Yuriko Koike hat gerade erst den Raum betreten, da ist die Stimmung schon nicht mehr angespannt. Eben noch war das holzvertäfelte Besprechungszimmer im Tokioter Rathaus voll mit nervös wartenden Personen. Neben dem Reporter aus Deutschland sind dies eine gute Handvoll Mitarbeiter, die gleich Notizen machen und die Zeit stoppen werden.
Die Tokioter Gouverneurin bricht mit dieser Ernsthaftigkeit. Zum Gruß streckt sie einen Ellbogen nach vorne, lächelt sichtbar durch ihre Maske hindurch und sagt auf Deutsch "Guten Morgen."
Dann beginnt sie ungefragt von den Olympischen Spielen zu plaudern: "Es ist wirklich toll, dass unsere Softballerinnen das Gold gewonnen haben. Ich hab' ja früher selbst Softball gespielt. Da hab' ich bei unserer Mannschaft besonders mitgefiebert. Aber die ganzen Spiele laufen richtig gut. Und ein Großteil der vielen Medaillen der japanischen Athleten kommen von Frauen. Das ist auch eine gute Nachricht für Japans Sport und für die Vielfalt und Gleichberechtigung in unserem Land."
Als freundlich und weltoffen positioniert
Vielfalt, Geschlechtergleichheit und eine biographische Note. Bevor ihr die erste Frage gestellt wurde, hat sich Yuriko Koike gleich als freundliche, weltoffene Person positioniert. Vielleicht ist es diese Fähigkeit, Leute für sich zu gewinnen, die sie zur mächtigsten Frau in Japan gemacht hat. Seit 2016 ist Koike die Gouverneurin von Tokio und damit de facto die zweitwichtigste Politikerin im Land.
Sie ist die erste Frau im Amt und hält sich ja auch schon einige Jahre, nachdem ihre zwei Vorgänger jeweils schnell nach einem Korruptionsskandal zurücktreten mussten. Dass die 69-jährige Koike noch Premierministerin werden will, hat sie schon öfter angedeutet. Die Frage ist eher, wann sie sich zur Wahl stellt. Könnte das schon bald so weit sein, wenn Japan voraussichtlich im Oktober ein neues Parlament wählt?
Es hängt wohl auch davon ab, wie dieser Sportsommer aus Olympischen und Paralympischen Spielen endet. Die Mehrheit im Land war wegen der Pandemie gegen die Austragung.
Yuriko Koike, die auch schon skeptisch war, sieht jetzt die positiven Seiten: "Wir haben zugesagt, dass wir sichere Olympische Spiele veranstalten wollen. Und das gelingt uns. 80 Prozent der Athleten sind geimpft, alle machen regelmäßig PCR-Tests. Und die Olympiablase hält dicht. Die Infektionszahlen sind auch niedriger als erwartet."
Yuriko Koike, die auch schon skeptisch war, sieht jetzt die positiven Seiten: "Wir haben zugesagt, dass wir sichere Olympische Spiele veranstalten wollen. Und das gelingt uns. 80 Prozent der Athleten sind geimpft, alle machen regelmäßig PCR-Tests. Und die Olympiablase hält dicht. Die Infektionszahlen sind auch niedriger als erwartet."
Täglich Rekordzahlen in Japan
Man mag sich fragen, was die Erwartungen waren. Über 350 Olympiateilnehmer sind mittlerweile positiv getestet worden. Vor allem aber erlebt Japan außerhalb der Olympiablase täglich Rekordzahlen der Neuinfektionen. So hart vom Coronavirus betroffen wie jetzt war das olympische Gastgeberland noch nie.
Unabhängige Gesundheitsexperten haben dies mit den Olympischen Spielen in Verbindung gebracht. Denn auch wenn direkte Ansteckungen ausbleiben mögen, so sende die Durchführung von Olympia inmitten der Pandemie ein Signal an die Bevölkerung: dass die Lage vielleicht doch nicht so ernst sei.
Yuriko Koike bestreitet das: "Ich weiß nicht, wie man zu dieser Einschätzung gelangt. Wir veranstalten diese Spiele in fast jeder Spielstätte vor leeren Rängen. Das sendet doch eine sehr deutliche Botschaft, dass die Lage ernst ist. Wir befinden uns außerdem im Ausnahmezustand und bitten alle, möglichst zuhause zu bleiben. Und die Menschen nehmen das auch an. Sie schauen die Wettbewerbe daheim vorm Fernseher."
Koike versucht vom Sport zu profitieren
Egal, wie diese Spiele ausgehen werden - ob in einem Infektionschaos oder mit einer relativ dichten Blase, die Ansteckungen vermieden hat: vom Ausgang dieses Sportsommers versucht Yuriko Koike politisch zu profitieren. Denn im Gegensatz zur Nationalregierung, die mehr Entscheidungsmacht hat, konnte sie in der Pandemie immer wieder Forderungen stellen.
Koike wollte früher deutliche Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionen. Dann wurde sie mal mit der Idee einer Olympiaabsage in Verbindung gebracht. Und schließlich forderte Koike den Ausschluss von Publikum in den Spielstätten. Aber jetzt, wo Olympia läuft, gibt sie sich wie natürlich als Botschafterin. Denn Tokio solle noch lange etwas von diesen Spielen haben: "Dies sind die zweiten Olympischen Spiele, die Tokio veranstaltet. Bei den ersten im Jahr 1964 brachten sie ganz Japan neue harte Infrastruktur: Den Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen zum Beispiel. Und jetzt, 57 Jahre später, wird die Hinterlassenschaft eine ganz andere sein. Heute erleben wir eine düstere Zeit mit dieser Pandemie. Aber die Olympischen Spiele sollen den Menschen in dieser Zeit auch eine Freude bereiten. Aber es werden deshalb auch unvergessliche Spiele."
Politisch konservativ
Politisch gehört Yuriko Koike zu Japans Konservativen, war in der nationalen Politik zuerst Umweltministerin und dann Verteidigungsministerin, ehe sie sich mit dem damaligen Premierminister Shinzo Abe überwarf. Als unabhängige Kandidatin brachte es die ehemalige Fernsehsprecherin auch deshalb zur Regentin der Hauptstadt, weil sie eloquent ist – einige sagen: populistisch. So könnte Koike als erste Frau dem eher unbeliebten Premierminister Yoshihide Suga gefährlich werden – auch wenn sich die beiden eher rhetorisch als inhaltlich unterscheiden.
Auf die Frage, was Koike in dieser Pandemie und dem Olympiasommer gelernt hat, bezieht sich ihre Antwort auffällig auf ganz Japan statt nur auf ihr derzeitiges Zuständigkeitsgebiet Tokio. Und es nennt vor allem Buzzwords: "Wir müssen unser Gesundheitssystem neu denken. Und die Arbeit im Homeoffice vorantreiben. In Japan arbeiten wir überhaupt zu viel. Um daran etwas zu ändern, brauchen wir natürlich eine digitale Transformation. Außerdem müssen wir beim Klimawandel vorankommen. Tokio ist während der Olympischen Spiele übrigens durch CO2-Offsetting klimaneutral!"
"Unvergesslich" werden diese Spiele, sagt die Gouverneurin. Vielleicht wird dies vor allem auf Yuriko Koikes Politikkarriere zutreffen. Sie hat jedenfalls alles dafür getan, aus den Olympischen Spielen Kapital zu schlagen.