Bildung
Zahl der Studenten im Fach Islamwissenschaft eingebrochen - Professorin Pink vermutet verschiedene Gründe

An deutschen Hochschulen schreiben sich immer weniger junge Menschen im Fach Islamwissenschaft ein. Professorin Johanna Pink von der Universität Freiburg sieht dafür verschiedene Gründe.

02.07.2024
    Buchrücken von vier Bänden der Encyclopaedia of Islam
    Standardwerk der Arabistik und der Islamwissenschaft: Encyclopaedia of Islam (dpa-Zentralbild / Matthias Toedt)
    Im Wintersemester 2014/2015 hatte die Islamwissenschaft nach Angaben des Statistischen Bundesamts noch knapp 2.500 Studenten. Acht Jahre später, im Wintersemester 2022/23, waren es nur noch gut 1.200, also weniger als die Hälfte, während sich etwa 1.100 Studierende für Islamische Theologie beziehungsweise Islamische Studien entschieden hatten - ein Fach, das 2014/2015 noch gar nicht in der deutschen Statistik auftaucht.
    Die Islamwissenschaft ist bekenntnisneutral, die Islamische Theologie untersucht den muslimischen Glauben dagegen aus einer religiösen Perspektive. Eine naheliegende These wäre bei flüchtigem Blick auf die Daten, dass der starke Rückgang der Studenten im Fach Islamwissenschaft auf das neuere Fach Islamische Theologie zurückgeht.
    Die Freiburger Islamwissenschaftlerin Johanna Pink warnt indes vor einer einseitigen Betrachtung. Sie sei "nicht sicher", ob dies tatsächlich der wichtigste Grund für die Entwicklung ist, sagte Pink im Deutschlandfunk. Noch gebe es keine verlässlichen Studien zur zahlenmäßigen Entwicklung ihres Faches. Doch es zeige sich bereits, dass der Trend keineswegs auf Deutschland begrenzt sei, wie Kollegen aus dem angelsächsischen Raum bestätigten.

    "Orchideenfächer" unter Druck

    Überdies stünden auch andere kleine Fächer innerhalb der Geisteswissenschaften "ganz massiv unter Druck". Dass das Interesse an Islamwissenschaften bei Studenten besonders deutlich zurückgehe, könne einerseits tatsächlich mit der fachlichen Konkurrenz durch die Islamische Theologie zu tun haben. Andererseits gebe es eine weitere wichtige Ursache: Die Vergleichszahlen im Zeitraum vor acht bis zehn Jahren spiegelten keinen langjährigen Durchschnittswert wider, sondern bildeten einen Höhepunkt bei der Nachfrage ab.
    In den 80er und 90er Jahren sei die Islamwissenschaft noch ein echtes "Orchideenfach" gewesen. Einen ersten Anstieg habe man nach den Anschlägen vom 11. September 2001 beobachten können. Ein Jahrzehnt später habe es einen weiteren Schub gegeben, da der Islam in der Bundesrepublik Thema vieler Debatten gewesen sei. Und von 2015 an habe das Interesse noch einmal zugenommen - zu einer Zeit, als viele Flüchtlinge aus islamisch geprägten Staaten nach Deutschland gekommen seien. Inzwischen könne man wieder einen Rückgang beobachten. Besonders seit der Corona-Pandemie zeige sich der Einbruch bei den Zahlen, sagte die Professorin am Orientalischen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

    "Extrem forschungsstarkes Fach"

    Vor diesem Hintergrund lasse sich nicht ausschließen, dass auch die Zahl der Professuren im Fach in den kommenden Jahren zurückgehe. Man müsse aber im Blick behalten, dass Universitäten "keine reinen Ausbildungsbildungsbetriebe" seien, betonte Pink. Dies gehe in der Auslastungsdebatte zu sehr unter. Die Islamwissenschaft als "extrem forschungsstarkes Fach" spiele eine herausragende Rolle bei vielen interdisziplinären Fragestellungen, die sich allein aus einer eurozentrischen, auf die christlich-abendländische Kultur beschränkten Perspektive "nicht mehr adäquat untersuchen" ließen.
    Die gesellschaftliche Relevanz sei somit unbestritten. Zudem bestehe ein hoher Bedarf an Absolventen, etwa im Journalismus und in den Sicherheitsbehörden, in der politischen Bildung oder in der Entwicklungszusammenarbeit. Nicht zu unterschätzen seien auch die Möglichkeiten, die sich allein aus den Sprachkenntnissen ergäben, welche im Studium der Islamwissenschaft erworben werden - in der Regel Arabisch, Persisch und Türkisch.
    Wenn sich heutige Studienanfänger mehr als früher schon bei der Fächerwahl um ihre berufliche Zukunft sorgten, schneide die Islamwissenschaft somit oft zu Unrecht schlechter ab. Wer gerade das Abitur in der Tasche habe, erkenne dies vielleicht noch nicht, sagte die Lehrstuhlinhaberin. "Und dann entscheidet man sich eher für ein Fach, bei dem man denkt, das ist sicher, da weiß ich, dass ich damit Geld verdienen kann."
    Diese Nachricht wurde am 02.07.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.