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ZDF-Serie „Die Protokollantin“
Eine ungewöhnliche Heldin

Die ZDF-Serie „Die Protokollantin“ mit Iris Berben rückt eine scheinbar unauffällige Frau in den Mittelpunkt, die sich als stark und widersprüchlich entpuppt. Eine Serie von internationalem Format, die neben der Hauptfigur auch mit Plot und Machart überzeugt.

Von Julian Ignatowitsch |
    Die Schauspieler Moritz Bleibtreu, Iris Berben und der Produzent Oliver Berben
    Die Schauspieler Moritz Bleibtreu und Iris Berben mit dem Produzenten Oliver Berben (imago stock&people (Beta Film))
    Sie tippt und tippt und tippt - und verzieht dabei keine Miene. Freya Becker ist Protokollantin beim LKA Berlin. Sie protokolliert die Verhöre der Ermittler, ist dabei, wenn über Körperverletzung, Mord und Missbrauch gesprochen wird:
    "Ihre Freundin hatte eine Schädelfraktur, Platzwunden an der Stirn und Lippe, Hämatome an Bauch und Schenkeln - und sie haben nur ein oder zweimal zugeschlagen?"
    Zu Hause lebt sie zurückgezogen und allein, spricht mit ihrer Katze.
    "Sie haben ihn freigelassen."
    Und trauert immer noch um ihre Tochter Marie, die vor elf Jahren spurlos verschwunden ist und Freya regelmäßig in ihren Träumen erscheint.
    "Du musst aufstehen, Mama. Es ist Zeit."
    Stark und voller Widersprüche
    Die neue ZDF-Serie "Die Protokollantin" rückt eine ungewöhnliche Heldin in den Mittelpunkt: Eine Frau über 60, unscheinbar und bieder auf den ersten Blick, stark und widersprüchlich auf den zweiten. So eine Protagonistin sieht man selten. Eine mutige Entscheidung! Und dass Iris Berben diese Rolle verkörpert, ist kaum weniger mutig und erweist sich schnell - wie die ganze Serie - als Glücksgriff!
    Wie Berben die Protokollantin spielt, zurückgenommen in Gestik und Mimik, nachdenklich und ganz ohne Glamour, wirkt sehr authentisch. Das gelingt, weil Drehbuchautorin Nina Grosse einen glaubwürdigen und ambivalenten Charakter geschaffen hat. Die Hauptfigur trägt die ganze Produktion.
    Aber auch das Team um Grosse, Samira Radsi und die Produzenten Oliver Berben und Jan Ehlert, hat viel richtig gemacht. Die Protokollantin ist eine Serie von internationalem Format. Das fängt bei der Idee von Erfolgsautor Friedrich Ani an: Eine Zuarbeiterin, die plötzlich selbst die Fäden in die Hand nimmt, in einer Mordserie zu "ermitteln" beginnt und dabei auch zur Täterin wird. Familiäre und amouröse Verflechtungen inklusive.
    Eine Geschichte mit starker Sogkraft
    Der Plot entwickelt sich langsam, entfaltet jedoch schnell eine starke Sogkraft: Nach und nach fügen sich die einzelnen Spuren zu einem großen Rachelauf zusammen. Oder geht es Freya nicht um Rache, sondern Gerechtigkeit?
    Auch die Machart sticht positiv hervor: Wenn Freya nachts am Fenster steht, erinnert das an ein Gemälde von Edward Hopper. Und wenn sie plötzlich von ihrer Tochter halluziniert, entfacht das einen subtilen Horror.
    Dazu überzeugt auch die übrige Besetzung: Moritz Bleibtreu als Freyas jüngerer Bruder Jo, Peter Kurth als desillusionierter Chefermittler Silowski oder Bettina Hoppe als Halbschwester des vermeintlichen Triebtäters Menken. Sie sind Charaktere, die man nicht vergisst.
    Aufs Wesentliche fokussiert
    So unaufgeregt, souverän und aufs Wesentliche fokussiert hat man eine öffentlich-rechtliche Produktion selten gesehen. Da verzeiht man auch die ein oder andere Überzeichnung und den ein oder anderen Doppelhinweis zu Beginn.
    Das ZDF zeigt mit der fünfteiligen, fast fünfstündigen "Protokollantin" - ja, wir können Serie! Und das ist bei der Diskussion um Rundfunkgebühren und Programmauftrag auch ein Zeichen an alle Serienfans: Es muss nicht immer die private Konkurrenz von Netflix, Amazon oder Sky sein. Mehr davon!