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Zeche Prosper Haniel in Bottrop
Ein letzter Besuch unter Tage

Ende 2018 ist in der Zeche Prosper Haniel endgültig Schicht im Schacht. Damit geht der Steinkohle-Bergbau in Deutschland zu Ende - und mit ihm eine über 200-jährige Industriegeschichte. Deswegen fahren viele Besucher noch einmal unter Tage, um eine Zeche in vollem Betrieb zu sehen.

Von Moritz Küpper |
    Die Zeche Prosper-Haniel in Bottrop
    Die letzte ihrer Art: Zeche Prosper-Haniel in Bottrop (dpa)
    Nassgeschwitzt, das Gesicht rußverschmiert und den Helm ein wenig schief verrutscht auf dem Kopf, steht Angela Rabaszynski am Ausgang von Schacht 10 der Zeche Prosper Haniel – und ist glücklich:
    "Toll, ja, kann ich gar nicht sagen. Also, es fällt mir schwer, da jetzt …"
    Rabaszynski, vor mehr als 53 Jahren hier in Bottrop geboren, sucht nach Worten. Gut vier Stunden war sie gerade selbst unter Tage.
    "Ja, die Hitze, das war ja an dieser einen Stelle. Das habe ich vorher nicht gewusst, dass das da wirklich original 42-45 Grad sind."
    Ihre einst weiße, nun auch rußverschmierte Baumwolljacke, über dem blau-weiß gestreiften Bergmannshemd, ist immer noch offen. Rabaszynski ist einfach glücklich, dass es doch noch geklappt, mit ihrer Fahrt unter Tage.
    "Als ich vor ein paar Jahren mitbekommen habe, dass hier 2018 dann endgültig Schicht im Schacht ist, habe ich überlegt, wie kann man es anstellen, und dann war vor ein paar Wochen so ein Gewinnspiel in so einer Wochenbeilage – und tatsächlich habe ich das gewonnen. Das war für mich, als hätte ich eine Reise nach Mallorca gewonnen, also, vom Feeling her, weil: Du bist als Kind… hier in Bottrop geboren, Kind des Ruhrpotts und warst noch nie da unten gewesen. Das kann doch nicht wahr sein!"
    Am Jahresende ist Schluss
    "Hallo, Glück auf."
    "Guten Morgen."
    Gut sechs Stunden vorher am Werkstor von Prosper Haniel. Es ist eine von noch zwei Zechen, die im Ruhrgebiet im Betrieb sind. Am Jahresende ist dann Schluss – und über 200 Jahre Industriegeschichte vorbei.
    "Sind wir komplett?"
    "Das wissen Sie wahrscheinlich besser als wir."
    Zwei Besuchergruppen täglich, jeweils zwölf Personen, können bis zum Jahresende noch das Gefühl bekommen, einmal unter Tage gewesen zu sein. Mittlerweile, fünf Monate vor Ende, kommen auf einen Platz 50 Interessenten – und zwölf Menschen, acht Männer und vier Frauen, haben heute die Möglichkeit dazu.
    "So, 9.30 Uhr. Zehn Minuten Einführung, wir sind ein bisschen spät dran, ist aber nicht schlimm…"
    Siddik Eminoglu, einst selbst Revier-Steiger, nun für die Besuchergruppen zuständig, begrüßt die zwölf in einem schmucklosen Raum. Kaffeetassen und Wasser gibt es, dazu eine Sicherheitseinweisung und Geschichtsunterricht: Im Jahr 1957 arbeiten rund 600.000 Menschen in und um die 141 Steinkohlezechen damals im Revier. Im nächsten Jahr – dem ersten ohne den aktiven Bergbau – werden es knapp 500 Mitarbeiter sein, die sich um die Folgeschäden kümmern soll. Doch vieles aus den Jahrzehnten wird bleiben, das wird auch jetzt, im Besprechungsraum mit Siddik Eminoglu deutlich:
    "Auf dem Bergwerk duzen wir uns. Es kann ja sein, wenn ihr damit einverstanden seid. So, ich habe auch einen Spitznamen für Euch, damit das auch einfach ist. Man nennt mich auch Siggi."
    Endstation in 1.229 Metern Tiefe
    "So, kommen sie rein… die Sachen liegen schon in den Kabinen."
    Für viele Gespräche ist jetzt aber keine Zeit mehr, eingefahren wird pünktlich. In der Waschkaue, also der Umkleide, gibt es die weiße Arbeitskleidung, Helm, Schutzbrille, Knieschoner und Arbeitsschuhe für alle.
    "Ich bin hier, weil ich es vor allem meiner Tochter noch mal zeigen sollte: Wir wohnen in Kamp-Lintfort, Bergbaustadt. Da hat die Zeche schon zugemacht."
    "Genau, ich bin die Tochter."
    "Aufgeregt?"
    "Gerade, wenn man jetzt so im letzten Jahr, wo das hier noch möglich ist, im Ruhrgebiet. Das man das noch mal ausnutzt."
    Und los geht's.
    "Und dann kommen Sie mal bitte hierhin."
    Siggi ruft. Es geht Richtung Schacht:
    "Jeder nimmt die Lampe mal in die Hand. Und hier ist ein Rädchen."
    Die Bergmänner, die die Frühschicht hatten, kommen bereits entgegen. Die Besuchergruppe läuft – jetzt ausgestattet – zum Förderkorb.
    "Und los."
    Das Gittertor wird geschlossen.
    "Wir fahren gleich auf die siebte Sohle. Die Sohle ist Etage, kann man sagen."
    Ungefähr zweieinhalb Minuten dauert die Fahrt. Endstation in exakt 1.229 Metern Tiefe.
    "So dann herzlich willkommen auf der siebten Sohle."
    Siggi geht voran, führt die Gruppe vom Förderkorb weg. Hier, direkt am Schacht, ist alles befestigt: Boden, Decke, Wände.
    Unter der Schildkappe - dem sichersten Platz unter Tage
    "Alles, was sie hier sehen, kam mit dem Schacht unter Tage."
    Der Luftzug ist spürbar, es ist wärmer als oben – aber noch ein gutes Stück bis Streb, dem Bereich, wo die Kohle abgebaut wird. Gut eine halbe Stunde laufen, dann auf die sogenannte Dieselkatze, eine Art Hängebahn, auf der die Kumpel, nun die Besuchergruppe, hintereinander sitzend, durch die Stollen fahren.
    Fast 30 Minuten dauert es, mit etwa 10 km/h. Dann ruckelt es, die Dieselkatze bleibt stehen. Nun geht es, wieder zu Fuß, weiter – auf matschigem Untergrund.
    Am Streb angekommen, gibt es die letzten Anweisungen:
    "Wir machen die Lampe hier drauf…"
    "Helm auflassen. Nicht den Helm absetzen."
    Auch die Knieschoner werden angelegt – und dann geht es rein, gebückt, teilweise auf Knien. Nach ein paar Metern ist Schluss, die Besuchergruppe liegt jetzt entlang der Abbaukante, unter einem sogenannten Schild, erklärt Siggis Kollege, Klaus Pütz, ebenfalls Bergmann.
    "Wo wir uns jetzt so geduckt drunter halten, das ist die Schildkappe, hier über uns, und die hält drei Einfamilienhäuser aus, wenn man ein Einfamilienhaus von von 250.000 Tonnen steht, das mal drei, ne. Also, jetzt seid ihr im sichersten Bereich, sicherer als in der Strecke."
    Auch Soner Gider aus Bottrop, 31 Jahre alt, liegt hier:
    "Mein Oppa war einer der ersten Türken, die hierhin gekommen sind. Bin selber türkischer Abstammung. Dann wird einem bewusst, was er so geleistet hat. Mein Onkel, was die geleistet haben. Jetzt verstehe ich, was malochen bedeutet."
    Es ist laut, heiß, stickig und eng. Doch Giders Augen leuchten: "Also, das Ruhrgebiet ist durch den Bergbau entstanden, die ganzen Kulturen, alle, die hierhingekommen sind. Man muss sich das bewusst sein. Das ist, wie wenn Hamburg den Hafen verliert, das ist ja vergleichbar. Und dass es jetzt zu Ende geht, finde ich schade."
    Der Hobel pflügt Stein und Kohle wie Butter
    Er hat noch einen Wunsch.
    "Jetzt müssen wir einmal den Hobel sehen, dafür bin ich ja hier unten."
    Es dauert ein wenig, Bergmann Pütz erklärt: "Der Hobel fährt daran vorbei und schält quasi. Der Hobel ist quasi nur ein Eisenklotz mit Zähne oder Pickel oder Meißel, kann man sagen, der schält an die Kohlenwand, am Kohlenflöz vorbei, fährt dran vorbei, schält die quasi Kohle, fällt die in den Panzer rein und wird abtransportiert in den Förderer, wo wir gerade hingehen."
    Dann rauscht er ran … und zieht eine Staubwolke nach sich. Als diese sich gelegt hat, erscheint Giders zufriedenes Gesicht:
    "Ja, super, fährt auch voll schnell vorbei. Genial."
    Siggi gibt das Signal zum Rückzug.
    "Man muss einmal, auf jeden Fall, einmal hiergewesen sein, um zu sehen, wie das funktioniert. Erst dann hat man richtig Verständnis dafür."
    Die Gruppe meldet sich ab: "Steuerstand melden. Besuchergruppe ist aus dem Streb wieder herausgekommen, vielen Dank. Glückauf!"
    "Alles klar, schöne Heimreise!"
    Doch fast eine Stunde dauert dieser Rückweg noch. Dann Ausziehen, Duschen, den Ruß abschrubben.
    Bevor es – zum Abschluss – noch einen Teller Suppe gibt: "Aber was war den das Highlight für Euch heute? Jetzt unter Tage?"
    "Die Gewalt, mit der der Hobel durch diese Haufen Kohle und Stein pflügt, als ob das Watte wäre. Man riecht quasi eine Welt, die mal nicht diese Luft hatte…"
    Die aber endlich ist – zumindest im Ruhrgebiet.