Friedbert Meurer: Kann letztlich die Politik einfach einen Chefredakteur absägen? Was ist denn mit der Staatsferne? Dann gebe ich die Frage mal direkt weiter an Marc Jan Eumann. Er ist Medien-Staatssekretär in Nordrhein-Westfalen (SPD), sitzt im ZDF-Fernsehrat, und seine Chefin, die Bundesratsministerin Angelica Schwall-Düren, die ist bei uns hier im Deutschlandradio im Verwaltungsrat. Guten Tag, Herr Eumann.
Marc Jan Eumann: Herr Meurer, ich grüße Sie herzlich.
Meurer: Ein Urteil fürs ZDF. Gilt das auch für das Deutschlandradio?
Eumann: Selbstverständlich. Die Länder sind jetzt aufgefordert, die Entscheidung umzusetzen. Mit Blick auf den Staatsvertrag haben wir Zeit – das hat Ihr Korrespondent gesagt – bis Mitte nächsten Jahres und wir werden uns natürlich auch die anderen Staatsverträge und Landesrundfunkgesetze anschauen. Herr Detjen hat richtigerweise auch auf die Zusammensetzung des Verwaltungsrates des Deutschlandradios hingewiesen, da wird es Nachbesserungsbedarf geben. Für Nordrhein-Westfalen – ich war ja selbst auch bei der mündlichen Anhörung dabei – ergibt sich kein Handlungsbedarf. Das WDR-Gesetz entspricht jetzt schon der Entscheidung des heutigen Urteils aus Karlsruhe. Wir haben einen Anteil der sogenannten Staatsbank im WDR von knapp 30 Prozent und sind sogar damit genau verfassungskonform. Und das ist für uns aus nordrhein-westfälischer Sicht erst mal auch ein gutes Signal, denn wir waren uns schon lange klar – die entsprechenden Bestimmungen existieren übrigens seit 1985 -, dass ...
Meurer: Karlsruhe sagt jetzt 33 Prozent maximal Politiker in den Aufsichtsgremien.
Eumann: Genau, ein Drittel.
Meurer: Sollten Politiker nicht ganz das Feld räumen und aus den Aufsichtsräten gehen?
Eumann: Da hat ja der stellvertretende Bundesverfassungsgerichtspräsident, der Professor Kirchhof, das richtige gesagt. Es geht nicht um die Staatsfreiheit, sondern es geht um das Gebot der Staatsferne. Und selbstverständlich sind Politikerinnen und Politiker in der Bundesrepublik Deutschland demokratisch legitimiert. Sie haben durch das Votum von Wählerinnen und Wählern den Auftrag, an der Willensbildung mitzuwirken. Dieser Auftrag ist da und der gilt auch für die Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der Einfluss ist nur zu begrenzen auf ein Drittel. Und das wird jetzt korrigiert.
Meurer: Aber wir Journalisten sollen ja unabhängig über ihre Tätigkeit berichten: Landtage, Landesregierungen, Bundesregierung und Bundestag. Können wir das, wenn unsere Chefs Politiker sind?
Eumann: Selbstverständlich können Sie das und da habe ich auch keinen Zweifel, solange der Einfluss nicht bestimmend ist. Und da hat Karlsruhe jetzt den Weg gewiesen. Ich bin ganz sicher, dass jeder Journalist, jede Journalistin das Rückgrat hat, um unabhängig und staatsfern zu berichten. Und da habe ich überhaupt keinen Zweifel, dass das Tag für Tag nicht nur bei Ihnen, sondern vollständig im öffentlich-rechtlichen Rundfunk passiert.
Meurer: Wenn es jetzt weniger Politiker in den Gremien geben wird, Herr Eumann, dann darf man daraus ja schlussfolgern, dass es mehr sogenannte Graue geben wird, also Vertreter der gesellschaftlichen Gruppen. Ich sage jetzt mal, wird es damit besser, wenn Vertreter von Partikularinteressen das Sagen haben?
Eumann: Tatsächlich ist es so, dass die Vertreter von gesellschaftlichen Gruppen zwar von diesen Gruppen entsandt werden – das entspricht dem pluralen Bild unserer Gesellschaft -, aber dort nicht als Vertreter ihrer Verbände beispielsweise sitzen, sondern als Vertreter der Allgemeinheit. Tatsächlich werden sie gelegentlich so wahrgenommen, aber beim ZDF gibt es insofern eine Besonderheit – und das ist das, woran sich Karlsruhe auch zurecht gestoßen hat -, dass auch beispielsweise 16 Vertreter aus den Bereichen von Kunst, Kultur, Filmwirtschaft etc. durch Landesregierungen benannt werden. Das ist in den meisten Landesrundfunkgesetzen anders geregelt. Dort haben diese Organisationen ein autonomes Entsendungsrecht.
Meurer: Das ist ein wunderbarer Hebel bisher gewesen, dass die Politik dann doch über die gesellschaftlichen Gruppen das Sagen hatte.
Eumann: Genau. Das wird man sicherlich sagen können. Historisch ist das übrigens sehr schnell zu erklären. Auch darauf haben Sie in der Berichterstattung hingewiesen. Der ZDF-Staatsvertrag der Länder ist sozusagen die Antwort auf den Versuch des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer, ein Bundesfernsehen zu implementieren. Und diese Antwort haben die Länder nicht nur sehr umfassend gegeben, sondern auch in ihrem Sinne und mit dem Blick auf den Einfluss.
Nur eins ist, glaube ich, noch wichtig zu wissen: Der Ausgangspunkt der Entscheidung ist ja, dass zwei Länder genau nach Karlsruhe gegangen sind, nach dem Fall Brender. Die Länder selbst haben um die Überprüfung der Normen gebeten. Insofern gibt es auch hier so etwas wie eine Art Reinigungsmechanismus innerhalb der Ländergemeinschaft.
Meurer: Was genau wird sich jetzt ändern? Mehr Vertreter gesellschaftlicher Gruppen, die selbst entscheiden, wen sie schicken und sich das nicht vorschreiben lassen von der Politik?
Eumann: Exakt. Das ist der entsprechende Paragraph 21R, die 16 Vertreter aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen. Da wird man ganz sicher denen ein eigenständiges Entsendungsrecht staatsvertraglich garantieren.
Meurer: Werden da auch neue Gruppen einziehen dürfen? Beispielsweise sind ja Muslime bisher noch nicht repräsentiert über ihre Verbände.
Eumann: Ja, in der mündlichen Anhörung haben die Richter auch danach gefragt. Das verstehen die Länder – und so habe ich es auch verstanden – als Hinweis, hier zu entsprechenden Novellierungen zu kommen. Hier haben beispielsweise die Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz für den Staatsvertrag für den SWR schon Muslime aufgegriffen. In anderen Landesrundfunkgesetzen sind Mitglieder der Ausländerbeiräte oder der Integrationsräte schon repräsentiert. Allerdings – und das ist eine Frage, mit der wir uns auch aktuell bei der Novellierung des WDR-Gesetzes in Nordrhein-Westfalen beschäftigen – unsere Gesellschaft verändert sich und manche Bürgerinnen und Bürger sind eben nicht mehr in den traditionellen Verbänden organisiert. Und wir diskutieren gerade darüber, wie wir auch diese Gruppen erreichen können, denn die Aufsicht im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist keine, die Verbänden oder der Politik anheim steht, sondern das sind Vertreter der Allgemeinheit. Das ist der Anspruch und wie der zeitgemäß übersetzt werden kann, da ringen wir gerade um auch zeitgemäße Lösungen.
Meurer: Dass man Medienprofis in die Gremien setzt, daran ist nicht gedacht?
Eumann: Natürlich sind schon Medienprofis in den Gremien drin, beispielsweise über die Journalistenverbände. Im WDR-Rundfunkrat sind sowohl der DJV als auch Verdi mit den entsprechenden Fachgruppen vertreten. Das sind natürlich Medienprofis, wie Sie sie gerade beschrieben haben.
Meurer: Das Urteil von Karlsruhe besagt ja auch, dass die Arbeit in den Gremien transparenter werden soll. Diese berühmten Freundeskreise, in denen man im Hintergrund klüngelt, sage ich mal hier in Köln, das soll es so nicht mehr geben. Wie wäre es denn, wenn die Gremiensitzungen öffentlich wären?
Eumann: Das ist genau der Ansatz, den wir in Nordrhein-Westfalen verfolgen. Wir haben jetzt das Landesmediengesetz vorgelegt. Dort ist festgelegt, dass beispielsweise die Sitzungen der Landesmedienkommission, also dem Pendant auf der kommerziellen Medienseite, öffentlich sein sollen. Die Tagesordnungen müssen bekannt gegeben werden, die Protokolle müssen veröffentlicht werden. Und Ähnliches werden wir exakt im nächsten Jahr beim WDR-Gesetz vorschlagen. Transparenz, Öffentlichkeit ist ganz wichtig, denn die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler sollen verfolgen können, was ihre Vertreter in den Gremien für sie machen. Deswegen holen wir jetzt wirklich etwas nach. Wir in Nordrhein-Westfalen werden das im nächsten Jahr mit dem WDR-Gesetz erledigen.
Meurer: Das Urteil zum ZDF-Staatsvertrag des Bundesverfassungsgerichts und die Folgen – darüber sprach ich mit Marc Jan Eumann, Medien-Staatssekretär in Nordrhein-Westfalen von der SPD. Herr Eumann, besten Dank, auf Wiederhören nach Düsseldorf.
Eumann: Auf Wiederhören!
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