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ZDF-Dokudrama: "Karl Marx - der deutsche Prophet"
"Der Kapitalismus ist lernfähig"

"Alles was ich weiß: ich bin kein Marxist", sagt Mario Adorf als Karl Marx im ZDF-Dokudrama. Auch 200 Jahre nach seiner Geburt wird sein kapitalismuskritisches Werk kontrovers diskutiert. "Heute fällt uns auf, dass vieles davon mehr oder weniger stimmt", sagte Regisseur Christian Twente im Dlf.

Christian Twente im Corsogespräch mit Sigrid Fischer |
    Filmszene: Karl Marx (Mario Adorf) lässt sich in Algier 1882 von einem Fotografen ablichten.
    Mario Adorf spielt im Dokudrama "Karl Marx - Der deutsche Prophet" die Titelrolle (ZDF und Reda Laaroussi)
    Ein Jubiläum folgt aufs andere dieses Jahr - "100 Jahre Kriegsende", "50 Jahre '68", "200 Jahre Karl Marx". Der wurde am 5. Mai in Trier geboren und ist bis heute einer der umstrittensten Denker und Theoretiker der deutschen Geschichte. Die Bezeichnung "Kommunist" ist bei uns ein Schimpfwort, Kapitalismuskritik nicht mainstreamfähig. Trotzdem wird Karl Marx groß gefeiert: in seiner Heimatstadt mit einer Statue aus China und einer Ausstellung, im ZDF mit einem Doku-Drama. Darin kommen Marx-Experten zu Wort und es gibt Spielszenen mit Mario Adorf als weißbärtigem Karl Marx. Der sagt Sachen wie:
    "Wir sind nicht Eigentümer, nur Nutznießer der Erde, und haben sie nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen. Alles was ich weiß: Ich bin kein Marxist."
    Sigrid Fischer: Christian Twente hat das Dokudrama über Karl Marx gedreht. Und ihn begrüße ich in Dortmund - schönen guten Tag.
    Christian Twente: Schönen guten Tag.
    "Wir können nichts erfinden, was historisch nicht so war"
    Fischer: Ja, ein reiner Spielform sollte es ja offenbar nicht werden - warum nicht?
    Twente: Das ist eine längere Vorgeschichte, glaube ich, die zurückgeht bis 2007, wo Herr Adorf selbst ein erstes Skript geschrieben hat und das als Spielfilm drehen wollte. Also nicht die ganze Lebensgeschichte, sondern insbesondere Karl Marx' Aufenthalt in Algiers, sein Kuraufenthalt da, am Ende seines Lebens. Warum das dann nicht dazu gekommen ist, da gibt es wahrscheinlich viele Gründe, unter anderem hielt man das für zu teuer. Das war sozusagen unser - oder mein - Glücksfall auch, weil er eben so sehr sich auch mit der Rolle beschäftigt hatte und mit Karl Marx beschäftigt hatte, dass er nicht nur diese Rolle überzeugend darstellen konnte, sondern eben auch ein Experte war, was das eigentliche Leben von Marx angeht. Und dann kam es eben zu der Möglichkeit, das in Form eines Dokudramas umzusetzen.
    Fischer: Er sagt ja in einem Interview, ihm hätte natürlich der Spielfilm besser gefallen. Dann hätte er natürlich auch mehr Marx-Momente gehabt. Hier hat er einfach ein paar Szenen, sagen wir mal.
    Twente: Das ist auf der anderen Seite natürlich richtig die Crux des Dokudramas, wir können nichts - oder wollen zumindest nichts - erfinden, was historisch nicht so war. Manchmal bedeutet das, dass Dialoge in Szenen auch nicht auf einen Peak hinlaufen oder auf irgendeine Wendung im Dialog, die man sicherlich im Fiction-Skript so schreiben würde, während wir sozusagen dann den O-Ton des Experten anfügen, der uns dann weitere Informationen dazu gibt. Es macht manchmal für einen, der natürlich Zeit seines Lebens über 200 Filme gespielt hat… lässt es einen so ein bisschen ratlos zurück, wenn er jetzt nicht den Disput mit seiner Tochter oder wie auch immer zuspitzen kann, weil es einfach historisch nicht so war.
    Am Tropf seines Gönners Engels
    Fischer: Jetzt hatten Sie ja da eine komplexe Figur vor sich, ein komplexes Leben vor allem. Ich dachte, wahrscheinlich allein die Kölner Zeit bei der "Rheinischen Zeitung" hätte einen ganzen Film ergeben können. Man kann dann schon nur an der Oberfläche eigentlich kratzen, oder, bei so einem kompakten Werk auch?
    Twente: Das ist wirklich eines der Hauptprobleme. Ich habe aber auch so salopp gesagt, das ist für einen Filmemacher auch natürlich einen Film über jemanden zu drehen, der eigentlich Zeit seines Lebens gedacht und am Schreibtisch geschrieben hat, natürlich auch visuell jetzt nicht gerade die Erfüllung. Und eigentlich eher die Herausforderung darin liegt zu sagen, wie man diese Figur irgendwie interessant kriegt. Und das haben wir eben versucht indem wir gesagt haben, wir teilen das im Grunde so ein bisschen in die Hälfte ein - das heißt, man kriegt einerseits sein Werk mit und auch ein wenig erklärt - ich will jetzt gar nicht sagen, dass man das vollständig erschöpfend in 90 Minuten ohnehin machen kann - und auf der anderen Seite eben so ein bisschen seine Familiengeschichte und das Persönliche, was vielen wahrscheinlich eher unbekannt sein wird. Also insbesondere diese Liebe zu seiner Frau, zu seinen Kindern und dieses persönliche Drama - eben Zeit seines Lebens auf der Flucht und also eigentlich arm zu sein und am Tropf seines Gönners und Mäzens Engels zu hängen.
    Fischer: Ich hatte den Eindruck, es war Ihnen ganz wichtig, uns zu zeigen, Karl Marx war auch ein Mensch, der trauern konnte über den Tod seines Sohnes, der Tochter dann auch später. Ich dachte, warum? Zweifeln wir daran? Haben Sie den Eindruck, man sieht ihn gar nicht als Menschen?
    Twente: Ich glaube, dass durchaus man den Eindruck bekommen könnte, dass ihm letzten Endes diese Mission, die er selber für sich da ja auch gesehen hat - die Welt zu erklären -, sagen wir mal, ihn hat jetzt nicht buchstäblich über Leichen gehen lassen, aber durchaus das dann an die erste Stelle zu stellen und alles andere hinten anzustellen und da eben auch Flucht, Armut, das Leiden einer Familie im Grunde mit in Kauf zu nehmen. Es war schon wichtig, fand ich, dass man darstellt, dass es eben eigentlich nicht so war, sondern das eben auch seine Person und seinen Charakter ausmacht und ihn so ein bisschen auch zerrissen hat.
    "Dieses Prophetische ist das Problem"
    Fischer: Karl Marx ist ja bis heute so eine Art Bürgerschreck, "huhu, der wollte das Privateigentum abschaffen, dabei hat er selbst mit Aktien spekuliert", sehen wir auch in Ihrem Film. Und er sagt auch den Satz: Ich habe persönlich garnichts gegen Reiche oder gegen Kapitalisten. Der Satz fällt, ne?
    Twente: Ja.
    Fischer: Haben wir ihn gründlich missverstanden eigentlich?
    Twente: Also, für mich war auch erstaunlich, dass insbesondere auch unsere Experten und der Fachberater, der bei dem Drehbuch ja auch mitgearbeitet hat, gesagt haben, insbesondere dieses "Kommunistische Manifest" - was man jetzt im Nachhinein immer so ein bisschen als die Initialzündung ansieht, um kommunistische Parteien zu gründen und so weiter, das war es natürlich auf der einen Seite schon, aber auf der anderen Seite steht eben auch darin… er preist ja die Rolle der Bourgeoisie und er preist im Grunde auch den Kapitalismus, indem er sagt, die haben Umwälzungen hervorgebracht in kürzerer Zeit, das hat nie eine Entwicklung vorher ermöglicht. Und das ist eben die Bourgeoisie, die das ermöglicht hat, und das Geld und das Kapital. Und auf der anderen Seite ist es eben so, dass er davor warnt, weil das ein System ist, was sich selbst sozusagen frisst. Und dieses Missverständnis, dass das eine "neutrale Analyse" ist, die dann allerdings… und das sagt ja auch einer unserer Experten, "mir wäre lieber gewesen, er hätte es bei der Analyse belassen und keine Zukunftsaussichten formuliert". Dieses Prophetische ist eben das Problem, aber auch vielleicht aus seiner Zeit heraus zu erklären.
    Wir haben noch länger mit Christian Twente gesprochen – hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Fischer: Na ja, Problem, das stellen Sie ja auch dar, wenn er so Sätze sagt, wie Sie gerade schon sagten: Das Kapital muss sich immer weiter ausdehnen, es muss immer neue Märkte finden. Und das funktioniert nicht national. Das heißt, da sind wir eigentlich bei so was wie einer Globalisierung, und irgendwann müsste es zusammenbrechen. Vielleicht sind wir an dem Anfang der Entwicklung, wissen wir gerade noch gar nicht. Also hat er dann doch irgendwie so prophetische Kräfte?
    Twente: Nein, also in der Analyse, selbst die, die nach vorne gerichtet ist, hat das durchaus - aus unserer Sicht heute natürlich - prophetische Züge, weil heute fällt uns auf, dass vieles davon tatsächlich mehr oder weniger stimmt. Die Schlussfolgerungen daraus sind halt unterschiedlicher Art. Und wenn man heutzutage das sieht, dass er eben dieses ganze System als etwas Starres betrachtet hat… natürlich hat sich dann im Laufe der Geschichte als nicht so erwiesen. Der Kapitalismus ist offensichtlich lernfähig und hat deswegen immer Wendungen genommen, die auf der einen Seite die Verwerfungen wieder aufgefangen haben oder zum Teil vielleicht wieder aufgefangen haben. Die Krisen sind Teil des Kapitalismus und nicht dessen Ende.
    Fischer: Morgen bei Arte und am 2. Mai im ZDF, jeweils zur besten Sendezeit - 20:15 Uhr - das Dokudrama "Karl Marx" von Christian Twente. Vielen Dank für das Gespräch.
    Twente: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.