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Zahlenmaterial zum Reizthema Praktikanten

Nach den Informationen des Deutschen Gewerkschaftsbundes ist sie die erste wissenschaftliche Erhebung zum Thema Praktikum. Das von der Freien Universität Berlin erstellt Zahlenmaterial ermöglicht erstmals einen Einblick, wie oft und wie lange junge Menschen nach dem Hochschulabschluss sich als Praktikanten verdingen.

Von Markus Rimmele | 01.02.2007
    Die Zahlen der Studie bestätigen auf beeindruckende Weise einen Trend: Der Übergang vom Studium ins Arbeitsleben wird fließender. Fast 40 Prozent aller Hochschulabsolventen, so das Ergebnis der Untersuchung, schließen an ihr Studium ein Praktikum an, elf Prozent sogar noch ein zweites. Dieter Grühn von der Freien Universität hat die Studie verfasst:

    "Das handelt sich um ein neues Phänomen. Wir haben auch in einer Studie vor einigen Jahren einen Jahrgang untersucht, der hat im Jahr 2000 Examen gemacht. In dieser Zeitspanne hat sich der Anteil von Praktika nach dem Studium erhöht. Es ist eigentlich eine Form verdeckter Arbeitslosigkeit. Denn doch beinahe die Hälfte dieser Praktika werden auch unbezahlt durchgeführt."

    Und noch mehr Zahlen: Praktika sind vor allem ein weibliches Phänomen. 44 Prozent der Absolventinnen gehen in ein Praktikum, hingegen nur 23 Prozent der Männer. In Studienfächer unterteilt betrifft der Trend vor allem die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften. Anzutreffen sind Praktikanten besonders häufig in den Medien, im Kulturbereich und in der außerschulischen Bildung. Es handelt sich dabei keineswegs um kurze Schnupperbesuche. Bezahlte Praktika dauern im Schnitt sechs Monate, unbezahlte fünf Monate, jede vierte Hospitanz erstreckt sich über mehr als ein halbes Jahr. Die Studie, das sei nicht unerwähnt, basiert auf 500 ausgefüllten Fragebögen von Absolventen in Köln und Berlin, ist somit nicht repräsentativ. Eine Tendenz aber lässt sich aus ihr ablesen. Praktika sind zum ganz normalen Zwischenschritt geworden.

    "Wenn man jetzt alle Praktika zusammen nimmt, so sind es ein Drittel der Absolventen, die darüber eine Beschäftigung im Anschluss finden. Das heißt aber auch, dass zwei Drittel es wirklich nur als eine Praxisphase empfinden, um sich selbst zu vergewissern, was kann ich und wer bin ich und so weiter. Eigentlich sollte doch diese Lernphase mit dem Studium abgeschlossen sein."

    Ist sie aber offensichtlich nicht. Besonders fragwürdig wird die Entwicklung, wenn Praktika erst gar nicht dem Lernen oder dem Berufseinstieg dienen. Praktikanten schuften häufig als schlecht oder gar nicht bezahlte Vollzeitarbeitskräfte und werden dann wieder weggeschickt. Gegen diese Ausbeutung muss die Politik vorgehen, fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund, der die Studie gefördert hat. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ingrid Sehrbrock:

    "Wir wollen jetzt, dass eine Anhörung zu diesem Thema im Bundestag stattfindet, damit die Problematik noch einmal deutlicher wird. Das ist das eine. Das Zweite ist, wir finden, dass Praktika befristet sein müssen. Das muss möglicherweise auch gesetzlich geregelt im Berufsbildungsgesetz: drei Monate, ordentliche Vergütung. Und es soll auch eine echte Lernphase sein. Es soll auch jemand dabei sein, der diese jungen Leute begleitet. Wir wollen aber auch, dass sich die Betriebsräte stärker um dieses Thema kümmern. Und die Tarifpartner müssen sich dieser Frage annehmen."

    Selbstverpflichtungen, so Sehrbrock, reichen als Instrument offensichtlich nicht aus. Verschiedene Initiativen haben sich zu diesem Zweck in den letzten Jahren gegründet. So hat etwa der Art Directors Club Deutschland für die besonders berüchtigte Werbe- und Kreativbranche ein Praktikanten-Garantieheft herausgegeben mit bestimmten Grundregelen für den Ablauf eines Praktikums. Weiteres Beispiel: Die Kampagne "Fair Company" des Magazins Karriere vergibt Gütesiegel an Firmen, die bei Praktika Mindeststandards einhalten. Dorothee Fricke koordiniert die Kampagne. Angesichts der neuen Zahlen ist für sie jetzt der Zeitpunkt gekommen, dass die Absolventen selbst gegensteuern.

    "Es ist wichtig, dass unter den Absolventen da wieder ein neues Selbstbewusstsein entsteht, dass denen klar ist, wenn ich nach dem Studium noch ein Praktikum mache, dann mache ich das ganz gezielt und weil ich mich vielleicht noch mal ganz neu orientieren möchte. Aber ich lasse mich nicht, wenn ich zum Beispiel BWL-Absolvent bin und schon zwei, drei Praktika im Marketing gemacht habe, auf noch ein weiteres Praktikum im Marketing ein. Und da stehe ich dann auch mit mehr Selbstbewusstsein da. Da ist, glaube ich, jetzt eine ganz wichtige Aufbauarbeit gefragt."

    Und Sensibilisierung. Die Studie zeigt nämlich auch, dass die meisten Absolventen weniger empört über ihren Status sind als Gewerkschaften und Kampagnenmacher. Sie haben sich mit dem Praktikum nach dem Studium abgefunden. Vielleicht liegt es auch an den guten Aussichten. Denn immerhin: Dreieinhalb Jahre nach Studienende sind unter den Befragten nur vier Prozent arbeitslos.