur mit einigen nachdenklichen Einsprengseln:
"Hanio war schon lange nicht mehr in der Innenstadt gewesen. Hier war vom Tod keine Spur. Die Menschen badeten in der Lake ihres gewöhnlichen Lebens, sie reichte ihnen bis zum Hals, ihr ganzes Leben war gleichsam in Lake eingelegt. Und ich bin eine saure Gurke, dachte Hanio. Saure Gurken verzehrte man als Beilage zu einem Glas Bier oder Wein. Mit den täglichen Mahlzeiten hatten saure Gurken nichts zu tun."
Hanio betrachtet sich als einen Ausnahmemenschen, gerade deshalb behauptet er so hartnäckig, sterben zu wollen, und die Pointe des Buchs besteht darin, dass der Held, dieser japanische 007, dem Tod mit Mut und Geschick immer wieder von der Schippe springt. Leider ist Yukio Mishima mit diesem Roman nicht sehr gründlich in die Realität eingedrungen, das Adventstürchenprinzip seiner Dramaturgie scheint ihn daran zu hindern. Wer sich als Leser gern in die eigene Pubertät zurückbeamt, könnte dennoch einen gewissen Gefallen daran finden.
Yukio Mishima: "Leben zu verkaufen"
aus dem Japanischen von Nora Bierich
Verlag Kein & Aber, Zürich. 240 Seiten, 22 Euro.