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Zaha Hadids letztes Meisterwerk
Ein 60-Millionen-Bahnhof - ohne Zweck

Der letzte Bau von Stararchitektin Zaha Hadid ist ein Meisterwerk. Die Fans staunen über den gigantischen Bahnhof von Afragola im Hinterland Neapels. Einziger Haken: Kaum eröffnet, wird das 60 Millionen Euro teure Kunstwerk schon gar nicht mehr gebraucht.

Von Thomas Migge |
    Blick auf den Bahnhof Afragola im Hinterland Neapels, im Vordergrund eine Straße.
    Der Bahnhof Afragola im Hinterland Neapels, gebaut von der Stararchitektin Zaha Hadid (Thomas Migge)
    Wieder ein Mord. Vor wenigen Tagen wurde in seinem Wagen ein 72-jähriger Mann kaltblütig erschossen. Die Polizei ermittelt, wieder einmal. Und wieder einmal lautet der Verdacht auf Mafia, auf Verstrickungen mit der organisierten Kriminalität. Es vergeht nur selten ein Monat in Afragola, ohne dass geschossen wird, ohne dass lokale Bosse und ihre Helfershelfer mit gezielten Schüssen ihre Probleme zu lösen versuchen.
    Es gibt sogar lokale Popsänger, die in ihren Songs die Camorrakriminalität in Afragola verherrlichen. Afragola: ein Name, ein Ort, den man sich merken sollte. Nicht nur als Warnung in Sachen Kriminalität, sondern jetzt auch in Sachen Architektur.
    Die britisch-irakische Stararchitektin Zaha Hadid im von ihr entworfenen Museum Maxxi in Rom
    Die britisch-irakische Stararchitektin Zaha Hadid im von ihr entworfenen Museum Maxxi in Rom (dpa picture alliance / Maxppp Frustaci / Eidon)
    Mit dem Regionalzug vom Hauptbahnhof Neapel aus dauert die Fahrt in das nördlich gelegene Afragola rund 40 Minuten. Schon von Weitem ist er dort auf dem flachen Land gut zu erkennen: der neue futuristisch anmutende Bahnhof Afragola - entworfen von niemand Geringerem als der irakisch-britischen Stararchitektin Zaha Hadid. Die überraschend im vergangenen Jahr verstorbene Hadid erhielt 2003 den Zuschlag zum Bau eines neuen Bahnhofs für die damals geplante Superschnellzugstrecke von Nord- nach Süditalien, die so genannte TAV.
    Architekt Roberto Pagone von der staatlichen Bahngesellschaft: "Die wohl wichtigste Charakteristik dieses Bauwerks ist seine organisch-dynamische Form. Es handelt sich um das letzte von Zaha Hadid betreute Bauwerk. Das ist ein Bahnhof, der in die Architekturgeschichte eingehen wird."
    Afragolas Bahnhof ist ein faszinierendes Spiel mit Raum
    Das ist nicht übertrieben. Das von Hadid entworfene Projekt wirkt auf den ersten Blick verblüffend simpel: Ein rund 500 Meter langes und weißes Betonband, das schräg über der Bahnlinie liegt, dass sich bis zu 40 Meter hoch über den Gleisen erhebt. Der Bahnhof bietet auf vier Ebenen etwa 40.000 Quadratmeter überdachte Fläche. 5.000 Quadratmeter groß sind die eindrucksvollen Verglasungen. Im Innern entwickeln sich die Räumlichkeiten ähnlich wie in Hadids römischem Museum für zeitgenössische Kunst, Maxxi, eines der Hauptwerke ihre Karriere: lange schlangenartige und untereinander verbundene Korridore führen von einem Ende des Bahnhofs zum anderen. Ein faszinierendes Spiel mit dem Raum, meint die römische Architekturhistorikerin Margerhita Guccione:
    "Dieser Bahnhof ist schon deshalb absolut innovativ für einen solchen Zweckbau, weil auch er die sehr persönliche Handschrift von Hadid trägt. Auch in Afragola verfolgte sie ein Ziel: weg von der konventionellen Bahnhofsform, hin zu neuen Lösungsansätzen."
    Wie beim römischen Maaxi orientierte sich Hadid auch im neapolitanischen Hinterland an der Formensprache der figurativen Kunst. Vor allem des abstrakten Suprematismus, dem sich Zaha Hadid nach eigenem Bekunden verpflichtet fühlte. Der neue Schnellzugbahnhof bei Afragola ist ein Muss für Freunde zeitgenössischer Architektur.
    Hier hält kein Superschnellzug
    Doch mit einem Schnellzug lässt sich das mehr als 60 Millionen Euro teure Baukunstwerk nicht anfahren. Afragola ist überflüssig geworden: Die Staatsbahnen lassen hier keine ihrer Superschnellzüge anhalten. Das 2003 mit Pauken und Trompeten verkündete Bahnprojekt wurde in der Zwischenzeit ad acta gelegt.
    Der Bund der Steuerzahler ist außer sich - und der regionale Rechnungshof, dessen Präsident Michele Oricchio ist, ermittelt:
    "Mir scheint, dass dieses außerordentliche Bauwerk so gut wie unnütz ist. Der Bahnhof ist viel zu gigantisch für den jetzt hier abzuwickelnden Zugverkehr."
    Unnütz, zu teuer, mit schlechter Verkehrsanbindung und dazu auch noch in kriminellem Umfeld. Und doch sollte man die von Neapel aus etwas aufwändige Anreise in Kauf nehmen. Der Besuch des letzten Meisterwerks von Zaha Hadid lässt Strapazen schnell vergessen.