Jörg Biesler: Arbeiterkind.de, das ist heute eine Organisation mit 6.000 Ehrenamtlichen, die Schülerinnen und Schülern helfen beim Zugang zur Hochschule und Studenten beim Weg zum Abschluss. Arbeiterkind.de feiert heute seinen zehnten Geburtstag und am Telefon ist jetzt die Gründerin, Katja Urbatsch. Guten Tag und herzlichen Glückwunsch!
Katja Urbatsch: Guten Tag und vielen Dank!
Biesler: Wie anerkannt Ihre Arbeit heute ist, das zeigt sich daran, dass Sie in der Hessischen Landesvertretung feiern dürfen, oder besser gefeiert werden, muss man wahrscheinlich sagen. Und auch die Liste der Teilnehmer aus Politik, Ministerien, Hochschulen und Verbänden, die kann sich sehen lassen. Vor zehn Jahren hat das etwas anders angefangen, oder?
Urbatsch: Ja. Vor zehn Jahren war ich eine wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin und bin sozusagen über Nacht da reingestolpert mit einem Deutschlandfunk-Interview, durch das wir ganz viele Unterstützer gefunden haben. Aber klar, am Anfang war es natürlich erst mal ein langer Weg.
"Noch ein langer Weg"
Biesler: Der Name "Arbeiterkind", der sagt, worum es Ihnen geht: vor allem um diejenigen, die als Erste studieren in ihren Familien. Die OECD-Bildungsstudie gestern hat gezeigt, dass Herkunft immer noch die Bildungschancen sehr stark beeinflusst. Ihre Arbeit wird wahrscheinlich noch gebraucht werden.
Urbatsch: Ja, leider ist das so. Wir haben natürlich in den letzten zehn Jahren viel bewegen können. Aber bis man das dann schafft, dass sich wirklich in der Statistik was verändert, das ist noch ein langer Weg. Und die Studie hat ja wieder gezeigt, es hängt immer noch vom beruflichen und sozialen Status der Eltern ab, was den Bildungserfolg von Kindern angeht.
Biesler: In den letzten Jahren ist ja mit den Geflüchteten noch eine große Gruppe dazugekommen, die möglicherweise Hilfe braucht bei der Orientierung in Schule und Studium. Hat das Ihre Arbeit verändert?
Urbatsch: Die kommen bei uns einfach mit dazu. Direkt verändert hat es noch nichts, weil die ja häufig noch gar nicht in den Schulen angekommen sind. Das wird jetzt wahrscheinlich langsam kommen, dass wir die dann auch in den Schulen treffen und die natürlich auch informieren und unterstützen. Aber bisher waren die natürlich mit der Herausforderung konfrontiert, erst mal die Sprache zu lernen und hier anzukommen.
"Die Studienfinanzierung ist eine große Herausforderung"
Biesler: Was sind denn aus Ihrer Sicht die größten Hemmnisse noch für die Aufnahme eines Studiums heute?
Urbatsch: Die Hemmnisse sind eigentlich die gleichen. Erst mal muss man auf die Idee kommen, dass man studieren kann. Man hat einfach keine Erfahrung in der Familie, auch viele Ängste, ob man das schaffen kann, ob man es finanzieren kann. Die Studienfinanzierung ist natürlich eine große Herausforderung für viele. Gerade auch jetzt haben wir wieder diese Phase, wo man doch ganz stark in Vorleistung gehen muss, bevor überhaupt das BAföG kommt. Man muss die erste Miete zahlen, man muss den Semesterbeitrag zahlen und das bringt doch viele gerade an ihre Grenzen. Diese sichere Finanzierung und Planungssicherheit, das ist immer noch ganz schwierig.
Und dann ging es mir auch so, man fühlt sich häufig fremd an der Uni. Man muss erst mal herausfinden, wie man da erfolgreich ist, hat das Gefühl häufig, nicht dazuzugehören und muss sich da so ein bisschen durchkämpfen. Und das versuchen wir eben mit ArbeiterKind.de seit zehn Jahren zu unterstützen, dass man sich eben nicht so allein fühlt und wir uns gegenseitig unterstützen.
"Ein bisschen was hat sich schon verändert"
Biesler: Ja, Sie coachen, und Sie bringen zusammen. Das ist die Aufgabe, die Arbeiterkind.de leistet. Aber es ist doch erstaunlich, dass es eigentlich heute noch genauso aussieht wie vor zehn Jahren für Schülerinnen und Schüler, die keine akademischen Eltern haben, die sich orientieren müssen. Das scheint sich kaum verändert zu haben.
Urbatsch: Ein bisschen was hat sich schon verändert. Vor zehn Jahren war das überhaupt kein Thema und jetzt ist es schon ein großes Thema auch in den Hochschulen, bei den Arbeitsagenturen, bei den Studienberatungen. Also, das hat sich schon verändert, es sind auch viele neue Programme entwickelt worden. Da wird also schon einiges gemacht, aber klar, das lässt sich nicht von einem Tag auf den anderen verändern. Das ist ein langfristiger Prozess.
Biesler: Zum Geburtstag darf man sich ja immer was wünschen. Was wäre Ihr Wunsch für die Zukunft?
Urbatsch: Wir wollen natürlich weiter wachsen. Wir wollen vor allem auch in den ländlichen Raum. Was ich mir aber besonders wünschen würde, wäre, dass wir uns noch mal die Studienfinanzierung anschauen, insbesondere für diejenigen, die aus finanzschwachen Familien kommen. Weil da haben wir in den letzten zehn Jahren eben gelernt, wo da die Hürden sind, insbesondere jetzt zum Beispiel auch vor dem Studium, und dass da gerade viele kämpfen müssen, überhaupt ihren Studienplatz annehmen zu können. Und das wäre mir wichtig, dass wir da noch mal gemeinsam dran arbeiten.
"Wir haben viele Unterstützer gehabt"
Biesler: Das heißt, die Geburtstagsfeier heute Abend in der Hessischen Landesvertretung in Berlin, die wird auch Ihnen Gelegenheit zur Lobbyarbeit bieten? Sie werden Politikerinnen und Politiker noch mal ansprechen auf die Themen?
Urbatsch: Die wissen, glaube ich, schon, dass das unsere Themen sind, und das wird sicherlich auch in der nächsten Zeit so sein, dass wir mit ihnen darüber sprechen. Aber heute wollen wir vor allem danke sagen. Wir haben viele Unterstützer gehabt in den letzten Jahren, die uns geholfen, dass wir jetzt da stehen, wo wir stehen. Aber natürlich wollen wir auch in die Zukunft gucken und auch dafür werben, dass wir weitermachen müssen.
Biesler: Katja Urbatsch, die Gründerin von Arbeiterkind.de, einer Organisation, die heute ihren zehnten Geburtstag feiert und Schülerinnen und Schülern ins Studium hilft. Danke, Frau Urbatsch und einen schönen Tag heute!
Urbatsch: Vielen Dank!
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