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Yuval Hararis Selbstzensur
Ersetze Putin durch Trump

Der israelische Historiker Yuval Harari hat sein Buch "21 Lektionen für das 21. Jahrhundert" für die Veröffentlichung in Russland verändert: Die Kritik an Putin hat er gegen Kritik an Trump ausgetauscht. Thomas Franke findet, mit den Veränderungen habe sich Yuval Harari völlig unglaubwürdig gemacht.

Von Thomas Franke |
Der Historiker und Bestseller-Autor Yuval Noah Harari auf einer Bühne, im Hintergrund weiße Sätze auf schwarzem Grund mit Fragen wie "Where to live", "What to learn" und Ähnlichem.
Große Fragen - Der Historiker Yuval Noah Harari ist selten um eine Antwort verlegen (PA/dpa/MAXPPP/Li Sanxian/VCG)
Hut ab! Das ist schon die ganz hohe Schule der Zensur, wenn sich unabhängige ausländische Autoren selbst zensieren.
Russische Journalisten würden entweder Orden der Regierung annehmen oder frustriert Wodka trinken, hat der Präsident der Glasnost-Stiftung, Aleksej Simonow, die Folgen der heutigen Selbstzensur in Russland mal auf den Punkt gebracht.
Yuval Harari hat sich offensichtlich für den Orden entschieden, als er für die russische Version seines Buches "21 Lektionen für das 21. Jahrhundert" die Absätze (*) mit der Kritik an Putin gegen Kritik an Trump ausgetauscht hat.
Unterstützung der russischen Propaganda
Er leistet damit der von der Propaganda verbreiteten Lüge Vorschub, der Westen und seine Demokratien hätten abgewirtschaftet, Putin hingegen sei ein Kämpfer für europäische Werte, für Humanismus und gegen den Faschismus.
Harari sagt, er habe den Änderungen zugestimmt, damit sein Buch in Russland erscheinen könne. Aber warum hat er nicht wenigstens darauf bestanden, beides drin zu lassen? Und warum enthält er seinem westlichen Publikum die Kritik an Trump vor? Nimmt er auch hier Rücksicht? Harari hat sich völlig unglaubwürdig gemacht.
Wie soll die russische Öffentlichkeit noch erfahren, was in ihrem Land läuft, wenn westliche Publizisten und Künstler sich einem Diktat unterwerfen, das sie in ihren Heimatländern nie akzeptieren würden, ja, das sie mit aller Kraft bekämpfen würden? Oder wäre Harari da vielleicht nicht dabei? Überwiegt hier am Ende vielleicht schlichtweg Profitstreben?
Ja, "21 Lektionen für das 21. Jahrhundert" sollen in Russland erscheinen. Keine Frage. Aber nicht um jeden Preis.
Fatales Signal
Hararis Entscheidung, sich selbst zu beschränken, ist ein fatales Signal an alle in Russland, die sich täglich dem Risiko aussetzen, aus fadenscheinigen Gründen verhaftet oder schikaniert zu werden.
Niemand kann in Russland die Folgen seines eigenen öffentlichen Handelns absehen. Da wird jemand mit drei Followern auf Facebook wegen seiner Äußerung zur Ukraine verhaftet und angeklagt. Zugleich sind bei Putins alljährlicher Bürgersprechstunde, immerhin live im Fernsehen übertragen, plötzlich erstaunlich kritische Fragen möglich. Der Effekt ist Verunsicherung. Besonders bei Kreativen, Publizisten, Wissenschaftlern.
Schwammige Gesetze über die Verletzung religiöser Gefühle, respektlose Äußerungen gegen Staat oder für Homosexualität sorgen dafür, dass Angstmechanismen zurück sind und Bürger sich selbst beschränken.
Harari ist schwul. Er hat sich in der Originalversion seines Buches bei seinem Ehemann für dessen Unterstützung bedankt. Nun reagiert er empört, dass in der russischen Version nur noch das Wort "Partner" steht. So ist das, wenn man sich auf das Diktum eines auch homophoben und religiösen Regimes einlässt. Hier war es der Verlag, der Selbstzensur übt. Und es zeigt, dass jeder, der mit Sprache umgeht, im Russland von heute niemandem mehr vertrauen kann. Jede Übersetzung muss dringend rückübersetzt werden. In Russland wird aus Krieg in der Ukraine schnell eine Krise der Ukraine und aus der Annexion der Krim eine Reintegration.
Vielleicht ist Harari jetzt klar geworden: Die Schere im Kopf ist die Klinge an der Pulsader der Freiheit.
(*) Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung war hier von "Kapitel" die Rede. Hararis deutscher Verlag C.H.Beck wies darauf hin, dass es sich lediglich um Absätze innerhalb des Kapitels "Fake News" handelt.