Beatrix Novy: Die drei Samwer-Brüder Alexander, Oliver und Marc kommen aus der Generation, die ihre Namen schon verraten, sind also jüngeren Datums, und deshalb wissen sie auch, wie das Käuferhirn heute funktioniert. Und Erfolg haben sie mit ihrem Internet-Handel Zalando ja auch gehabt. Heute ist Zalando an die Börse gegangen, viel beachtet. Rocket Internet, ebenfalls eine Samwer-Gründung, folgt morgen. Das ist eine Gelegenheit, über Wirtschaftspersönlichkeiten und die veränderte Kultur des Konsums ein bisschen zu sprechen. Oliver Samwer pflegt ein sehr aggressives Image. Den Veteranen des Einzelhandels hat er kürzlich seine These, dass ihre Zeit vorbei sei, regelrecht um die Ohren gehauen. - Frage an Christoph Lüttge, Wirtschaftsethiker an der TU München: Ist das eine Masche, oder ist das Überzeugung?
Christoph Lüttge: Das Verhalten ist zunächst mal eines, was die Etablierten in dem Markt vor den Kopf stößt, was eine Provokation ist und was auch erst mal ein Signal nach außen ist, um wahrgenommen zu werden. Ich glaube, wir haben viele Beispiele davon, etwa in den USA oder in anderen Ländern, und wir haben das durchaus jetzt auch hier. Ich bin durchaus der Meinung, das ist auch nicht verkehrt so. Wir brauchen dynamische Unternehmerpersönlichkeiten, auch wenn uns die vielleicht nicht immer von ihrer Persönlichkeit her gefallen mögen. Ich meine, wir verlangen ja auch nicht von einem Unternehmer, dass er ein Bild malen kann oder ein Klavier spielen kann, sondern wir wollen, dass er etwas schafft oder sie etwas schafft und auch Menschen dadurch Arbeit gibt, Steuern zahlt und anderes mehr. Ich glaube, in der Hinsicht sind das durchaus auch sehr positive Beispiele.
Novy: Würden Sie ihn dann auch mit solchen, inzwischen kultisch gewordenen Unternehmerpersönlichkeiten wie Steve Jobs oder Bill Gates in eine Reihe stellen?
Lüttge: Mit Steve Jobs vielleicht, wobei sicherlich die Innovationen, die Steve Jobs hatte, die sind natürlich bedeutend. Das was hier gemacht wird, ist zum Teil auch Innovation. Ja, insofern würde ich es durchaus vergleichen.
Novy: Kommen wir mal zum Thema Internet-Handel und Zalando selbst. Noch ein Zitat von Oliver Samwer: „Geschäfte sind Mittelalter. Die wurden nur gebaut, weil es noch kein Internet gab." Das klingt so wie die doch mittlerweile ziemlich alte Klage, beziehungsweise in positiver Form, dass das Internet der Totengräber der Stadt ist. Das hat man vor 20 Jahren schon befürchtet, die Stadt blüht aber trotzdem, und zwar mit Geschäften.
"Die Stadt wird nicht sterben"
Lüttge: Ja, in der Tat. Ich gebe Ihnen vollkommen Recht damit. Die Stadt wird nicht sterben, gerade jedenfalls die großen Städte und deren Innenstädte. An den Kragen wird es durchaus Randlagen gehen, unattraktiven Randlagen insbesondere und diesen Einkaufszentren auf der grünen Wiese. Ich denke, die werden größere Probleme bekommen. Aber gleichzeitig ist es natürlich richtig, dass das Internet sehr, sehr vieles verändert an Konsumgewohnheiten und natürlich vieles verändert auch für die Branchen. Ich glaube, da stehen wir auch erst am Anfang, und ich finde es auch gut, dass das jemand mal auf den Punkt bringt.
Novy: Auf den Punkt bringt in der Form, dass sein eigenes Geschäft dazu beiträgt, das ist aber schon etwas merkwürdig, das so offen zu machen, oder?
Lüttge: Das ist manchmal ein bisschen das Kaufmannsethos, was bei uns noch vorherrscht, man kann zwar erfolgreich sein, aber man sollte es nicht nach außen hin so zeigen und das so sagen. Aber warum muss das eigentlich so sein? Ich glaube, dass wir in der Zeit der Globalisierung vielleicht auch ein bisschen darüber hinwegkommen müssen und auch akzeptieren müssen, dass Menschen erfolgreich sind, die gleichzeitig damit auch hausieren gehen und nicht einfach nur sich verstecken, denn gleichzeitig von dem Image her, was Samwer sich gibt, lebt er sehr diszipliniert und hat einen sehr strikten Tagesablauf und hält seine Meetings zum Beispiel relativ unprätentiös ab. Insofern entspricht er ja durchaus sogar klassischen Kaufmannsidealen, die genau das nämlich auch wollten: keine Prätentiösen.
Novy: Ist das ganz normal, dass jemand von „meinen Ländern" spricht, oder ist es vielleicht historisch etwas unsensibel?
Lüttge: Ja, das ist sicherlich etwas unsensibel und mal so locker und schnoddrig da hergesagt. Wenn man nachfragen würde, würde er sicherlich sagen, das sind nicht allein meine Länder. Aber ich würde das noch mal betonen wollen: Ich finde es auch richtig, dass man sich als Unternehmer als Teil der Gesellschaft versteht.
Novy: Rocket Internet geht morgen an die Börse. Das ist ein Start-up-Portal von Oliver Samwer beziehungsweise den Samwer-Brüdern, das nicht auf das Zalando alte Europa zielt, sondern auf die Schwellenländer, da wo der Konsum noch erst so richtig wächst. Allerdings machen die noch riesige Verluste und man fragt sich dann schon immer wieder - an der Börse ist das nun mal so, aber man fragt es sich doch -, was ist das für eine Psychologie, die in einer derart unberechenbaren Welt so fest auf Fantasien von gewaltigen Umsatzsteigerungen, auf reine Erwartungen also setzt.
Lüttge: Ja, das ist die Aufgabe des Unternehmers oder der Unternehmerin, mit diesen Erwartungen umzugehen, etwas zu schaffen, auch Risiken natürlich auf sich zu nehmen und Visionen zu entwickeln, und nicht jede Vision funktioniert. Viele brechen ein und klappen wieder zusammen und da steckt sehr, sehr viel harte Arbeit dahinter, diese Visionen dann auch umzusetzen. Aber gleichzeitig sind auch Leute bereit, dafür Geld zu geben, für eine überzeugende Vision und für eine glaubhafte Person. Ich meine, die Samwers sind ja auch für viele insofern glaubwürdig, als sie schon andere erfolgreiche Unternehmungen zu Ende gebracht haben, und insofern ist das zumindest etwas, was nicht nur mal so dahingesagt ist. Es ist eine mutige Vision sozusagen und hängt nicht völlig in der Luft oder steht auf tönernen Füßen.
Novy: Das war Christoph Lüttge, Wirtschaftsethiker an der TU München.
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